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BGH entscheidet über Rechtswidrigkeit des Tonträger-Samplings – Metall auf Metall IV

Bundesgerichtshof entscheidet über Rechtswidrigkeit des
Tonträger-Samplings
Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 115/16 – Metall auf
Metall IV
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, unter
welchen Voraussetzungen Rechte des Tonträgerherstellers durch Sampling verletzt
werden.
Sachverhalt:
Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe
„Kraftwerk“. Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf
dem sich das Musikstück „Metall auf Metall“ befindet. Die Beklagten
zu 2 und 3 sind die Komponisten des Titels „Nur mir“, den die
Beklagte zu 1 mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen
Tonträgern einspielte. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei
Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“
elektronisch kopiert („gesampelt“) und dem Titel „Nur mir“
in fortlaufender Wiederholung unterlegt.
Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als
Tonträgerhersteller verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung in
Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme „Nur mir“ herzustellen
und in Verkehr zu bringen. Außerdem haben sie die Feststellung der
Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger
zum Zweck der Vernichtung verlangt.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung
der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Revision der Beklagten hat der
Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (vgl.
Pressemitteilung vom 20. November 2008). Das Oberlandesgericht hat die Berufung
der Beklagten wiederum zurückgewiesen. Die erneute Revision der Beklagten hat
der Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat die
Revisionsurteile und das zweite Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an den
Bundesgerichtshof zurückverwiesen. Dieser hat daraufhin dem Gerichtshof der
Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und der Richtlinie 2006/115/EG zum
Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten
Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums vorgelegt, die der Gerichtshof
mit Urteil vom 29. Juli 2019 beantwortet hat. 
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Nunmehr hat der Bundesgerichtshof das erste
Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Mit der vom Oberlandesgericht gegebenen Begründung können
die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche weder in Bezug auf ein
Herstellen noch in Bezug auf ein Inverkehrbringen von Tonträgern zugesprochen
werden.
1. Hinsichtlich des Herstellens ist eine Verletzung des
Vervielfältigungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gemäß § 85 Abs. 1
Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. Insoweit ist im Blick darauf, dass die Richtlinie
2001/29/EG, die in Art. 2 Buchst. c das Vervielfältigungsrecht für
Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger sowie in Art. 5 Abs. 2 und 3
Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf dieses Recht regelt, nach ihrem Art.
10 auf Nutzungshandlungen ab dem 22. Dezember 2002 anwendbar ist, zwischen dem
Herstellen von Tonträgern mit der Aufnahme „Nur mir“ vor dem 22.
Dezember 2002 und ab dem vorgenannten Datum zu unterscheiden.
a) Für Vervielfältigungshandlungen vor dem 22. Dezember
2002 lässt sich eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger als
Tonträgerhersteller gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG auf der Grundlage der
im ersten Berufungsurteil getroffenen Feststellungen nicht abschließend
beurteilen. Infolge der Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht kommt eine
Berücksichtigung der Feststellungen im zweiten Berufungsurteil nicht in
Betracht. Der Senat hat allerdings in seinen Hinweisen für das neue
Berufungsverfahren erkennen lassen, dass das Vervielfältigungsrecht der Kläger
nicht verletzt sein dürfte, weil naheliegt, dass sich die Beklagten auf eine
freie Benutzung im Sinne des hier entsprechend anwendbaren § 24 UrhG berufen
können. Sie dürften mit dem Musikstück „Nur mir“ ein selbständiges
Werk im Sinne des § 24 Abs. 1 UrhG geschaffen haben. Da es sich bei der von den
Beklagten entnommenen Rhythmussequenz nicht um eine Melodie im Sinne des § 24
Abs. 2 UrhG handeln dürfte und eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift
nicht in Betracht kommt, dürften die Voraussetzungen einer freien Benutzung
gegeben sein. Im Hinblick darauf, dass es nach Ansicht des
Bundesverfassungsgerichts dem künstlerischen Schaffensprozess nicht hinreichend
Rechnung tragen würde, wenn die Zulässigkeit der Verwendung von gleichwertig
nachspielbaren Samples eines Tonträgers generell von der Erlaubnis des Tonträgerherstellers
abhängig gemacht würde, hält der Senat nicht an seiner Auffassung fest, dass
eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG ausscheidet, wenn es möglich
ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen.
b) Für Vervielfältigungshandlungen ab dem 22. Dezember
2002 kommt hingegen eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger in
Betracht.
aa) Seit diesem Zeitpunkt ist das in § 85 Abs. 1 Satz 1
Fall 1 UrhG geregelte Recht des Tonträgerherstellers zur Vervielfältigung des
Tonträgers mit Blick auf Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG
richtlinienkonform auszulegen. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG
stellt eine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung des materiellen Gehalts
des in ihr geregelten Rechts dar, die den Mitgliedstaaten keinen
Umsetzungsspielraum überlässt, sondern zwingende Vorgaben macht, so dass die
diese Vorschrift umsetzende Bestimmung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht am Maßstab
der Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht und damit auch
an den durch das Unionsrecht gewährleisteten Grundrechten zu messen ist. Nach
der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Union ist die Vervielfältigung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments
eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine teilweise
Vervielfältigung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG
anzusehen. Diese Auslegung entspricht dem Ziel der Richtlinie, ein hohes
Schutzniveau für das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte zu erreichen
und die beträchtlichen Investitionen zu schützen, die Tonträgerhersteller
tätigen müssen, um Produkte wie Tonträger anbieten zu können. Eine
Vervielfältigung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG liegt
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedoch nicht vor, wenn ein Nutzer in
Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in
geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu
nutzen. Aus einer Abwägung der Freiheit der Kunst (Art. 13
EU-Grundrechtecharta) und der Gewährleistung des geistigen Eigentums (Art. 17
Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) folgt, dass es in einer solchen Konstellation an
einer hinreichenden Beeinträchtigung der Interessen des Tonträgerherstellers
fehlt.
bb) Nach diesen Maßstäben stellt die Entnahme von zwei
Takten einer Rhythmussequenz aus dem Tonträger der Kläger und ihre Übertragung
auf den Tonträger der Beklagten eine Vervielfältigung im Sinne des Art. 2
Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG und damit auch des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall
1 UrhG dar. Bei der Prüfung der Frage, ob ein von einem Tonträger entnommenes
Audiofragment in einem neuen Werk in geänderter und beim Hören nicht
wiedererkennbarer Form genutzt wird, ist auf das Hörverständnis eines
durchschnittlichen Musikhörers abzustellen. Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts haben die Beklagten die Rhythmussequenz zwar in leicht geänderter,
aber beim Hören wiedererkennbarer Form in ihren neuen Tonträger übernommen.
cc) Die Beklagten können sich insoweit nicht auf eine
freie Benutzung im Sinne des § 24 Abs. 1 UrhG berufen. Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass ein
Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahme oder Beschränkung in
Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers aus Art. 2 Buchst. c der
Richtlinie 2001/29/EG vorsehen darf, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen
ist. Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG sieht keine (allgemeine) Ausnahme oder
Beschränkung in Bezug auf die Verwertungsrechte der Rechtsinhaber aus Art. 2
bis 4 der Richtlinie 2001/29/EG für den Fall vor, dass ein selbständiges Werk
in freier Benutzung des Werkes oder der Leistung eines Rechtsinhabers
geschaffen worden ist. Danach ist es nicht mehr zulässig, in einem solchen Fall
unabhängig davon, ob die Voraussetzungen einer der in Art. 5 der Richtlinie in
Bezug auf die Verwertungsrechte der Rechtsinhaber aus Art. 2 bis 4 der
Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen oder Beschränkungen vorliegen,
anzunehmen, der Schutzbereich eines Verwertungsrechts werde durch § 24 Abs. 1
UrhG in der Weise (immanent) beschränkt, dass ein selbständiges Werk, das in freier
Benutzung des Werkes oder der Leistung eines Rechtsinhabers geschaffen worden
ist, ohne seine Zustimmung verwertet werden darf.
dd) Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg auf
eine Schrankenregelung berufen. Die Voraussetzungen eines Zitats im Sinne des §
51 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der
Richtlinie 2001/29/EG liegen nicht vor, weil kein Anhaltspunkt dafür besteht,
dass die Hörer – wie für ein Zitat erforderlich – annehmen könnten, die dem
Musikstück „Nur mir“ unterlegte Rhythmussequenz sei einem fremden
Werk oder Tonträger entnommen worden. Das übernommene Audiofragment ist auch
kein unwesentliches Beiwerk im Sinne des § 57 UrhG in Verbindung mit Art. 5
Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie 2001/29/EG. Die Voraussetzungen einer Karikatur
oder Parodie im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3
Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG liegen ebenfalls nicht vor, weil kein
Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Musikstück „Nur mir“ einen Ausdruck
von Humor oder eine Verspottung darstellt. Die Schranke für Pastiches im Sinne
des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ist nicht einschlägig,
weil der deutsche Gesetzgeber von der Möglichkeit, eine eigenständige
Schrankenregelung für die Nutzung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen
zum Zwecke von Pastiches vorzusehen, keinen Gebrauch gemacht hat.
ee) Eine abschließende Beurteilung ist dem
Bundesgerichtshof allerdings verwehrt, weil das Oberlandesgericht keine
Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Beklagten ab dem 22. Dezember 2002
Handlungen der Vervielfältigung oder Verbreitung vorgenommen haben oder ob
solche Handlungen ernsthaft und konkret zu erwarten waren. Der Umstand, dass
die Beklagten vor dem 22. Dezember 2002 die von den Klägern beanstandeten
Tonträger vervielfältigt und verbreitet haben, lässt nicht ohne Weiteres darauf
schließen, dass ein solches Verhalten auch nach diesem Zeitpunkt im Sinne einer
Erstbegehungsgefahr ernsthaft drohte. Dies gilt insbesondere, wenn – wovon im
Revisionsverfahren mangels berücksichtigungsfähiger Feststellungen des
Oberlandesgerichts auszugehen war – die Vervielfältigung und Verbreitung vor
dem 22. Dezember 2002 rechtmäßig war. Die Begründung von Erstbegehungsgefahr
durch ein in der Vergangenheit zulässiges Verhalten des Anspruchsgegners, das
erst durch eine spätere Rechtsänderung unzulässig geworden ist, kommt nur dann
in Betracht, wenn weitere Umstände hinzutreten, die eine Zuwiderhandlung in der
Zukunft konkret erwarten lassen. Hierzu wird das Oberlandesgericht im neu
eröffneten Berufungsverfahren Feststellungen zu treffen haben.
2. Hinsichtlich des Inverkehrbringens ist eine Verletzung
des Verbreitungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gemäß § 85 Abs. 1
Satz 1 Fall 2 UrhG sowie ein Verbot nach § 96 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit §
85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen.
a) Eine Verletzung des Verbreitungsrechts der Kläger
gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG, der der Umsetzung von Art. 9 Abs. 1
Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG dient, ist nicht gegeben. Der Gerichtshof
der Europäischen Union hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass ein
Tonträger, der von einem anderen Tonträger übertragene Musikfragmente enthält,
keine Kopie dieses anderen Tonträgers im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 2006/115/EG darstellt.
b) Sofern mit Blick auf ab dem 22. Dezember 2002
begangene Handlungen das Vervielfältigungsrecht der Kläger als
Tonträgerhersteller gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG verletzt wurde, kann
hierauf ein Verbot des Inverkehrbringens gemäß § 96 Abs. 1 UrhG nicht gestützt
werden. Diese Vorschrift ist im Streitfall unanwendbar, weil sie zu einer
Ausweitung unionsrechtlich vollharmonisierter Verwertungsrechte führt und
insoweit richtlinienwidrig ist. Kommt allein eine Verletzung des in Art. 2
Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG und § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG
vorgesehenen Vervielfältigungsrechts in Betracht, so darf der durch diese
Vorschriften gewährte Schutz nicht über eine Anwendung des § 96 Abs. 1 UrhG in
den Bereich des durch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG und §
85 Abs. 1 Satz 1 Fall UrhG geregelten Verbreitungsrechts ausgedehnt werden. Im
Streitfall liegt allenfalls eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der
Kläger als Tonträgerhersteller, nicht jedoch eine Verletzung ihres
Verbreitungsrechts vor.
3. Eine abschließende Entscheidung ist dem
Bundesgerichtshof auch deshalb verwehrt, weil die Kläger ihre Ansprüche
hilfsweise auf ihr Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler (§ 77 Abs. 2
Satz 1 UrhG, Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG; Art. 9 Abs. 1 Buchst.
a der Richtlinie 2006/115/EG), weiter hilfsweise auf die Verletzung des
Urheberrechts des Klägers zu 1 am Musikwerk (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, §§ 16, 17
Abs. 1 UrhG; Art. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) und
äußerst hilfsweise auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 9 UWG
aF, § 4 Nr. 3 UWG) gestützt haben. Insoweit fehlt es bisher ebenfalls an
Feststellungen des Oberlandesgerichts, die nun von diesem zu treffen sind. Der
Senat gibt auch insoweit einige Hinweise: Für auf das Leistungsschutzrecht als
ausübende Künstler gestützte Ansprüche dürfte wohl nichts Anderes gelten als
für auf das Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller gestützte Ansprüche.
Bezüglich der Ansprüche aus dem Urheberrecht ist schon fraglich, ob die
entnommene Rhythmussequenz die Anforderungen an ein urheberrechtlich
geschütztes Werk erfüllt. Jedenfalls dürfte anzunehmen sein, dass sich die
Beklagten für sämtliche Nutzungshandlungen vor dem 22. Dezember 2002 auch
insoweit auf das Recht zur freien Benutzung aus § 24 Abs. 1 UrhG berufen
können. Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz dürften eher
fernliegen.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UrhG (Allgemeines)
Der Urheber hat das ausschließliche Recht, sein Werk in
körperlicher Form zu verwerten; das Recht umfasst insbesondere
1. das Vervielfältigungsrecht (§ 16),
2. das Verbreitungsrecht (§ 17), 
§ 16 Abs. 1 UrhG (Vervielfältigungsrecht)
Das Vervielfältigungsrecht ist das Recht,
Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend
oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl.
§ 17 Abs. 1 UrhG (Verbreitungsrecht)
Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder
Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in
Verkehr zu bringen.
§ 24 UrhG (Freie Benutzung)
(1) Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des
Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers
des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
(2) Absatz 1 gilt nicht für die Benutzung eines Werkes
der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem
neuen Werk zugrunde gelegt wird.
§ 51 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG (Zitate)
Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und
öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats,
sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt
ist. Zulässig ist dies insbesondere, wenn
3. einzelne Stellen eines erschienenen Werkes der Musik
in einem selbständigen Werk der Musik angeführt werden. 
§ 57 UrhG (Unwesentliches Beiwerk)
Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und
öffentliche Wiedergabe von Werken, wenn sie als unwesentliches Beiwerk neben
dem eigentlichen Gegenstand der Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen
Wiedergabe anzusehen sind.
§ 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG (Vervielfältigung und
Verbreitung)
Der ausübende Künstler hat das ausschließliche Recht, den
Bild- oder Tonträger, auf den seine Darbietung aufgenommen worden ist, zu
vervielfältigen und zu verbreiten.
§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG (Verwertungsrechte)
Der Hersteller eines Tonträgers hat das ausschließliche
Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich
zugänglich zu machen.
§ 96 Abs. 1 UrhG (Verwertungsverbot)
Rechtswidrig hergestellte Vervielfältigungsstücke dürfen
weder verbreitet noch zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden.
§ 4 Nr. 3 UWG (Mitbewerberschutz)
Unlauter handelt, wer
3. Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine
Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er
a) eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die
betriebliche Herkunft herbeiführt,
b) die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder
Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt oder
c) die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder
Unterlagen unredlich erlangt hat; 
Art. 2 Buchst. c Richtlinie 2001/29/EG 
Die Mitgliedstaaten sehen für die Tonträgerhersteller in
Bezug auf ihre Tonträger das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder
mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und
Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten. 
Art. 5 Abs. 3 Buchst. d, i und k Richtlinie
2001/29/EG 
Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen
Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3
vorgesehenen Rechte vorsehen:
d) für Zitate wie Kritik oder Rezensionen, sofern sie ein
Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand betreffen, das bzw. der der
Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, sofern – außer in
Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist – die Quelle, einschließlich
des Namens des Urhebers angegeben wird und sofern die Nutzung den anständigen
Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck
gerechtfertigt ist;
i) für die beiläufige Einbeziehung eines Werks oder
sonstigen Schutzgegenstands in anderes Material;
k) für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien
oder Pastiches;
Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2006/115/EG
Die Mitgliedstaaten sehen für Tonträgerhersteller in
Bezug auf ihre Tonträger das ausschließliche Recht vor, die Tonträger und
Kopien davon der Öffentlichkeit im Wege der Veräußerung oder auf sonstige Weise
zur Verfügung zu stellen.
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG 
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Art. 13 Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit
wird geachtet.
Art. 17 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen
Union
Geistiges Eigentum wird geschützt.
Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 115/16 – Metall auf
Metall IV
Vorinstanzen: 
LG Hamburg – Urteil vom 8. Oktober 2004 – 308 O
90/99 
OLG Hamburg – Urteil vom 7. Juni 2006 – 5 U 48/05 
BGH – Urteil vom 20. November 2008 – I ZR 112/06, GRUR
2009, 403 = WRP 2009, 308 – Metall auf Metall I 
OLG Hamburg – Urteil vom 17. August 2011 – 5 U 48/05 
BGH – Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 182/11, GRUR
2013, 614 = WRP 2013, 804 – Metall auf Metall II 
BVerfG – Urteil vom 31. Mai 2016 – 1 BvR 1585/13, BVerfGE
142, 74
BGH – Beschluss vom 1. Juni 2017 – I ZR 115/16, GRUR
2017, 895 = WRP 2017, 1114 – Metall auf Metall III
EuGH –  Urteil vom
29. Juli 2019 – C-476/17, GRUR 2019, 929 = WRP 2019, 1156 – Pelham u.a.
Karlsruhe, den 30. April 2020
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013

Telefax (0721) 159-5501

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BGH – Zur urheberrechtlichen Zulässigkeit der Veröffentlichung militärischer Lageberichte – Afghanistan Papiere II

Zur urheberrechtlichen Zulässigkeit der Veröffentlichung
militärischer Lageberichte
Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 139/15 – Afghanistan
Papiere II
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Bundesrepublik
Deutschland die Veröffentlichung militärischer Lageberichte über den
Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durch die Presse nicht unter Berufung auf das
Urheberrecht untersagen kann.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Bundesrepublik Deutschland, die im
vorliegenden Verfahren durch das Bundesministerium der Verteidigung vertreten
wird. Dieses lässt wöchentlich einen militärischen Lagebericht über die
Auslandseinsätze der Bundeswehr und Entwicklungen im Einsatzgebiet erstellen.
Die Berichte werden unter der Bezeichnung „Unterrichtung des
Parlaments“ (UdP) an ausgewählte Abgeordnete des deutschen Bundestages,
Referate im Bundesministerium der Verteidigung und anderen Bundesministerien,
sowie dem Bundesministerium der Verteidigung nachgeordneten Dienststellen
versendet. Sie sind als Verschlusssache „VS – Nur für den
Dienstgebrauch“ eingestuft. Daneben veröffentlicht die Klägerin gekürzte
Fassungen der UdP als „Unterrichtung der Öffentlichkeit“ (UdÖ).
Die Beklagte betreibt das Onlineportal der Westdeutschen
Allgemeinen Zeitung. Sie beantragte im Jahr 2012 unter Berufung auf das
Informationsfreiheitsgesetz die Einsichtnahme in sämtliche UdP aus der Zeit
zwischen dem 1. September 2001 und dem 26. September 2012. Nach Ablehnung
dieses Antrags gelangte die Beklagte auf unbekanntem Weg an einen Großteil der
Berichte und veröffentlichte diese unter der Bezeichnung
„Afghanistan-Papiere“ im Internet. Die Klägerin hat die Beklagte auf
Unterlassung in Anspruch genommen, weil die Veröffentlichung ihr Urheberrecht
an den Berichten verletze.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung
der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision hat die Beklagte
ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Der Bundesgerichtshof hat das
Verfahren mit Beschluss vom 1. Juni 2017 ausgesetzt und dem Gerichtshof der
Europäischen Union verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (I ZR
139/15, GRUR 2017, 901 – Afghanistan Papiere I; dazu Pressemitteilung Nr. 87/17
vom 1. Juni 2017). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über diese Fragen
durch Urteil vom 29. Juli 2019 (C-469/17, GRUR 2019, 934 – Funke Medien)
entschieden. Der Bundesgerichtshof hat daraufhin das Revisionsverfahren
fortgesetzt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben
und die Klage abgewiesen. Es kann offenbleiben, ob die UdP urheberrechtlich als
Schriftwerke geschützt sind. Die Beklagte hat durch die Veröffentlichung der
UdP jedenfalls ein daran bestehendes Urheberrecht nicht widerrechtlich
verletzt. Zu ihren Gunsten greift vielmehr die Schutzschranke der
Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein. 
Eine Berichterstattung im Sinne dieser Bestimmung liegt
vor. Das Berufungsgericht hat bei seiner abweichenden Annahme, es habe keine
journalistische Auseinandersetzung mit den einzelnen Inhalten der jeweiligen
UdP stattgefunden, nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Beklagte die UdP
nicht nur auf ihrer Website veröffentlicht, sondern sie auch mit einem
Einleitungstext, weiterführenden Links und einer Einladung zur interaktiven
Partizipation versehen und in systematisierter Form präsentiert hat.
Die Berichterstattung hat auch ein Tagesereignis zum
Gegenstand. Sie betrifft die Frage, ob die jahrelange und andauernde
öffentliche Darstellung des auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Texte
auf der Internetseite der Beklagten noch stattfindenden und damit aktuellen, im
Auftrag des deutschen Bundestages erfolgenden Einsatzes der deutschen Soldaten
in Afghanistan als Friedensmission zutrifft oder ob in diesem Einsatz entgegen
der öffentlichen Darstellung eine Beteiligung an einem Krieg zu sehen ist.
Die Berichterstattung hat zudem nicht den durch den Zweck
gebotenen Umfang überschritten. Nach der Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. c
Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG, deren Umsetzung § 50 UrhG dient und die bei
der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung zu beachten ist, darf die
fragliche Nutzung des Werks nur erfolgen, wenn die Berichterstattung über
Tagesereignisse verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der
Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit
und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit
und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entspricht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
kommt es für die Frage, ob bei der Auslegung und Anwendung unionsrechtlich
bestimmten innerstaatlichen Rechts die Grundrechte des Grundgesetzes oder die
Grundrechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union maßgeblich sind,
grundsätzlich darauf an, ob dieses Recht unionsrechtlich vollständig vereinheitlicht
ist (dann sind in aller Regel nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern
allein die Unionsgrundrechte maßgeblich) oder ob dieses Recht unionsrechtlich
nicht vollständig determiniert ist (dann gilt primär der Maßstab der
Grundrechte des Grundgesetzes). Im letztgenannten Fall greift die Vermutung,
dass das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch
die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet ist (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13, GRUR 2020, 74 Rn. 71 –
Recht auf Vergessen I). Da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG
dahin auszulegen ist, dass er keine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung
der Reichweite der in ihm aufgeführten Ausnahmen oder Beschränkungen darstellt,
ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Anwendung des § 50 UrhG danach
anhand des Maßstabs der Grundrechte des deutschen Grundgesetzes vorzunehmen. 
Im Blick auf die Interessen der Klägerin ist zu
berücksichtigen, dass die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten ausschließlichen
Verwertungsrechte zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Zugänglichmachung
der UdP allenfalls unwesentlich betroffen sind, weil die UdP nicht
wirtschaftlich verwertbar sind. Das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte
Interesse an einer Geheimhaltung des Inhalts des Werks erlangt im Rahmen der im
Streitfall vorzunehmenden Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht. Das
Urheberpersönlichkeitsrecht schützt nicht das Interesse an der Geheimhaltung
von Umständen, deren Offenlegung Nachteile für die staatlichen Interessen der
Klägerin haben könnte. Dieses Interesse ist durch andere Vorschriften  etwa das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, § 3
Nr. 1 Buchst. b IFG oder die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Landesverrat
und die Gefährdung der äußeren Sicherheit gemäß § 93 ff. StGB – geschützt. Das
Urheberpersönlichkeitsrecht schützt allein das urheberrechtsspezifische
Interesse des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob er mit der erstmaligen
Veröffentlichung seines Werkes den Schritt von der Privatsphäre in die
Öffentlichkeit tut und sich und sein Werk damit der öffentlichen Kenntnisnahme
und Kritik aussetzt. Dieses Geheimhaltungsinteresse kann nach den Umständen des
Streitfalls das durch die Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz
1 und 2 GG geschützte Veröffentlichungsinteresse nicht überwiegen. Dem
Interesse an einer Veröffentlichung der hier in Rede stehenden Informationen
kommt im Blick auf die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung
deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders
erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen
Kontrolle von staatlichen Entscheidungen in diesem Bereich größeres Gewicht zu.
Vorinstanzen:
LG Köln – Urteil vom 2. Oktober 2014 – 14 O 333/13 
OLG Köln – Urteil vom 12. Juni 2015 – 6 U 5/15)
Die maßgebliche Vorschrift lautet:
§ 50 UrhG
Zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk
oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in
anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen
Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielfältigung,
Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser
Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang
zulässig.
Karlsruhe, den 30. April 2020
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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LG Berlin: Künast und Facebook

LG Berlin, Beschluss vom 21.1.2020 – 27 AR 17/19

Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat im Verfahren um die Gestattung der
Herausgabe von Nutzerdaten durch eine Social Media Plattform einen Teilerfolg
erzielt. Das Landgericht Berlin hat seine ursprüngliche Entscheidung abgeändert
und mit noch nicht rechtskräftigem Beschluss vom 21.01.2020 die Herausgabe der
Nutzerdaten von sechs Kommentatoren auf der Plattform für zulässig erachtet,
weil sich diese beleidigend über Künast geäußert hätten .

Durch den im Beschwerdeverfahren erstmals vollständig vorgelegten
Ausgangspost zu einer Äußerung der Grünenpolitikerin im Berliner
Abgeordnetenhaus aus dem Jahr 1986 im Zusammenhang mit dem Thema Strafandrohung
wegen sexueller Handlungen an Kindern habe das Gericht die 22 betroffenen
Nutzerkommentare im Lichte der höchstrichterlichen und verfassungsrechtlichen
Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nochmals geprüft und der Antragstellerin im
Ergebnis in sechs Fällen Recht gegeben. So sei wegen des nunmehr dargelegten
Kontextes des Ausgangsposts und der inzwischen zusätzlich erlangten
gerichtlichen Erkenntnisse zu dessen Urheber nicht mehr davon auszugehen, dass
die Verfasser der 22 streitgegenständlichen Kommentare annehmen durften, dass
die im Ausgangspost wiedergegebene Äußerung so wie zitiert vollständig von der
Antragstellerin stamme. Vielmehr handele es sich teilweise um ein Falschzitat,
sodass sich angesichts der für die 22 Nutzer auch erkennbaren Hintergründe des
Posts für sie Zweifel in Bezug auf die Authentizität des Zitats aufdrängen
mussten, was bei der Bewertung der einzelnen Kommentare zu berücksichtigen sei.

Vor diesem Hintergrund erfüllten die Kommentare von sechs Nutzern den
Straftatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB, für
den auch im Hinblick auf die Meinungsfreiheit ein Rechtfertigungsgrund nicht
ersichtlich sei. Diese Kommentare hätten vielmehr einen ehrherabsetzenden
Inhalt, der aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers als gezielter
Angriff auf die Ehre der Antragstellerin erscheine und sich auch in der
persönlichen Herabsetzung der Antragstellerin erschöpfe. Die Social Media
Plattform dürfe daher in diesen sechs Fällen über den Namen des Nutzers,
E-Mail-Adresse des Nutzers und IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen
verwendet worden sei, sowie über den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen.

Volltext: tp-presseagentur.de/wp-content/uploads/2020/01/LG-Berlin-27-AR-17.19-Beschluss-vom-21.01.2020-anonymisiert.pdf

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Osterreichische Datenschutzbehörde – Single Opt-In verstößt gegen Art. 32 DSGVO

Osterreichische Datenschutzbehörde, Bescheid vom
9.10.2019-DSB-D130.073/0008-DSV/2019
Ein Online-Portal, das zur Bestätigung der
E-Mail-Adressen nicht Double Opt in/Bestätigungsmail, sondern Single Opt-In
verwendet, verletzt Art. 32 DSGVO und begeht damit eine Datenschutzverletzung

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OLG Dresden – Zustimmung per Popup

OLG Dresden, Beschluss vom 19.11.2019 – 4 U 1471/19

1. Die Änderung der Nutzungsbedingungen eines sozialen
Netzwerkes kann wirksam durch Anklicken einer Schaltfläche in einem
„pop-up“-Fenster erfolgen; ob eine daneben bestehende Änderungsklausel
wirksam in den zugrunde liegenden Nutzungsvertrag einbezogen wurde, ist dann
ohne Belang. Eine solche Zustimmung ist auch dann nicht als sittenwidrig anzusehen,
wenn sie dem Nutzer nur die Alternative lässt, entweder zuzustimmen oder das
Nutzungsverhältnis zu beenden.
2. Die Sanktionierung eines Verstoßes gegen das in den
Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks enthaltene Verbot der „Hassrede“
mit einer zeitlich begrenzten Sperre (hier: Versetzung für 30 Tage in den sog.
read-only modus) ist in der Regel verhältnismäßig.

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BGH – Zur urheberrechtlichen Zulässigkeit der Veröffentlichung von Buchbeiträgen eines Bundestagsabgeordneten durch ein Internet-Nachrichtenportal

Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 228/15 – Reformistischer
Aufbruch II
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Veröffentlichung
von Buchbeiträgen eines Bundestagsabgeordneten auf einem
Internet-Nachrichtenportal zulässig war. 
Sachverhalt:
Der Kläger war in den Jahren 1994 bis 2016 Mitglied des
Bundestags. Er ist Verfasser eines Manuskripts, in dem er sich gegen die
radikale Forderung einer vollständigen Abschaffung des Sexualstrafrechts
wandte, aber für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller
Handlungen Erwachsener mit Kindern eintrat. Der Text erschien im Jahr 1988 als
Beitrag in einem Buch. Im Mai 1988 beanstandete der Kläger gegenüber dem
Herausgeber des Buchs, dieser habe ohne seine Zustimmung Änderungen am Text und
an den Überschriften vorgenommen, und forderte ihn auf, dies bei der
Auslieferung des Buchs kenntlich zu machen. In den Folgejahren wurde der Kläger
mehrfach kritisch mit den Aussagen des Buchbeitrags konfrontiert. Er erklärte
daraufhin wiederholt, sein Manuskript sei durch den Herausgeber im Sinn
verfälscht worden, weil dieser die zentrale Aussage – die Abkehr von der
seinerzeit verbreiteten Forderung nach Abschaffung des Sexualstrafrechts –
wegredigiert habe. Spätestens seit dem Jahr 1993 distanzierte sich der Kläger
vollständig vom Inhalt seines Aufsatzes.
Im Jahr 2013 wurde in einem Archiv das Originalmanuskript
des Klägers aufgefunden und ihm wenige Tage vor der Bundestagswahl, für die er
als Abgeordneter kandidierte, zur Verfügung gestellt. Der Kläger übermittelte
das Manuskript an mehrere Zeitungsredaktionen als Beleg dafür, dass es
seinerzeit für den Buchbeitrag verändert worden sei. Einer Veröffentlichung der
Texte durch die Redaktionen stimmte er nicht zu. Stattdessen stellte er das
Manuskript und den Buchbeitrag mit dem Hinweis auf seiner Internetseite ein, er
distanziere sich von dem Beitrag. Mit einer Verlinkung seiner Internetseite
durch die Presse war er einverstanden.
Vor der Bundestagswahl veröffentlichte die Beklagte in
ihrem Internetportal einen Pressebericht, in dem die Autorin die Ansicht
vertrat, der Kläger habe die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt.
Die Originaldokumente belegten, dass das Manuskript nahezu identisch mit dem
Buchbeitrag und die zentrale Aussage des Klägers keineswegs im Sinn verfälscht
worden sei. Die Internetnutzer konnten das Manuskript und den Buchbeitrag über
einen elektronischen Verweis (Link) herunterladen. Die Internetseite des
Klägers war nicht verlinkt.
Der Kläger sieht in der Veröffentlichung der Texte eine
Verletzung seines Urheberrechts. Er hat die Beklagte auf Unterlassung und
Schadensersatz in Anspruch genommen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung
der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Kammergericht hat angenommen, die
Veröffentlichung der urheberrechtlich geschützten Texte des Klägers ohne seine
Zustimmung sei auch unter Berücksichtigung der Meinungs- und Pressefreiheit der
Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung über
Tagesereignisse (§ 50 UrhG) noch durch das gesetzliche Zitatrecht (§ 51 UrhG)
gerechtfertigt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren
Klageabweisungsantrag weiter.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom
27. Juli 2017 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur
Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des
Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
vorgelegt (I ZR 228/15, GRUR 2017, 1027 – Reformistischer Aufbruch I; dazu
Pressemitteilung Nr. 124/2017 vom 27. Juli 2017). Diese Fragen hat der
Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 29. Juli 2019 (C-516/17, GRUR
2019, 940 – Spiegel Online) beantwortet. Der Bundesgerichtshof hat daraufhin
das Revisionsverfahren fortgesetzt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben
und die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat durch die Bereitstellung des
Manuskripts und des Buchbeitrags in ihrem Internetportal das Urheberrecht des
Klägers nicht widerrechtlich verletzt. Zu ihren Gunsten greift vielmehr die
Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein. 
Eine Berichterstattung über ein Tagesereignis im Sinne
dieser Bestimmung liegt vor. Das Berufungsgericht hat bei seiner abweichenden
Annahme nicht hinreichend berücksichtigt, dass es in dem in Rede stehenden
Artikel im Schwerpunkt um die aktuelle Konfrontation des Klägers mit seinem bei
Recherchen wiedergefundenen Manuskript und seine Reaktion darauf ging. Dies sind
Ereignisse, die bei der Einstellung des Artikels ins Internetportal der
Beklagten aktuell und im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des erneut als
Bundestagsabgeordneter kandidierenden Klägers von gegenwärtigem öffentlichem
Interesse waren. Dass der Artikel über dieses im Vordergrund stehende Ereignis
hinausgehend die bereits über Jahre andauernde Vorgeschichte und die
Hintergründe zur Position des Klägers mitteilte, steht der Annahme einer
Berichterstattung über Tagesereignisse nicht entgegen.
Die Berichterstattung hat zudem nicht den durch den Zweck
gebotenen Umfang überschritten. Nach der Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. c
Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG, deren Umsetzung § 50 UrhG dient und die bei
der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung zu beachten ist, darf die
fragliche Nutzung des Werks nur erfolgen, wenn die Berichterstattung über
Tagesereignisse verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der
Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit
und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit
und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entspricht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
kommt es für die Frage, ob bei der Auslegung und Anwendung unionsrechtlich
bestimmten innerstaatlichen Rechts die Grundrechte des Grundgesetzes oder die
Grundrechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union maßgeblich sind,
grundsätzlich darauf an, ob dieses Recht unionsrechtlich vollständig vereinheitlicht
ist (dann sind in aller Regel nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern
allein die Unionsgrundrechte maßgeblich) oder ob dieses Recht unionsrechtlich
nicht vollständig determiniert ist (dann gilt primär der Maßstab der
Grundrechte des Grundgesetzes). Im letztgenannten Fall greift die Vermutung,
dass das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch
die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet ist (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13, GRUR 2020, 74 Rn. 71 –
Recht auf Vergessen I). Da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG
dahin auszulegen ist, dass er keine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung der
Reichweite der in ihm aufgeführten Ausnahmen oder Beschränkungen darstellt, ist
die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Anwendung des § 50 UrhG danach anhand
des Maßstabs der Grundrechte des deutschen Grundgesetzes vorzunehmen. 
Im Streitfall sind nach diesen Maßstäben bei der
Auslegung und Anwendung der Verwertungsrechte und der Schrankenregelungen auf
der Seite des Klägers das ihm als Urheber zustehende, durch Art. 14 Abs. 1 GG
geschützte ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung seiner Werke
zu berücksichtigen. Außerdem ist das von seinem Urheberpersönlichkeitsrecht
geschützte Interesse betroffen, eine öffentliche Zugänglichmachung seines Werks
nur mit dem gleichzeitigen Hinweis auf seine gewandelte politische Überzeugung
zu gestatten. Für die Beklagte streiten dagegen die Grundrechte der Meinungs-
und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG. Die Abwägung dieser im
Streitfall betroffenen Grundrechte führt zu einem Vorrang der Meinungs- und
Pressefreiheit. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der
Beklagten im Rahmen ihrer grundrechtlich gewährleisteten Meinungs- und
Pressefreiheit die Aufgabe zukam, sich mit den öffentlichen Behauptungen des
Klägers kritisch auseinanderzusetzen und es der Öffentlichkeit durch die Bereitstellung
des Manuskripts und des Buchbeitrags zu ermöglichen, sich ein eigenes Bild von
der angeblichen inhaltlichen Verfälschung des Aufsatzes und damit von der
vermeintlichen Unaufrichtigkeit des Klägers zu machen. Dabei ist das
Berufungsgericht zutreffend von einem hohen Stellenwert des von der Beklagten
wahrgenommenen Informationsinteresses der Öffentlichkeit ausgegangen. Im
Hinblick auf die Interessen des Klägers ist zu berücksichtigen, dass sein durch
Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes ausschließliche Recht zur öffentlichen
Zugänglichmachung des Manuskripts sowie des Buchbeitrags nur unwesentlich
betroffen ist, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit einer
weiteren wirtschaftlichen Verwertung des Aufsatzes nicht zu rechnen ist. Sein
dem Urheberpersönlichkeitsrecht unterfallendes Interesse, zu bestimmen, ob und
wie sein Werk veröffentlicht wird, erlangt im Rahmen der Grundrechtsabwägung
kein entscheidendes Gewicht. Die Beklagte hat ihren Lesern in dem mit der Klage
angegriffenen Bericht die im Lauf der Jahre gewandelte Meinung des Klägers zur
Strafwürdigkeit des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger nicht verschwiegen,
sondern ebenfalls zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht. Sie hat der
Öffentlichkeit damit den in Rede stehende Text nicht ohne einen
distanzierenden, die geänderte geistig-persönliche Beziehung des Klägers zu
seinem Werk verdeutlichenden Hinweis zur Verfügung gestellt und seinem
urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interesse hinreichend Rechnung getragen.
Vorinstanzen:
LG Berlin – Urteil vom 17. Juni 2014 – 15 O 546/13
Kammergericht – Urteil vom 7. Oktober 2015 – 24 U 124/14
Die maßgebliche Vorschrift lautet:
§ 50 UrhG
Zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk
oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in
anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen
Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielfältigung,
Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse
wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.
Karlsruhe, den 30. April 2020
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013

Telefax (0721) 159-5501