Das LG Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 01.03.2018, Az. 2-25 O 125/17 entschieden, dass der Anspruch des Auftraggebers auf Herausgabe anwaltlicher
Handakten unabhängig von einer berufsrechtlichen Aufbewahrungspflicht
nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt .
Leitsatz:
Der Anspruch des Auftraggebers auf Herausgabe anwaltlicher
Handakten verjährt unabhängig von einer berufsrechtlichen Aufbewahrungspflicht
nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Herausgabe anwaltlicher
Handakten.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A SE
(nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), die vormals unter B SE firmierte.
Die Beklagte ist eine Rechtsanwaltssozietät, die auf dem
Gebiet des Wirtschaftsrechts tätig ist. Abs.
4
Aufgrund Mandatsvereinbarung vom 31.08.2011 (Anlage K 1, Bl.
9 ff. d.A.) wurde die Beklagte für die Insolvenzschuldnerin rechtsberatend
tätig, insbesondere in Fragen betreffend eine mögliche Restrukturierung der
Insolvenzschuldnerin.
In der Mandatsvereinbarung, auf die wegen ihrer Einzelheiten
verwiesen wird, heißt es auszugsweise wie folgt:
„(…) 13. Aktenaufbewahrung
Wir führen unsere Akten entweder in elektronischer oder
papiergebundener Form, Unterlagen bewahren wir für einen Zeitraum von 10 Jahren
nach Abschluss des Mandats auf. Danach sind wir berechtigt, Dateien zu löschen
bzw. Akten zu vernichten, soweit wir Ihnen nicht Originaldokumente zur
Aufbewahrung übergeben. (…)“
Mit Beschluss des Amtsgerichts C vom 01.07.2012, Az. …,
wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt.
Mit E-Mail vom 23.12.2015 verlangte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers von der Beklagten Herausgabe der bei der
Beklagten für die Insolvenzschuldnerin geführten Handakte und bat unter
Fristsetzung bis zum 08.01.2016 um einen Termin zur Abholung. Mit E-Mail vom
14.01.2016 lehnte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Herausgabe der
Handakte ab und erhob die Einrede der Verjährung. Wegen der weiteren
Einzelheiten der zwischen den Prozessbevollmächtigten geführten Korrespondenz
wird auf die Anlage K 3 (Bl. 17 ff. d.A.) verwiesen.
Mit Schreiben vom 02.02.2016 (Anlage B1) erhob der Kläger
vor der Rechtsanwaltskammer D Beschwerde gegen zwei Partner der Beklagten wegen
der Verletzung einer berufsrechtlichen Pflicht zur Herausgabe der Handakten.
Mit Datum vom 18.05.2016 (Anlage B2) teilte die Rechtsanwaltskammer D dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass sie die Beschwerde zurückgewiesen
habe und nannte als Begründung insbesondere, dass eine berufsrechtliche
Sanktion nur über den Umweg des § 43 BRAO in Verbindung mit §§ 675, 667 BGB
möglich sei, wobei ein zu fordernder grober Verstoß gegen eine zivilrechtliche
Pflicht angesichts der Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Beklagte
nicht gegeben sei. Abs. 11
Der Kläger behauptet, mit Abschluss der Mandatsvereinbarung
vom 31.08.2011 sei zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten im
Hinblick auf die Akten ein Verwahrungsvertrag im Sinne des § 688 BGB zustande
gekommen. Dies zeige Ziffer 13 der Mandatsvereinbarung. Der Kläger könne daher
aus § 695 Satz 1 BGB in Verbindung mit dem Verwahrungsvertrag Herausgabe der
Handakte verlangen. Sofern Zweifel bei der Auslegung der Mandatsvereinbarung
verblieben, gingen diese jedenfalls nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der
Beklagten. Abs. 12
Der Kläger ist der Auffassung, ein Herausgabeanspruch ergebe
sich zudem neben §§ 675, 667 BGB auch unmittelbar aus § 50 Abs. 3 BRAO. Dass es
sich bei § 50 Abs. 3 BRAO um eine eigenständige Anspruchsgrundlage handelt,
werde bereits daraus ersichtlich, dass mit dem am 18.04.2017 in Kraft
getretenen Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur
Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (BGBl. I
2017, S. 1121) in § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der seit dem 18.05.2017 geltenden
Fassung (nachfolgend: n.F.) nunmehr klarstellend eine Herausgabepflicht des
Rechtsanwalts gegenüber dem Auftraggeber statuiert worden sei. Überdies habe er
nunmehr auch unmittelbar aus § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. einen Herausgabeanspruch.
Der Kläger beantragt, wie folgt zu erkennen:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die von ihr
anlässlich der Beratung der B SE (heute firmierend unter A SE) auf Grundlage
der Mandatsvereinbarung vom 31. August 2011 geführten Handakten herauszugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise für den Fall des Unterliegens beantragt die
Beklagte,
ihr zu gestatten, dass sie die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung, die auch durch die schriftliche, unwiderrufliche,
unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb
befugten Kreditinstituts bewirkt werden kann, ungeachtet einer
Sicherheitsleistung des Klägers abwenden kann.
Die Beklagte behauptet, die Insolvenzschuldnerin sei
umfangreich in die Korrespondenz mit der Beklagten einbezogen gewesen, sodass
diesbezüglich ein etwaiger Herausgabeanspruch ohnehin erfüllt sei.
Die Beklagte hat ferner die Einrede der Verjährung erhoben.
Sie ist der Auffassung, ein Herausgabeanspruch aus §§ 667,
675 Abs. 1 BGB sei nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 195, 199
Abs. 1 BGB verjährt. Eine berufsrechtliche Herausgabepflicht bestehe allenfalls
zivilrechtsakzessorisch, das heißt die Pflicht bestünde nur dann, wenn ein
korrespondierender zivilrechtlicher Herausgabeanspruch durchsetzbar wäre, was
aufgrund der Verjährung nicht der Fall sei. Im Übrigen ergäbe sich aus einer
berufsrechtlichen Herausgabepflicht, sei es nach § 50 BRAO alter oder neuer
Fassung, kein Anspruch des Klägers im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB, also das
„Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. Die
Verletzung der Berufspflicht werde lediglich berufsrechtlich sanktioniert. Es
sei strikt zwischen zivilrechtlicher Anspruchsgrundlage und sanktionsfähiger
Berufspflicht zu unterscheiden. § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F., der
berufsrechtlich sanktioniert sei, sei überdies auf den vorliegenden Fall nicht
anwendbar. Dem stehe das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen,
das sich auch auf die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit beziehe.
Die Beklagte ist weiter der Ansicht, selbst wenn (was sie
bestreitet) mit Abschluss der Mandatsvereinbarung eine verwahrungsrechtliche
Abrede getroffen worden sei, so sei aufgrund des Schwerpunktes der
Mandatsvereinbarung im Recht der Geschäftsbesorgung einheitlich das hierfür
geltende Verjährungsrecht anzuwenden und nicht § 695 Satz 2 BGB.
Der Kläger ist demgegenüber der Auffassung, die Beklagte
könne sich nicht auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung berufen, da sie
einer berufsrechtlichen und nicht einer zivilrechtlichen Herausgabepflicht
unterliege. Es wäre auch mit dem Berufsstand des Rechtsanwalts sowie mit der
Einheit der Rechtsordnung unvereinbar, wenn sich die Beklagte auf die
Verjährung des Herausgabeanspruchs berufen könnte, während sie berufsrechtlich
verpflichtet sei, die Handakten für einen Zeitraum von fünf Jahren nach
Beendigung des Auftrags aufzubewahren (§ 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der bis zum
17.05.2017 geltenden Fassung, nachfolgend: a.F.). Jedenfalls sei § 695 Satz 2
BGB entsprechend anzuwenden. Bezüglich eines Herausgabeanspruchs aus einem
Verwahrungsvertrag habe die Verjährungsfrist ohnehin gem. § 695 Satz 2 BGB erst
mit der Rückforderung und damit im Jahr 2015 zu laufen begonnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
sowie wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zu den Akten gereichten
Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen durchsetzbaren
Anspruch auf Herausgabe der bei der Beklagten aufgrund des Mandatsverhältnisses
zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten geführten Handakten.
A.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus §§ 667, 675 Abs.
1 BGB.
I.
Zwar ist ein solcher Anspruch entstanden.
Zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten ist
aufgrund Mandatsvereinbarung vom 31.08.2011, die gemäß Buchstabe A. Ziffer 1.
die umfassende wirtschaftsrechtliche Beratung der Insolvenzschuldnerin zum
Gegenstand hatte (Anlage K1, Bl. 9 d.A.), unstreitig ein
Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 Abs. 1 BGB zustande gekommen.
Gemäß § 667 BGB, der über § 675 Abs. 1 BGB Anwendung findet, ist die Beklagte
verpflichtet, dem Kläger alles, was sie zur Ausführung des Auftrags erhält und
was sie aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. Unter § 667 BGB
fallen auch die von einem Rechtsanwalt geführten Handakten des Rechtsanwalts
(BGH, NJW 1990, 510 f.; LG Mannheim, NJOZ 2013, 287). Der Anspruch wird dabei
spätestens fällig mit Beendigung des Auftragsverhältnisses (BGH, NJW 1990, 510
(BGH 30.11.1989 – III ZR 112/88)), vorliegend mit Insolvenzeröffnung durch
Beschluss des Amtsgerichts C vom 01.07.2012, Az. …, § 115 Abs. 1, 116 Satz 1
InsO.
II.
Dieser Anspruch ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, weil er
gem. §§ 195, 199 Abs. 1, 214 Abs. 1 BGB verjährt ist.
1.
Die Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB findet auf
den Herausgabeanspruch nach § 667 BGB Anwendung (Sprau, in: Palandt, BGB, 77.
Aufl. 2018, § 667 Rn. 9). Dies gilt auch für den auf §§ 675 Abs. 1, 667 BGB
gestützten Anspruch auf Herausgabe der anwaltlichen Handakten (BGHZ 109, 260,
264 f.; Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1427).
2.
Dabei sind die §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für den Anspruch eines
Auftraggebers auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte nicht dahingehend
teleologisch zu reduzieren, dass Verjährung nicht vor Ablauf der in § 50 Abs. 1
Satz 1 BRAO in der seit dem 18.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: n.F.)
oder in § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der bis zum 17.05.2017 geltenden Fassung
(nachfolgend: a.F.) normierten Aufbewahrungsfrist eintritt. Die allgemeinen
Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB sind nicht um einen Ausnahmetatbestand
im eben genannten Sinne zu ergänzen.
Eine teleologische Reduktion setzt voraus, dass das Gesetz,
gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht und der ihm immanenten Teleologie
unvollständig ist, mithin eine nach dem Regelungsplan oder dem
Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartende Regel fehlt (Larenz/Canaris,
Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, 196 f.) und dass die Ergänzung um einen
Ausnahmetatbestand wertungsmäßig geboten ist, was einerseits durch den Sinn und
Zweck der einzuschränkenden Norm selbst oder durch den insoweit vorrangigen
Zweck einer anderen Norm geboten sein kann, wobei jeweils das Gebot der
Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln zu beachten ist
(Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 211).
a)
Für die vorliegende Fallgestaltung ist dem Gesetz bereits
keine planwidrige verdeckte Regelungslücke zu entnehmen.
Zwar kann gegen das Bestehen einer Regelungslücke entgegen
der Auffassung der Beklagten nicht angeführt werden, eine Diskrepanz zwischen
Verjährungs- und Aufbewahrungsfrist bestehe bereits seit über 100 Jahren
(Schriftsatz vom 16.02.2018, Seite 5 f., 151 f. d.A.). Angesichts der vormals
geltenden allgemeinen Verjährungsfrist von dreißig Jahren gemäß § 195 BGB in
der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung und der kürzeren Aufbewahrungsfrist
von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der Fassung vom 01.10.1959
(BGBl. I 1959, S. 565) bestand keine Veranlassung dahingehend, die
Fallkonstellation einer Verjährung vor Ablauf der Aufbewahrungsfrist gesondert
zu regeln. Abs. 43
Dagegen, dass das Gesetz in Bezug auf die Verjährung des
Herausgabeanspruchs lückenhaft ist, spricht jedoch, dass das Gesetz in § 51b
BRAO in der bis zum 14.12.2004 geltenden Fassung für Schadensersatzansprüche
des Auftraggebers durchaus eine spezielle Verjährungsregelung vorsah. Diese
Regelung wurde mit Gesetz vom 09.12.2004 (BGBl. I 2004, S. 3214) aufgehoben,
nachdem die kürzere Verjährungsfrist von drei Jahren mit derjenigen der
Regelverjährung zusammengefallen war. Dem ist zu entnehmen, dass der
Gesetzgeber sich mit der Verjährung von Ansprüchen des Auftraggebers gegen den
Rechtsanwalt auseinandergesetzt hat und eine speziell für den Anspruch auf
Herausgabe der Handakten geltende Verjährungsregel nicht eingeführt werden
sollte.
Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht zudem, dass
der Gesetzgeber mit § 50 Abs. 1 BRAO in der Fassung vom 01.10.1959 (BGBl. I
1959, S. 565) hinsichtlich des Anspruchs auf Herausgabe der Handakte ein
Zurückbehaltungsrecht eingeführt hat. Das Zurückbehaltungsrecht findet sich
nunmehr in § 50 Abs. 3 BRAO in der Fassung vom 03.09.1994 (BGBl. I 1994, S.
2278). Das Gesetz enthält mithin für den Anspruch des Auftraggebers auf
Herausgabe der anwaltlichen Handakten eine Spezialregelung. Es wäre mithin zu
erwarten gewesen, dass das Gesetz auch hinsichtlich der Verjährung des
Herausgabeanspruchs eine eigene Vorschrift vorhält, sofern von den allgemeinen
Verjährungsvorschriften abgewichen werden sollte.
Zuletzt hat der Gesetzgeber mit dem am 18.04.2017 in Kraft
getretenen Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur
Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (BGBl. I
2017, S. 1121) den § 50 BRAO einer umfangreichen Novellierung zugeführt und
dabei ebenfalls von einer Regelung der Verjährung des Herausgabeanspruchs
abgesehen.
Insgesamt besteht daher keine planwidrige verdeckte
Regelungslücke.
b)
Überdies ist die Ergänzung um einen wie oben dargestellten
Ausnahmetatbestand nicht wertungsmäßig geboten.
Dabei ist zunächst der Zweck der Verjährung zu
berücksichtigen. Die Verjährung dient zum einen dazu, dem fälschlich als
Schuldner in Anspruch Genommenen die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu
erleichtern. Soweit begründete Ansprüche betroffen sind, dient die Verjährung
zum einen dem Schuldnerschutz, da sich die Beweisposition und die
Regressmöglichkeiten mit dem Zeitablauf verschlechtern, und zum anderen dem
Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (insgesamt s. Ellenberger, in: Palandt,
BGB, 77. Aufl. 2018, vor § 194 Rn. 7 ff.).
Was den Herausgabeanspruch selbst anbelangt, dient die
Verjährung nur in eingeschränktem Maße dem Schutz des Schuldners vor einer
Verschlechterung seiner Beweisposition. Außer vom Bestehen eines
Geschäftsbesorgungsvertrages wird der Herausgabeanspruch nicht von weiteren
Voraussetzungen – etwa einem berechtigten Interesse (vgl. etwa § 810 BGB) –
abhängig gemacht (s.o.), sodass im Hinblick auf die Abwehr des
Herausgabeanspruches eine Verschlechterung der Beweisposition nicht zu besorgen
ist. Auch ist nicht ersichtlich, dass Regressmöglichkeiten verloren gehen
könnten. Für den Anspruch des Auftraggebers auf Herausgabe der anwaltlichen
Handakte ist jedoch der Zweck der Schaffung und Erhaltung von Rechtsfrieden und
Rechtssicherheit von Bedeutung. Dabei ist zwar zu beachten, dass nach Ablauf
der zivilrechtlichen Verjährungsfrist und bis zum Ablauf der Frist der
Verfolgungsverjährung nach § 115 BRAO (fünf Jahre) noch berufsrechtliche
Sanktionen möglich sind, sodass der Schutz öffentlicher Interessen zurücktritt.
Denn auch mit Ablauf der allgemeinen zivilrechtlichen Verjährungsfrist wird
damit noch kein „Schlussstrich“ gezogen. Im Verhältnis zu seinem
Auftraggeber hat der Rechtsanwalt jedoch ein berechtigtes Interesse daran, nach
Ablauf einer gewissen Zeit davon ausgehen zu dürfen, diesem gegenüber nicht
mehr zur Herausgabe verpflichtet zu sein. Wie der vorliegende Fall zeigt, kann
der Herausgabeanspruch des Auftraggebers dazu dienen, Schadensersatzansprüche
gegen den Rechtsanwalt vorzubereiten. Insofern droht dem Rechtsanwalt als
Schuldner des Herausgabeanspruchs wiederum eine Verschlechterung seiner
Beweisposition, da Ansprüche, die auf Informationen aus der Handakte gestützt
werden, mit dem Zeitablauf möglicherweise – etwa wegen des Erinnerungsverlustes
von Zeugen – nur noch mit verringerten Erfolgsaussichten abgewehrt werden
können. Der Kläger hat vorgetragen, es bestehe die begründete Annahme dafür,
dass im Zusammenhang mit der Beratungsleistung Haftungsansprüche gegen die
Beklagte bestehen könnten (Schriftsatz vom 13.02.2017, Seite 2, Bl. 34 f.
d.A.). Die Beklagte habe es nach Ansicht des Klägers pflichtwidrig unterlassen,
auf eine spätestens am 23.01.2012 eingetretene Insolvenzreife der
Insolvenzschuldnerin und die bestehende Insolvenzantragspflicht hinzuweisen; es
bestünden daher Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auf Ersatz der
Vertiefung der Überschuldung haften dürfte. Inhaltlich überschneide sich dieser
Anspruch mit einem vor dem Landgericht C geführten Parallelverfahren, in dem
der Kläger Vorstandsmitglieder der Insolvenzschuldnerin in Anspruch nehme. Der
dortige Gegenstandswert betrage … € (Schriftsatz vom 13.02.2017, Seite 3, Bl.
36 d.A.).
Der soeben dargestellte Zweck der Verjährungsregelung hat
gegenüber dem Zweck der Aufbewahrungspflicht nicht zurückzutreten. Die
berufsrechtliche Pflicht zur Aufbewahrung der Handakte dient in erster Linie
Aufsichtszwecken (Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1427), nicht dem Schutz des
Auftraggebers. Dies folgt zum einen aus der systematischen Stellung des § 50 Abs.
2 Satz 1 BRAO a.F. beziehungsweise § 50 Abs. 1 Satz 2 BRAO n.F. Der erste
Abschnitt des Dritten Teils der Bundesrechtsanwaltsordnung hat primär zum Ziel,
die Achtung und das Vertrauen des Rechtssuchenden in die Integrität des
Berufsstandes zu erhalten. Dies zeigt bereits die in § 43 BRAO normierte
allgemeine Berufspflicht. Gemäß § 43 Satz 1 BRAO hat der Rechtsanwalt seinen
Beruf „gewissenhaft“ auszuüben. Diese Pflicht wird in § 43 Satz 2
BRAO dahingehend konkretisiert, der Anwalt habe sich innerhalb und außerhalb
des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des
Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. Auch die in § 43a BRAO normierten
Grundpflichten werden demnach als berufsrechtliche Pflichten eingeordnet (für §
43a Abs. 4 BRAO s. etwa BGH, NJW 2016, 2561 (BGH 12.05.2016 – IX ZR 241/14)),
konkretisieren mithin die vorgenannte allgemeine berufsrechtliche Pflicht.
Dass die Aufbewahrungspflicht primär aufsichtsrechtliche
Zwecke verfolgt, wird auch durch § 56 Abs. 1 Satz 1 BRAO belegt, wonach der
Rechtsanwalt verpflichtet ist, dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer oder einem
beauftragten Mitglied die Handakten vorzulegen. Zweck dieser Vorschrift kann
allein die Prüfung sein, ob das Berufsrecht eingehalten wurde und ob ein Antrag
auf Einleitung des anwaltsgerichtliche Verfahrens zu stellen ist (s. § 122 Abs.
1 BRAO).
Der Gesetzesbegründung zur Novellierung des § 50 BRAO ist
entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu entnehmen, dass der Regelungszweck
der Aufbewahrungspflicht vorrangig in dem Erhalt des Herausgabeanspruchs des
Auftraggebers zu sehen ist. Die Passage
„Mandantinnen und Mandanten, die dem von ihnen
beauftragten Rechtsanwalt Dokumente übergeben haben, müssen sich darauf
verlassen können, diese von ihrem Rechtsanwalt auch wieder zurück zu bekommen,
soweit kein Fall des Absatzes 3 Satz 1 vorliegt.“ (BT-Drucks. 18/9521, S.
116, vorgelegt als Anlage K 4, Bl. 117 d.A.) lässt sich auch aus einer
berufsrechtlichen, auf den Erhalt der Achtung des Vertrauens des Rechtssuchenden
in die Integrität des Berufsstandes gerichteten Perspektive, lesen.
Der vorgenannten Gesetzesbegründung lässt sich vielmehr
entnehmen, dass der primäre Regelungszweck der Aufbewahrungspflicht
aufsichtsrechtlicher Natur ist. So heißt es in der Gesetzesbegründung
(BT-Drucks. 18/9521, S. 115; Hervorhebungen durch den Verfasser):
„Mit dem neuen Satz 2 wird erstmals eine
Aufbewahrungsfrist für diejenigen Teile der Handakte festgelegt, die nicht
unter § 50 Absatz 2 und 3 BRAO-E (derzeit § 50 Absatz 2 bis 4 BRAO) fallen.
Eine solche Fristbestimmungerscheint erforderlich, um klarzustellen, für welche
Dauer Handakten zum Zweck der Aufsicht zur Verfügungstehen müssen. Ein
datenschutzrechtlicher Löschungsanspruch der Mandantschaft ist während dieser
Zeit ausgeschlossen. Der Fristbestimmung kommt dabei die wichtige Funktion zu,
für alle Beteiligten auch im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Vorgabe,
dass personenbezogene Daten jeweils nur so lange gespeichert werden dürfen, wie
ihre Speicherung erforderlich ist, allgemein und rechtssicher zu bestimmen, für
welche Frist eine Aufbewahrung der Handakte zulässig ist. Die sich derzeit noch
aus § 35 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 BDSG ergebende datenschutzrechtliche
Löschungsverpflichtung wird sich zukünftig voraussichtlich unmittelbar aus der
kurz vor der Verabschiedung stehenden Verordnung des Europäischen Parlaments
und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutzgrundverordnung)
ergeben. Gerade im Hinblick auf die dort sehr allgemeinen Regelungen zu
Löschungspflichten erscheint es sinnvoll und erforderlich, dass nicht jeder
einzelne Rechtsanwalt im Hinblick auf den Gegenstand jeder einzelnen Handakte
gegenüber der Datenschutzaufsichtsbehörde begründen muss, warum die
Aufbewahrung dieser Handakte zum Zweck der Aufsicht noch erforderlich ist,
sondern für einen bestimmten Zeitraum für alle Beteiligten die Erforderlichkeit
und Zulässigkeit der Aufbewahrung zu diesem Zweck gesetzlich klargestellt ist.
Anschließend sind die Handakten, da sie wohl immer personenbezogene Daten
enthalten werden, aufgrund der datenschutzrechtlichenVorgaben zu vernichten,
soweit sich nicht aus anderen Gründen eine Pflicht oder Befugnis zu ihrer weiteren
Aufbewahrung ergibt.
Der Rechtsanwalt hat über die aufsichtsrechtlichen Aspekte
hinaus zumeist auch aus anderen Gründen ein Interesse daran, geordnete
Handakten zu führen. So kann er hierdurch den gegenüber seiner Mandantschaft
bestehenden Auskunfts-, Rechenschafts- und Herausgabepflichten nach den §§ 666,
667, 675 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und den §§ 11 und 23 BORA
nachkommen (vgl. Böhnlein in: Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Auflage 2012, § 50
BRAO, Rn. 7).“
Dieser Passage ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit
der Aufbewahrungspflicht vorrangig aufsichtsrechtliche Ziele verfolgt und
lediglich nachrangig auch die Erfüllung von zivilrechtlichen
Herausgabeansprüchen im Blick hat.
Zwar ist dem Kläger insoweit beizupflichten, als vor diesem
Hintergrund die gesetzliche Regelung inkonsistent erscheint. Es erschließt sich
nicht, weshalb § 50 BRAO nicht die Vervollständigung der Handakte bei
Herausgabe an den Auftraggeber fordert, wenn der primäre Zweck
aufsichtsrechtlicher Natur ist (so auch Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1427).
Ebenso wenig ist die Regelung des § 50 Abs. 2 Satz 2 BRAO a.F. beziehungsweise
§ 50 Abs. 2 Satz 3 BRAO n.F., wonach der Rechtsanwalt die Aufbewahrungspflicht
abwenden kann, wenn er den Auftraggeber zur Entgegennahme aufgefordert hat, mit
der aufsichtsrechtlichen Zweckrichtung zu vereinbaren. Zu erwarten wäre auch
insoweit eine Pflicht zur Vervollständigung gewesen (Deckenbrock, NJW 2017,
1425, 1427). Dass das Gesetz seine Regelungsziele nicht konsequent verfolgt,
führt jedoch noch nicht dazu, dass diese – hier aus der systematischen
Stellung, der Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 1 BRAO und dem gesetzgeberischen
Willen ableitbare – Regelungsziele obsolet werden.
3.
Ebenso wenig ist § 695 Satz 2 BGB auf den vorliegenden Fall
analog anzuwenden. § 695 Satz 2 BGB ist eine Sonderregelung, die den
Besonderheiten der §§ 688 ff. BGB Rechnung trägt. Da der Rückforderungsanspruch
des Hinterlegers bereits mit der Hinterlegung der Sache entsteht und dies dem
Hinterleger bekannt ist, hätte die Anwendbarkeit des § 199 Abs. 1 BGB zur
Folge, dass der Verwahrer nach Ende des vierten Jahres stets die Herausgabe der
Sache verweigern könnte (Sprau, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 695 Rn. 1).
Dies widerspräche dem Wesen des verhaltenen Anspruchs aus § 695 Satz 1 BGB.
Bei dem auf die Herausgabe der anwaltlichen Handakte
gerichteten Anspruch aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB besteht jedoch eine gegenüber §
695 BGB abweichende Interessenlage. Der Anspruch auf Herausgabe der
anwaltlichen Handakte wird spätestens fällig mit Beendigung des
Auftragsverhältnisses (BGH, NJW 1990, 510 (BGH 30.11.1989 – III ZR 112/88)), es
handelt sich mithin nicht um einen verhaltenen Anspruch (hierzu s. Ellenberger,
in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 199 Rn. 8). Wie bereits dargestellt wurde,
greift beim Anspruch auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte auch der Zweck
der Verjährungsvorschriften, nämlich der Erhalt von Rechtsfrieden und der
Schutz des Schuldners vor einer Verschlechterung seiner Beweisposition.
4.
Die Verjährungsfrist hat vorliegend gemäß § 199 Abs. 1 BGB
mit Schluss des Jahres 2012 begonnen. Der Anspruch ist mit Insolvenzeröffnung
fällig geworden. Dass der Kläger ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung von
den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis
hatte oder jedenfalls ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, wird von dem
Kläger nicht in Abrede gestellt. Verjährung ist mithin mit Schluss des Jahres
2015 eingetreten. Eine Verjährungshemmung im Sinne des § 204 BGB ist nicht
ersichtlich. Nachdem die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat, ist
der Anspruch demnach nicht mehr durchsetzbar.
B.
Ein Herausgabeanspruch ergibt sich auch nicht aus § 695 Satz
1 BGB.
Zwischen den Parteien ist kein Verwahrungsvertrag im Sinne
des § 688 BGB zustande gekommen.
Vorrangig ist dabei die schriftliche und in Kopie als Anlage
K 1 (Bl. 9 ff. d.A.) zur Akte gereichte Mandatsvereinbarung auszulegen. Es
besteht eine Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für alle über ein
Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden (BGH, NJW 1980, 1680, 1681). Wer eine im
Widerspruch zum Vertragsinhalt stehende für ihn günstige Vereinbarung
behauptet, ist hierfür darlegungs- und beweisbelastet (BGH, NJW 1980, 1680,
1681 (BGH 19.03.1980 – VIII ZR 183/79)). Gleichermaßen hat derjenige, der ein
ihm günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt,
diese Umstände zu beweisen (BGH, NJW 1999, 1702 (BGH 05.02.1999 – V ZR
353/97)). Ebenso ist es Sache desjenigen, der ein vom Wortlaut und objektiven
Sinn abweichendes Verständnis der Erklärenden geltend macht, den abweichenden
(übereinstimmenden) Willen darzutun und nachzuweisen (BGH, NJW 1995, 3258; NJW
2001, 144, 145 (BGH 11.09.2000 – II ZR 34/99)).
Ziffer 13 der Mandatsvereinbarung kann aus Sicht eines
objektiven Dritten bei vernünftiger Beurteilung der ihm bekannten oder
erkennbaren Umstände (zu diesem Maßstab s. BGH, NJW 2006, 286 f. (BGH
20.10.2005 – III ZR 37/05); NJW 2005, 3636 f.) nicht dahingehend verstanden
werden, dass die Parteien einen Verwahrungsvertrag geschlossen haben.
Hiergegen spricht bereits, dass sich Ziffer 13 der
Mandatsvereinbarung auf die Pflicht zur Aufbewahrung von „Akten“
bezieht. Vertragstypische Pflicht des Verwahrungsvertrages ist es jedoch, dass
der Verwahrer verpflichtet wird, eine ihm von dem Hinterleger übergebene
bewegliche Sache aufzubewahren. Dies kann bei „Akten“, die erst im
Laufe des Mandatsverhältnisses nach und nach entstehen, bereits nur bezüglich
derjenigen Unterlagen der Fall sein, die von dem Mandanten an den Rechtsanwalt
übergeben werden. Ziffer 13 der Mandatsvereinbarung betrifft jedoch die
„Akten“ und damit auch solche Aktenbestandteile, die gar nicht
Gegenstand eines Verwahrungsvertrages sein können, etwa die Korrespondenz mit
Dritten oder dem Auftraggeber oder Schriftstücke oder sonstige Unterlagen, die
die Beklagte von Dritten erhalten würde. Darüber hinaus stellen die Handakten
des Rechtsanwalts, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, dessen
Arbeitsgrundlage dar. Die vorgenannte Vertragsklausel bezieht sich mithin nicht
auf eine Übergabe beweglicher Sachen in die Obhut des Verwahrers zum Zwecke
fremdnütziger Aufbewahrung, wie es für den Verwahrungsvertrag typisch ist (dazu
s. Sprau, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 688 Rn. 1).
Weiterhin wird aus Satz 2 der vorgenannten Klausel deutlich,
dass die Vereinbarung einer Aufbewahrungsfrist im Hinblick auf die Berechtigung
zur Datenlöschung beziehungsweise Aktenvernichtung erfolgte, nicht jedoch im
Hinblick auf die Gewährung von Raum für eine bewegliche Sache und die Übernahme
der Obhut für sie.
Nachdem die vorgenannte Vertragsklausel bereits eindeutig
nicht als Verwahrungsvertrag ausgelegt werden kann, verbleiben keine Zweifel
bei der Auslegung im Sinne des § 305c Abs. 2 BGB. Im Übrigen hat der Kläger
nicht dargelegt, dass es sich bei der vorgenannten Vertragsklausel um eine
solche handelt, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist und die
die Beklagte gestellt hat, § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern lediglich pauschal
auf § 305c Abs. 2 BGB Bezug genommen (s. Replik vom 17.01.2018, Seite 8, Bl.
111 d.A.).
Der Kläger hat auch weder behauptet noch dargelegt, dass
eine im Widerspruch zum Vertrag stehende für ihn günstige Vereinbarung
geschlossen wurde noch dass die in seinem Sinne vorgenommene Vertragsauslegung
auf Umstände außerhalb der Urkunde zu stützen ist. Soweit er vorgetragen hat,
die Zeugen E und F hätten bei Vertragsschluss das Verständnis gehabt, dass für
einen Zeitraum von zehn Jahren nach Abschluss des Mandats offeriert worden sei,
die Unterlagen an den Mandanten herauszugeben (Schriftsatz vom 16.02.2018,
Seite 6, Bl. 164 d.A.), so hat er damit nicht ausreichend dargelegt, dass die
Vertragsparteien ein vom Wortlaut und objektiven Sinn der Mandatsvereinbarung
abweichendes übereinstimmendes Verständnis hatten. Der Kläger behauptet bereits
nicht, dass ein gegenüber der Mandatsvereinbarung abweichender
übereinstimmender Wille der Vertragsparteien bestand. Was den Vertreter der
Beklagten G anbelangt, so bestreitet der Kläger lediglich, dass dieser ein
anderes Verständnis gehabt habe als die vorgenannten Zeugen E und F. Sofern der
Kläger hiermit behaupten will, der Vertreter der Beklagten G habe das gleiche
Verständnis gehabt wie die Zeugen E und F, so handelt es sich um eine Behauptung
„aufs Geratewohl“ beziehungsweise „ins Blaue hinein“. Der
Kläger trägt dafür, dass der vorgenannte Vertreter der Beklagten entgegen dem
Inhalt der schriftlichen Mandatsvereinbarung ein solches Verständnis hatte,
keine greifbaren Anhaltspunkte vor, sodass sich diese Behauptung als
willkürlich darstellt. Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, die Regelung
in Ziffer 13 der Mandatsvereinbarung sei vor dem Hintergrund
datenschutzrechtlicher Bestimmungen erfolgt; es sei darum gegangen,
unberechtigte Ersatzansprüche abwehren zu können (Klageerwiderung vom
13.06.2017, Seite 19, Bl. 80 d.A.). Wie sich aus der vorzitierten
Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9521, S. 115) ergibt, kommen
datenschutzrechtliche Löschungspflichten des Rechtsanwalts durchaus in Betracht,
sodass ein berechtigtes Interesse an einer Verlängerung der
Aufbewahrungspflicht bestehen kann. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger
greifbare Anhaltspunkte dafür liefern müssen, dass der Vertreter der Beklagten
G ein vom Inhalt der Mandatsvereinbarung abweichendes mit demjenigen der Zeugen
E und F übereinstimmendes Verständnis hatte. Dies hat er nicht getan.
C.
Ein Herausgabeanspruch folgt auch nicht aus § 50 Abs. 3 Satz
1 BRAO.
§ 50 Abs. 3 Satz 1 BRAO stellt entgegen der Auffassung des
Klägers bereits keine Grundlage für einen Anspruch auf Herausgabe der
anwaltlichen Handakte dar. Diese Vorschrift normiert lediglich ein
Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts bis zur Befriedigung wegen seiner
Gebühren und Auslagen.
Dabei ist zunächst – worauf die Beklagte zu Recht
hingewiesen hat – streng zwischen zivilrechtlichem Anspruch und
berufsrechtlicher Pflicht zu unterscheiden. Das eine bedingt nicht zwangsläufig
das andere. Besteht ein zivilrechtlicher Anspruch im Verhältnis zwischen
Auftraggeber und Rechtsanwalt, so führt dessen Nichtbefriedigung nicht
zwangsläufig zu einer berufsrechtlichen Sanktion. Umgekehrt geht auch nicht
jede Verletzung einer berufsrechtlichen Pflicht mit einem zivilrechtlichen
Anspruch einher. Die grundsätzliche Unabhängigkeit der jeweiligen
Regelungsbereiche wird durch ihren unterschiedlichen Regelungszweck bedingt.
Während es zivilrechtlich um einen gerechten Ausgleich der Interessen im
Verhältnis zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt geht, verfolgt das
Berufsrecht – wie etwa § 43 Satz 2 BRAO zeigt – vorrangig den Zweck, die
Achtung und das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Integrität des
Berufsstandes zu bewahren (s. auch BGH, NJOZ 2015, 501, 502, Rn. 8).
Das von dem Kläger zitierte Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 3.11.2014 (NJOZ 2015, 501) verhält sich nicht zu der Frage, ob § 50 Abs. 3
BRAO eine Anspruchsgrundlage zugunsten des Mandanten darstellt. In dem vom
Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob ein Rechtsanwalt,
der Handakten nicht herausgibt, berufsrechtlich gemäß §§ 113, 114 BRAO
sanktioniert werden kann, nicht jedoch um einen Herausgabeanspruch des
Mandanten. Der Bundesgerichtshof ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass
unmittelbar aus § 50 Abs. 3 BRAO eine berufsrechtliche Herausgabepflicht
gefolgert werden müsse (BGH, NJOZ 2015, 501, 502 f., Rn. 9 ff.).
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf die
Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie
und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe
(BGBl. I S. 1121) verweist, so folgt aus der Gesetzesbegründung nicht, dass §
50 Abs. 3 BRAO beziehungsweise die Gesamtregelung des § 50 BRAO in der bis zum
17.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.) als Anspruchsgrundlage
zugunsten des Mandanten ausgestaltet war. Der Passage
„Mit dem neuen Absatz 2 Satz 1 wird die derzeit
umstrittene Frage (…), ob neben der zivilrechtlichen Herausgabepflicht nach
den §§ 667, 675 BGB auch eine berufsrechtliche Herausgabepflicht besteht, der
Klärung zugeführt.“ (BT-Drucks. 18/9521, vorgelegt als Anlage K 4, Bl. 117
d.A.) lässt sich vielmehr entnehmen, dass der Gesetzgeber den vormals
herrschenden Streit über das Bestehen einer berufsrechtlich sanktionierbaren
Herausgabepflicht klären wollte. Eine Aussage dazu, ob § 50 Abs. 3 BRAO
beziehungsweise die Gesamtregelung des § 50 BRAO a.F. eine Anspruchsgrundlage
zugunsten des Mandanten darstellen, enthält die Gesetzesbegründung hingegen
nicht.
Richtigerweise besteht zwar – wie vom Bundesgerichtshof
ausgeurteilt – eine aus § 50 Abs. 3 BRAO abgeleitete eigenständige und nicht
auf einen zivilrechtlichen Anspruch rekurrierende berufsrechtliche Pflicht zur
Herausgabe der anwaltlichen Handakte (BGH, NJOZ 2015, 501, 502 f., Rn. 9 ff.).
Dies hat die Rechtsanwaltskammer in dem hier durch den Kläger angestrengten
Beschwerdeverfahren (s. das Schreiben der Rechtsanwaltskammer D vom 18.05.2016,
Anlage B2) verkannt. Inzwischen wurde diese Herausgabepflicht für einen Teil
der Handakte in § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO ausdrücklich normiert.
§ 50 Abs. 3 BRAO beziehungsweise die Gesamtregelung des § 50
BRAO a.F. stellen jedoch keine Anspruchsgrundlage zugunsten des Auftraggebers
dar. Bereits der Wortlaut lässt sich nicht in diese Richtung deuten. Ein
Anspruch ist nach der Legaldefinition des § 194 Abs. 1 BGB das „Recht, von
einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. § 50 Abs. 3 BRAO
normiert lediglich ein Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts und nimmt damit
auf einen anderweitig begründeten Anspruch Bezug. Auch die systematische
Stellung spricht gegen eine Anspruchsgrundlage zugunsten des Auftraggebers. Die
Bundesrechtsanwaltsordnung regelt das Berufsrecht der Rechtsanwälte und
verfolgt vorrangig das Ziel, die Achtung und das Vertrauen der Rechtssuchenden
in die Integrität des Berufsstandes zu bewahren (s.o.). Demgegenüber wird das
zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt bestehende Rechtsverhältnis durch die §§
675 ff. BGB geregelt. Eine in der Bundesrechtsanwaltsordnung normierte
zivilrechtliche Anspruchsgrundlage stellt sich mithin als systemfremd dar.
Letztlich besteht für einen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch auch kein
Bedürfnis, weil die §§ 675 Abs. 1, 667 BGB dem Auftraggeber einen solchen
Anspruch gewähren (s.o.).
D.
Schließlich ergibt sich ein Herausgabeanspruch auch nicht
aus § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F.
I.
Dabei ist zunächst zu beachten, dass § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO
n.F. lediglich einen Teil der Handakte erfasst, nämlich Dokumente, die der
Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder
für ihn erhalten hat.
II.
§ 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. stellt zwar eine
zivilrechtliche Anspruchsgrundlage zugunsten des Auftraggebers dar.
Zwar spricht die Gesetzesbegründung zur Novellierung des §
50 BRAO gegen ein solches Verständnis. Dort heißt es:
„Mit dem neuen Absatz 2 Satz 1 wird die derzeit
umstrittene Frage (…), ob neben der zivilrechtlichen Herausgabepflicht nach
den §§ 667, 675 BGB auch eine berufsrechtliche Herausgabepflicht besteht, der
Klärung zugeführt. Dabei wird mit Offermann-Burckart (…) davon ausgegangen,
dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 50 BRAO auch eine berufsrechtliche
Herausgabepflicht angenommen hat, ohne diese dabei jedoch explizit zum Ausdruck
gebracht zu haben. Eine solche Pflicht erscheint auch inhaltlich sachgerecht:
Mandantinnen und Mandanten, die dem von ihnen beauftragten Rechtsanwalt
Dokumente übergeben haben, müssen sich darauf verlassen können, diese von ihrem
Rechtsanwalt auch wieder zurück zu bekommen, soweit kein Fall des Absatzes 3
Satz 1 vorliegt.“ (BT-Drucks. 18/9521, S. 116)
Demnach sollte mit dem neuen § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO eine
berufsrechtliche Herausgabepflicht begründet werden, von einer zivilrechtlichen
Anspruchsgrundlage ist keine Rede.
Allerdings ist der Wortlaut unmissverständlich. Die
Formulierung
„(2) 1Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner
beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat der
Rechtsanwalt seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben.“
kann nicht anders verstanden werden, als dass dem
Auftraggeber ein Herausgabeanspruch eingeräumt wird. Die Novellierung wurde
entsprechend auch in der Literatur rezipiert (Deckenbrock, NJW 2017, 1425,
1427).
III.
§ 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. findet jedoch auf den
vorliegenden Fall keine Anwendung, weil für den Anspruch auf Herausgabe
derjenigen Dokumente, die die Beklagte aus Anlass des streitgegenständlichen
Mandatsverhältnisses von der Insolvenzschuldnerin oder für diese erhalten hat,
das zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mandatsvereinbarung geltende Recht
maßgeblich ist.
Eine Übergangsvorschrift findet sich im Gesetz zur Umsetzung
der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im
Bereich der rechtsberatenden Berufe (BGBl. I 2017, S. 1121) nicht. Es
entspricht jedoch einem allgemeinen Rechtsgedanken, dass ein Schuldverhältnis
in Bezug auf seine Voraussetzungen, seinem Inhalt und seinen Wirkungen dem
Recht untersteht, das zur Zeit der Verwirklichung seines
Entstehungstatbestandes galt (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018,
Einl. v. § 241 Rn. 14). Entsprechende Vorschriften finden sich etwa in Art.
170, 229 § 5 und 232 § 1 EGBGB. Ein Schuldverhältnis ist dabei eine
Sonderverbindung zwischen mindestens zwei Personen, kraft deren die eine von
der anderen eine Leistung zu fordern berechtigt ist, wobei es durch Vertrag,
einseitiges Rechtsgeschäft oder Gesetz entsteht (Grüneberg, in: Palandt, BGB,
77. Aufl. 2018, Einl. v. § 241 Rn. 3).
Vorliegend ist mit Abschluss der Mandatsvereinbarung am
31.08.2011 zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten ein
Schuldverhältnis im vorgenannten entstanden. Es gilt nach dem eben
dargestellten Rechtsgrundsatz das zum Zeitpunkt der Entstehung dieses
Schuldverhältnisses geltende Recht. Der auf die Herausgabe der bei der
Beklagten geführten Handakte gerichtete Anspruch stützt sich auf §§ 675 Abs. 1,
667 BGB in Verbindung mit der vorgenannten Mandatsvereinbarung und ist mithin
in diesem Schuldverhältnis begründet.
Die Einführung des § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. hat dabei
nicht die Wirkung, dass zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten ein
neues (gesetzliches) Schuldverhältnis entsteht mit der Wirkung, dass nunmehr §
50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. Anwendung findet und der Herausgabeanspruch in
unverjährter Form neu entsteht. Der Herausgabeanspruch nach § 50 Abs. 2 Satz 1
BRAO hat zur Voraussetzung, dass ein Geschäftsbesorgungsvertrag abgeschlossen
wurde. Der Auftraggeber kann sodann, auch noch vor Beendigung des Auftrags,
Herausgabe derjenigen Dokumente verlangen, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner
beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, ohne dass
weitere Voraussetzungen vorliegen müssen. § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. knüpft
mithin – wie auch der Anspruch aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB – an den Abschluss
des Geschäftsbesorgungsvertrages als Entstehungstatbestand an. Der auf §§ 675
Abs. 1, 667 BGB gestützte Herausgabeanspruch umfasst dabei auch solche
Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass des Mandatsverhältnisses von dem
Auftraggeber oder für diesen erlangt hat (s. zum Inhalt des Anspruchs aus §§
675 Abs. 1, 667 BGB BGH, NJW 1990, 510 f. (BGH 30.11.1989 – III ZR 112/88)),
sodass der Herausgabeanspruch nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. im
Herausgabeanspruch aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB aufgeht. Nach alledem entstand vorliegend
mit Einführung des § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. kein neues – auf die Herausgabe
von Dokumenten gerichtetes – Schuldverhältnis. Es verbleibt mithin bei der
Anwendung des zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mandatsvereinbarung geltenden
Rechts unter Ausschluss des am 18.04.2017 in Kraft getretenen § 50 Abs. 2 Satz
1 BRAO n.F.
IV.
Der zwischen den Parteien geführte Streit, ob der Anwendung
des § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F. das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG
entgegensteht, ist demgegenüber nicht streiterheblich.
Dabei hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass
Artikel 103 Abs. 2 GG zwar nicht nur für Kriminalstrafen, sondern auch für
staatliche Maßnahmen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes
Verhalten enthalten und damit auch für ehrengerichtliche Strafen gilt (BVerfG
NJW 1969, 2192, 2194 f. (BVerfG 11.06.1969 – 2 BvR 518/66), s. auch BVerfG, NJW
1976, 1883). Vorliegend handelt es sich jedoch um einen Fall der
tatbestandlichen Rückanknüpfung und nicht um einen Fall der Rückbewirkung von
Rechtsfolgen, weil die Herausgabepflicht nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F.
lediglich daran anknüpft, dass sich beim Rechtsanwalt noch solche Dokumente
befinden, die aufgrund eines Mandatsverhältnisses aufbewahrt werden. Eine
tatbestandliche Rückanknüpfung liegt dann vor, wenn Tatbestände den späteren
Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung
abhängig machen. Für diese Fälle wird kein genereller Vorrang der Rechtssicherheit
vor dem jeweils verfolgten gesetzgeberischen Anliegen angenommen (BVerfG, NJW
2004, 739, 748 (BVerfG 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01) (Sicherungsverwahrung) für
den rechtsstaatlich begründeten Vertrauensschutz).
Auf diese Streitfrage kommt es jedoch allein im Zusammenhang
mit der Verhängung berufsrechtlicher Sanktionen an. Für die Frage, welches
intertemporale Recht im zivilrechtlichen Verhältnis anzuwenden ist, ist auf die
oben dargestellten Grundsätze zurückzugreifen.
E.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit
finde