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EuGH: Zeugen Jehovas müssen bei „Hausbesuchen“ EU-Datenschutzrecht einhalten

Wer kennt die Situation nicht: Da ist man gerade dabei, dem
allmächtigen Satan ein paar Ziegen zu opfern oder will das Fliegende
Spaghettimonster mit einem Topf Pasta gnädig stimmen und da klingelt es an der
Tür. Man wird von zwei Personen angesprochen, ob man denn über Gott reden will.
Mit solchen Besuchen der Zeugen Jehovas hatte nun das EuGH  (EuGH , Urteil vom 10.07.2018 – C-25/17) zu tun.

Hintergrund ist ein Rechtsstreit aus Finnland. Dort hatte
ein Gericht es der religiösen Gemeinschaft untersagt, bei Besuchen Notizen mit
persönlichen Informationen anzufertigen.
Die Zeugen Jehovas müssen bei ihren
„Hausbesuchen“, bei denen sie etwa Name, Adresse und religiöse
Orientierung besuchter Personen notieren, die EU-Vorschriften über den Schutz
personenbezogener Daten beachten. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil
vom 10.07.2018 entschieden. Verantwortlich für die Datenverarbeitung sei die
Religionsgemeinschaft gemeinsam mit den Verkündern (Az.: C-25/17).

Zeugen Jehovas
notieren bei „Hausbesuchen“ persönliche Daten
Im September 2013 verbot die finnische Datenschutzkommission
den Zeugen Jehovas in Finnland, im Rahmen der von ihren Mitgliedern von Tür zu
Tür durchgeführten Verkündigungstätigkeit personenbezogene Daten zu erheben
oder zu verarbeiten, da die rechtlichen Voraussetzungen der Verarbeitung
solcher Daten nicht eingehalten würden. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft
machen sich im Rahmen ihrer „Hausbesuche“ Notizen über Besuche bei
Personen, die weder ihnen noch der Gemeinschaft bekannt sind. Zu den erhobenen
Daten können die Namen und Adressen der aufgesuchten Personen sowie
Informationen über ihre religiösen Überzeugungen und Familienverhältnisse
gehören. Diese Daten werden als Gedächtnisstütze erhoben, um für den Fall eines
erneuten Besuchs wiederauffindbar zu sein, ohne dass die betroffenen Personen
hierin eingewilligt hätten oder darüber informiert worden wären.   

Religionsgemeinschaft
organisiert Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder  
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas und ihre Gemeinden
organisieren und koordinieren die von Tür zu Tür durchgeführte Verkündigungstätigkeit
ihrer Mitglieder. Dazu erstellen sie insbesondere Gebietskarten, auf deren
Grundlage Bezirke unter den verkündigenden Mitgliedern aufgeteilt werden, und
führen Verzeichnisse über die Verkündiger und die Anzahl der von ihnen verbreiteten
Publikationen der Gemeinschaft. Außerdem führen die Gemeinden der Gemeinschaft
der Zeugen Jehovas eine Liste der Personen, die darum gebeten haben, nicht mehr
von den Verkündigern aufgesucht zu werden. Die in dieser Liste enthaltenen
personenbezogenen Daten werden von den Mitgliedern der Gemeinschaft verwendet.

Finnisches
Vorlagegericht fragt: EU-Datenschutzvorschriften anwendbar?
Das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten finnischen
Verwaltungsgerichtshofs betrifft im Wesentlichen die Frage, ob die Gemeinschaft
den EU-Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten (alte
Richtlinie 95/46/EG im
Licht von Art. 10 Abs. 1 der
EU-Grundrechtecharta) unterliegt, weil sich ihre Mitglieder bei der Ausübung
ihrer Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür Notizen über den Inhalt ihrer
Gespräche und insbesondere die religiöse Orientierung der von ihnen
aufgesuchten Personen machen.  

EuGH:
„Hausbesuche“ der Zeugen Jehovas keine ausschließlich persönliche
oder familiäre Tätigkeit
Der EuGH hält zunächst fest, dass die von den
Mitgliedern der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas von Tür zu Tür durchgehführte
Verkündigungstätigkeit nicht unter die Ausnahmen falle, die die EU-Vorschriften
über den Schutz personenbezogener Daten vorsähen. Insbesondere sei diese
Tätigkeit keine ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit, für die
diese Vorschriften nicht gelten. Der Umstand, dass die Verkündigungstätigkeit
von Tür zu Tür durch das in Art. 10 Abs. 1 der
EU-Grundrechtecharta verankerte Grundrecht auf Gewissens- und
Religionsfreiheit geschützt sei, verleihe ihr keinen ausschließlich
persönlichen oder familiären Charakter, da sie über die private Sphäre eines
als Verkündiger tätigen Mitglieds einer Religionsgemeinschaft hinausgehe.
 
Dateibegriff:
Datenstrukturierung muss leichte Wiederauffindbarkeit gewährleisten
Anschließend weist der EuGH einschränkend darauf
hin, dass die EU-Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten nur dann
auf die manuelle Verarbeitung von Daten anwendbar seien, wenn diese Daten in
einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Er führt aus, dass
der Begriff „Datei“ jede Sammlung personenbezogener Daten umfasse,
die im Rahmen einer Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erhoben worden seien
und zu denen Namen und Adressen sowie weitere Informationen über die aufgesuchten
Personen gehörten, sofern diese Daten nach bestimmten Kriterien so strukturiert
seien, dass sie in der Praxis zur späteren Verwendung leicht wiederauffindbar
sind. Um unter diesen Begriff zu fallen, müsse eine solche Sammlung nicht aus
spezifischen Kartotheken oder Verzeichnissen oder anderen der Recherche
dienenden Ordnungssystemen bestehen. Laut EuGH müssen demnach die
Verarbeitungen personenbezogener Daten, die im Rahmen der
Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erfolgen, mit den EU-Vorschriften über
den Schutz personenbezogener Daten im Einklang stehen.  

Verantwortlichkeit
für Datenverarbeitung kann mehrere beteiligte Akteure treffen  
Schließlich wendet sich der EuGH der Frage zu, wer
als für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verantwortlicher angesehen
werden kann. Er weist darauf hin, dass der Begriff „für die Verarbeitung
Verantwortlicher“ mehrere an dieser Verarbeitung beteiligte Akteure
betreffen könne, wobei dann jeder von ihnen den EU-Vorschriften über den Schutz
personenbezogener Daten unterliege. Diese Akteure könnten in verschiedenen
Phasen und in unterschiedlichem Ausmaß in die Verarbeitung einbezogen sein, so
dass der Grad der Verantwortlichkeit eines jeden von ihnen unter
Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen sei.

Verantwortlichkeit
setzt weder schriftliche Anweisungen zur Datenverarbeitung noch Datenzugang
voraus
Laut EuGH kann zudem aus keiner Bestimmung des
EU-Rechts geschlossen werden, dass die Entscheidung über die Zwecke und Mittel
der Verarbeitung mittels schriftlicher Anleitungen oder Anweisungen vom für die
Verarbeitung Verantwortlichen erfolgen müsse. Hingegen könne eine natürliche
oder juristische Person, die aus Eigeninteresse auf die Verarbeitung der
personenbezogenen Daten Einfluss nehme und damit an der Entscheidung über die
Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung beteiligt sei, als für die Verarbeitung
Verantwortlicher angesehen werden. Im Übrigen setze die gemeinsame
Verantwortlichkeit mehrerer Akteure nicht voraus, dass jeder von ihnen Zugang
zu den personenbezogenen Daten habe.

Verkündigungstätigkeit
organisierende und ermunternde Gemeinschaft mit verantwortlich
Im vorliegenden Fall ist nach Auffassung des EuGH davon
auszugehen, dass die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas gemeinsam mit ihren
verkündigenden Mitgliedern an der Entscheidung über den Zweck und die Mittel
der Verarbeitung der personenbezogenen Daten der aufgesuchten Personen
beteiligt sei, indem sie die Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder
organisiere und koordiniere sowie zu ihr ermuntere. Allerdings müsse dies das
finnische Gericht anhand sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles
beurteilen. Der in Art. 17 AEUV niedergelegte
Grundsatz der organisatorischen Autonomie der Religionsgemeinschaften stelle
diese Würdigung nicht in Frage. 

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