Kategorien
Uncategorized

AG Köln – Begrenzung von Lizenzschäden und Abmahnkosten in Filesharingfällen

Das
Amtsgericht Köln (Urteil v. 10.03.2014, Az: 125 C 495/13) deckelte  die Höhe des Schadensersatzes bei Filesharing auf
10,00 € pro Musiktitel.

Tenor
1.) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 260,50 € nebst Zinsen i. H.
v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3. September
2013 zu zahlen.
2.) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.) Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 93 % und der Beklagte
zu 7 %.
4.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die gegen sie
gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei
vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, eine der
führenden deutschen Tonträgerherstellerinnen verwaltet im deutschsprachigen
Raum u. a. die Rechte an dem Musikalbum „S T“ der Künstlerin T. Auf diesem
Musikalbum befinden sich insgesamt 13 Musikstücke.

Die Klägerin trägt
vor, dass der Beklagte am 15. Juli 2010 das Musikalbum über das
Filesharing-System „C“ hochgeladen und damit zum Herunterladen für andere
Teilnehmer des Filesharing-Systems weltweit angeboten hat.

Die Klägerin macht
einen Lizenzschaden von 2.500,00 € geltend; sie verweist insoweit auf eine
Vielzahl von Gerichtsentscheidungen, die einen Schaden von 200,00 € oder mehr
pro veröffentlichtem Musiktitel zugesprochen haben.

Die Klägerin hat den
Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 15. Februar 2011 zur Unterlassung der
urheberrechtswidrigen Teilnahme am Filesharing aufgefordert. Sie macht
Erstattung von Abmahngebühren i. H. v. 1.379,80 €, ausgehend von einem
Streitwert von 50.000,00 € geltend. Sie verweist insoweit auf zahlreiche
Gerichtsurteile, die solche oder höhere Streitwerte – vielfach 10.000,00 € pro
Titel – ansetzen.

Die Klägerin
beantragt,

den Beklagten zu
verurteilen, an die Klägerin

1.) einen angemessenen
Schadensersatz i.H. v. mindestens 2.500,00 €;

2.) 1.379,80 €
Kostenersatz nebst jeweils Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die am 18. Dezember
2013 ordnungsgemäß geladenen Prozessbevollmächtigten des Beklagten sind im Verhandlungstermin
vom 17. Februar 2014 aufgrund eines Büroversehens nicht erschienen. Die
Klägerin beantragt den Erlass des Versäumnisurteils.

Wegen der näheren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das beantragte
Versäumnisurteil konnte trotz der Säumnis des Beklagten nur teilweise erlassen
werden, da die Klage nach Auffassung des Amtsgerichts nur teilweise schlüssig
ist. Allerdings geht das Gericht zumindest im Rahmen dieses Versäumnisurteils
davon aus, dass der Beklagte an dem Filesharing teilgenommen und die Rechte der
Klägerin schuldhaft verletzt hat.

Die Klägerin kann von
dem Beklagten die Zahlung eines Lizenzschadens von 130,00 € – 10,00 € pro
Musiktitel – nach
§ 97 Abs. 2 Satz 3
UrhG
verlangen. Nach dieser Vorschrift besteht die von der Klägerin gewählte
Möglichkeit der Berechnung des Schadensersatzanspruchs „auf der Grundlage des
Betrages, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen,
wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte.“

Das Gericht gelangt zu
der Zuerkennung von Lizenzschäden, die deutlich unter denen von anderen
Gerichten zugesprochenen Beträgen liegen aufgrund folgender Überlegung:

Filesharing ist die
über spezielle Netzwerke oder Protokolle wie C bewirkte Weitergabe und damit
Verbreitung von Dateien an eine unbestimmte Vielzahl von Internetteilnehmern.
Dabei wird sowohl bei den Netzwerken als auch bei Nutzungen des C-Protokolls
der Download der Dateien, die ein Benutzer nachfragt, regelmäßig mit dem Upload
derselben Dateien verbunden. Dies führt dazu, dass alle, zumindest fast alle
Internetnutzer, die sich die betroffene Datei über Filesharing illegal aus dem
Internet „besorgen“, durch die entsprechende Software automatisch und häufig
ohne es zu wissen oder zu wollen an der Weiterverbreitung der Dateien beteiligt
werden. Damit unterscheidet sich Filesharing von fast allen anderen
Urheberrechtsverletzungen insoweit, als das nicht einzelne Verletzer das Werk
nutzen und an eine regelmäßig wesentlich größere Öffentlichkeit
weiterverbreiten, sondern die Gruppe der Weiterverbreiter, (also der
Urheberrechtsverletzer) und der Nutzer (zumindest weitgehend) identisch ist.

Vor dem oben
beschriebenen technischen Hintergrund stellt die „Nutzung des verletzten
Rechts“ i. S. d. Gesetzes nicht mehr als die Teilnahme an der Verbreitung der
Dateien durch ein Einzelmitglied eines Netzwerkes dar, an das häufig viele
Millionen Menschen angeschlossen sind. Vor dem beschriebenen technischen Hintergrund
würde sich das Lizenzentgelt grundsätzlich an dem Entgelt für eine legale
Nutzung der entsprechenden Dateien orientieren. Beträge in der Größenordnung
mehrerer 100,00 € pro Musiktitel erscheinen als völlig übersetzt.

Es kommt hinzu, dass
die Filesharing-Netzwerke, zumindest aber das hier benutzte C-Protokoll, auf
eine möglichst schnelle Weiterverbreitung der „getauschten“ Dateien ausgelegt
sind und zu diesem Zweck die nachgefragten Inhalte in kleinere Dateien
fragmentieren, um einer lokalen Überlastung des Internet vorzubeugen. Diese
Fragmente werden bei dem nachfragenden Teilnehmer des Netzwerks durch eine
entsprechend anspruchsvolle Software zusammengesetzt, so dass der Nachfrager
auf vollständige Musiktitel, Filme etc., zugreifen kann. Diese Fragmentierung
und Defragmentierung findet zumindest in der großen Mehrzahl der Fälle statt.
Filesharing stellt sich deshalb als anonymer Austausch von Dateien dar, bei der
die einzelne Teilnahme keine nennenswerten Folgen zeitigt: Würde die einzelne
Teilnahme nicht stattfinden, so würden spätere Nachfragen nach dem betroffenen
Werk durch Benutzung und Zusammensetzung von Dateifragmenten anderer Teilnehmer
des Netzwerks befriedigt. Dieser Sachzusammenhang mag bei seltener
nachgefragten Werken nur eingeschränkt gelten, ganz sicher aber gilt er bei dem
hier streitbefangenen seinerzeit aktuellen Musikalbum einer der populärsten
Künstlerinnen der Welt.

An die
Filesharing-Netzwerke sind ständig weltweit zumindest Hunderttausende, wenn
nicht gar Millionen Teilnehmer angeschlossen und das Filesharing erlaubt einen
Zugriff nicht nur auf die Dateien, die andersweitig soeben „getauscht“ werden,
sondern regelmäßig auch auf solche Dateien, die auf einem Computer eines
Netzwerkteilnehmers irgendwann gespeichert wurden. Dabei reicht es häufig aus,
dass der Teilnehmer online ist; er muss sich nicht zu dem jeweiligen Zeitpunkt
bewusst an einem Filesharing beteiligen. Angesichts dieser Gegebenheiten fehlt
der Vorstellung, dass Filesharing würde sich im Einzelfall auf die weltweite Verbreitung
der Dateien auswirken, die tatsächliche Grundlage.

Die oben zitierte
Vorschrift des
§ 97 Abs. 2 Satz 3
UrhG
zwingt dazu, sich Verhandlungen der Parteien über die Höhe eines
entsprechenden Lizenzentgeltes für die Legalisierung der rechtswidrig
getätigten Nutzung vorzustellen und zumindest hinsichtlich des Lizenzentgelts
zu einem der Realität möglichst nahekommenden Ergebnis zu gelangen (sogenannte
Lizenzanalogie). Bei diesen Vertragsverhandlungen sind die realen Umstände zu
berücksichtigen, hier insbesondere die Realität einer millionenfachen
urheberrechtswidrigen Nutzung des Werks durch die Teilnehmer der modernen
Filesharing-Netzwerke.

In dieser Situation
wäre ein Angebot der Klägerin zu erwarten, bei dem das Lizenzentgelt für die
Legalisierung der Teilnahme an dem Filesharing generell in der Größenordnung
der Entgelte für die legale Nutzung, etwa dem Kaufpreis für eine entsprechende
CD, liegen würde. Das Gericht hat berücksichtigt, dass kein Rechteinhaber die
Kontrolle über die Verbreitung seiner Werke gerne und preisgünstig abgibt und
daher ein Lizenzentgelt angenommen, das mit 10,00 € pro Musiktitel im obersten
Bereich der bei Berücksichtigung der oben dargestellten Umstände vorstellbaren
Lizenzentgelte liegt.

Insoweit hilft auch
ein Blick auf die Vorgeschichte des Filesharings:

Während der Anfänge
des Filesharings etablierte sich der „Musikdienst O“ Ende der 1990-iger Jahre
als Plattform der internetgestützten illegalen Musikverbreitung. Bestrebungen,
diese Nutzung zu legalisieren, waren mit Nutzergebühren korreliert, die zu
keiner Zeit in der Größenordnung der von der gängigen Rechtsprechung
zugesprochenen Beträge lagen, sie sind derzeit in das Angebot einer Nutzung von
ca. 20 Millionen Titeln gegen eine „Flatrate“ von weniger als 10,00 € pro Monat
(allerdings im Streaming-Verfahren) eingemündet.

Dem Gericht ist
bewusst, dass das Filesharing der Musikindustrie (wie auch der Filmindustrie
und den Herstellern von Computerspielen) erhebliche Schäden zufügt und es
illegal und zu bekämpfen ist. Dies kann aber nach dem geltenden Recht nicht
dadurch geschehen, dass den Filesharing-Teilnehmern Schadensersatzbeträge
auferlegt werden, die zu dem durch den jeweiligen Tatbeitrag eingetretenen
Schaden völlig außer Verhältnis stehen. In Anbetracht der Vielzahl der
tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, die mit der Verfolgung von
Schäden aus Filesharing verbunden sind, mag eine Verfolgung der Rechte, wenn
lediglich der tatsächlich eingetretene Schaden zuerkannt wird, unwirtschaftlich
sein; die betroffenen Industrien wären dann aber auf die Etablierung eines
Strafschadensersatzes de lege ferenda zu verweisen.

Allerdings ist derzeit
eher eine gegenläufige Entwicklung festzustellen. Mit dem kürzlich in Kraft
getretene Gesetz gegen unlautere Geschäftspraktiken hat der Gesetzgeber die
Verfolgung von Urheberrechtsverstößen im Filesharing-Bereich bewusst
eingeschränkt.
Dass er dabei keine Festlegung der Höhe der Lizenzschäden vorgenommen hat,
kann nicht überraschen; soweit bekannt, hat der Gesetzgeber noch nie die Höhe
von Schadensersatzbeträgen in einzelnen Fallgruppen festgesetzt. Mit der
Einbringung des Gesetzes formulierte die Bundesregierung hinsichtlich der
unseriösen Geschäftspraktiken, unter die sie ausdrücklich auch die Abmahnung
von Filesharing-Teilnehmern zählt:

„Diesen Praktiken ist
gemeinsam, dass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, obwohl sie selbst
entweder keine oder nur vergleichsweise geringfügige Rechtsverstöße begehen,
erhebliche Verluste finanzieller oder immaterieller Art hinnehmen müssen……“

Angesichts dieser
gesetzgeberischen Tendenzen ist ein Strafschadensersatz, der auch nur in die
Nähe der von der Rechtsprechung zuerkannten Beträge kommt, kaum zu erwarten.
Letztlich stellt sich der vorliegende Fall als geradezu typisches Beispiel für
den von der Bundesregierung skizzierten Zusammenhang dar: Schadensersatzansprüche
von insgesamt annähernd 4.000,00 € Höhe für die Filesharing-Teilnahme mit einem
einzigen Musikalbum erscheinen als völlig unangemessen.

Die Klägerin kann von
dem Beklagten weiter die Zahlung von 130,50 € gemäß
§ 97 a Abs. 1 Satz 2 UrhG a. F. verlangen. Nach Auffassung des
Gerichts ist der Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten mit
einem Streitwert von 1.000,00 € anzusetzen. Diesen Streitwertansatz gibt das
Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken in dem durch es eingeführten
§ 97 a Abs. 3 UrhG vor. Allerdings gilt diese Bestimmung erst ab dem 9.
Oktober 2013 und damit nicht im vorliegenden Fall. Doch ist vorliegend der seit
2008 geltende alte
§ 97 a UrhG anzuwenden, der nach
seinem Absatz 2 Gebühren für eine erstmalige Abmahnung bei in einfach
gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des
geschäftlichen Verkehrs auf 100,00 € begrenzte. Diese Voraussetzungen liegen
hier bis auf den Umstand, dass es sich bei Filesharing nach Auffassung des
Gerichts nicht um einfach gelagerte Fälle von Urheberrechtsverletzung handelt,
vor. Von den Rechtsfolgen her legt diese Regelung daher auch ein Streitwert von
1.000,00 € nahe. Jedenfalls erscheinen Streitwertbemessungen von 50.000,00 €
oder gar 10.000,00 € pro Musiktitel mithin im vorliegende Fall von 130.000,00 €
als völlig übersetzt.

Es entsteht der
Eindruck, dass die herrschende Rechtspraxis die beiden, die anwaltlichen
Abmahngebühren bewusst begrenzenden gesetzlichen Regelungen aus den Jahren 2008
und 2013 offensichtlich soweit irgend möglich, ignoriert. In den Augen der
interessierten Öffentlichkeit hat sich ein „Abmahnunwesen“ bzw. eine
„Abmahnindustrie“ etabliert. Dem ist nicht gegen den erkennbaren Willen des
Gesetzgebers durch die Zubilligung überhöhter Streitwerte Vorschub zu leisten.
Insoweit darf auf die oben zitierten Worte der Bundesregierung und die
Stellungnahme des Bundesrates vom 3. Mai 2013 verwiesen werden, nach der die herrschende
Abmahnpraxis in der Öffentlichkeit als „Abzocke“ wahrgenommen und das Institut
der Abmahnung in Misskredit gebracht wird.

Der herrschenden
Meinung ist schließlich entgegenzuhalten, dass sie völlig im Unklaren lässt,
wie die angesetzten Streitwerte bemessen werden: Das Interesse an dem
Unterlassen eines Filesharings eines populären Werks insgesamt ist sicherlich
regelmäßig mit Streitwerten von Millionen von Euro anzusetzen, das Interesse
daran, dass eine Person weniger, nämlich der jeweilige Beklagte an diesem
teilnimmt, ist mit 1.000,00 € sicherlich nicht zu niedrig angesetzt. Damit
stellen sich die gängigen Wertfestsetzungen als faule Kompromisse dar.

Der sich ergebende
Gesamtbetrag von 260,50 € ist nach
§ 288 Abs. 1 BGB wie beantragt am 3. September 2013 als
dem Datum des Eintritts der Rechtshängigkeit mit 5 Prozentpunkten über
Basiszinssatz der EZB zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung
beruht auf
§ 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 3.879,80
€.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.