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Filesharing: Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt zur Berechnung des Schadens und Weiterverbreitung

Wenn der  Vorsitzende  in seiner Urteilsbegründung darauf verweist,
dass er über erstaunliche Sachkenntnis in Bezug auf Filesharing verfügt, weil viele Jahre als selbstständiger Softwareentwickler, als
Webdeseigner sowie als Netzwerk- und Systemadministrator tätig gewesen ist, dann kommt am Ende ein Urteil wie jenes des Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.08.2015,  Az. 8C 1023/15 heraus in welchem sich das mit sehr sauberer Mathematik und technischen Kenntnissen der Frage
der Weiterverbreitung beim Filesharing befasst und einen Schadensersatz in Höhe
von
14,99 € als angemessen
und ausreichend erachtet und dies genauso absolut treffend begründe wie es auch die
 fehlenden technischen Kenntnisse bei Richterkollegen rüffelt.

Das Urteil im Volltext:

Tenor
Die Klage wird
abgewiesen.
Die Klägerin hat
die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.


Beschluss
Der Streitwert
wird auf 1.151,80 € festgesetzt.




Tatbestand
Die Klägerin ist
Inhaberin des ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechts an dem Filmwerk
„Ab Heute Juckt das Fötzchen“, das einen Ladenpreis von 14,99 € hat (Bl. 36
d.A.).
Am 26.01.2013 um
06:29:45 Uhr erfolgte die Verbreitung des Filmwerkes über ein
Filesharing-Netzwerk unter Verwendung der IP-Adresse …, die zu diesem Zeitpunkt
dem Internetanschluss des Beklagten zugeordnet war.
Die Zuordnung der
IP-Adresse zum Beklagten sowie seine Personalien hatte die Klägerin von dem
Telefonanbieter des Beklagten, der T… Germany GmbH & Co. OHG, in Erfahrung
gebracht, nachdem sie beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 21 O
2110/13 mit Beschluss vom 29.01.2013 gegenüber dem Telefonanbieter die
Gestattung erwirkt hatte, Auskunft über die Person des Anschlussinhabers zu
erteilen.
Mit Schreiben vom
08.02.2013 mahnte die Klägerin den Beklagten über ihre Prozessbevollmächtigten
ab, forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und
unterbreitete das Angebot, die Angelegenheit gegen Zahlung von 850 € zu
erledigen. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 27-29 d.A. Bezug
genommen.


Mit ihrer Klage
begehrt die Klägerin im Wege der Teilklage einen Schadensersatz von 500 € und
vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren aus einem Streitwert von 10.000 € über
651,80 €.


Die Klägerin hat
beantragt:
Der Beklagte wird
verurteilt, an die Klägerin 1.151,80 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5
%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.


Der Beklagte hat
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet,
er kenne das streitgegenständliche Filmwerk nicht. Auch der Umgang mit
Tauschbörsen sei ihm nicht bekannt. Im Zeitpunkt der Urheberrechtsverletzung
hätten sich vier Computer in seinem Haushalt befunden, zu denen nicht nur er,
sondern auch sein am …1990 geborener Bruder M. M., sein am … 1980 geborener
Cousin P. Mo. und überdies teilweise über Nacht bleibende Freunde Zugang
hätten. Er habe die Nutzer seines Internetanschlusses stets darüber belehrt,
keine illegalen Aktivitäten über seinen Anschluss durchführen zu dürfen. Sein
WLAN-Netzwerk sei mit einer zehnstelligen Zahlenkombination und einer
WPA/WPA2-Absicherung gegen unbefugten Zugriff Dritter geschützt.
Die Klägerin hat
bestritten, dass es sich bei dem vorzitierten Vortrag um einen solchen des
Beklagten selbst handele und gerügt, die Beklagtenvertreter würden insoweit mit
Textbausteinen operieren. Der Beklagte habe die streitgegenständliche
Urheberrechtsverletzung selbst begangen. Nach der Lizenzanalogie stünde der
Klägerin ein Schadensersatzanspruch von mindestens 1.500 € zu (Bl. 6 Rs. d.A.).
Auf Nachfrage des
Gerichts hat der Beklagte angegeben, er habe im Zeitpunkt der
streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzung einen Internetanschluss der
Firma „A…“ mit einer DSL-Geschwindigkeit von 6.000 kBit pro Sekunde gehabt (Bl.
66 d.A.).
Das Gericht hat
die Parteien in der Verhandlung vom 29.06.2015 über seine technische Sachkunde
in Kenntnis gesetzt. Der Vorsitzende war in den Jahren 2000 bis 2013 als
selbständiger Softwareentwickler tätig, im Jahr 2001 war er darüber hinaus als
Webdesigner beschäftigt, in den Jahren 2001 bis 2004 als angestellter
Softwareentwickler und von 2001 bis 2010 als Netzwerk- und Systemadministrator
angestellt.


Entscheidungsgründe
Die zulässige
Klage ist unbegründet.
I.
Der Klägerin
steht kein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nach § 97 Abs. 2 UrhG zu.
Anspruchsgegner
des Schadensersatzanspruches nach § 97 Abs. 1, Abs. 2 UrhG ist derjenige, der
das Urheberrecht widerrechtlich und schuldhaft verletzt.
Wird ein
geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich
gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so
spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die
Rechtsverletzung verantwortlich ist (BGH, Urteil vom 12.05.2010 – I ZR 121/08 =
ZUM 2010, 696 [Rn. 12]). Eine solche Vermutung spricht jedoch nicht für die
Täterschaft, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung auch andere Personen
diesen Anschluss benutzen konnten, weil er nicht hinreichend gesichert oder –
wie hier dargelegt – bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde
(BGH, Urteil vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 = ZUM 2014, 707 [Rn. 15]; BGH, Urteil
vom 12.05.2010 – I ZR 121/08 = ZUM 2010, 696 [Rn. 12]; BGH, Urteil vom 15.11.2012
– I ZR 74/12 = ZUM 2013, 493 [Rn. 33f.]).
Den Beklagten
trifft als Inhaber des Internetanschlusses allerdings eine sekundäre
Darlegungslast; dieser hat er jedoch entsprochen.
a) Den
Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine
sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine
nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur
weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben
dazu ohne Weiteres möglich und zumutbar sind. Diese Voraussetzung ist im
Verhältnis zwischen der primär darlegungsbelasteten Klägerin und dem Beklagten
als Anschlussinhaber im Blick auf die Nutzung seines Internetanschlusses
erfüllt.
b) Die sekundäre
Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über
die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO)
hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle
für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der
Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er
vorträgt, ob andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbstständigen
Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in
Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des
Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (zum Ganzen: BGH, Urteil vom
08.01.2014 – I ZR 169/12 = ZUM 2014, 707 [Rn. 16ff.]).
c) Der Beklagte
hat seiner sekundären Darlegungslast dadurch entsprochen, dass er vorgetragen
hat, in seinem Haushalt hätten auch sein volljähriger Bruder, sein volljähriger
Cousin sowie weitere Freunde Zugriff auf seinen Internetanschluss.
Soweit die
Klägerin bestritten hat, dass es sich bei den tatsächlichen Einlassungen der
Beklagtenvertreter um einen Vortrag des Beklagten handelt (Bl. 38 d.A.), ist
dieses Bestreiten unbeachtlich. Die Klägerin hat das Bestehen einer
ordnungsgemäßen Prozessvollmacht nicht gerügt (§ 88 ZPO), sodass der Vortrag
der Beklagtenvertreter, der im Übrigen spezifische Details des Haushaltes des
Beklagten enthält und daher ohne Zweifel auf dessen Eingaben hin erfolgt ist,
als Vortrag des Beklagten selbst gilt, § 85 Abs. 1 ZPO.
d) Unter diesen
Umständen ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchstellerin, die für eine
Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden
Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGH, Urteil vom 08.01.2014 – I ZR 169/12
= ZUM 2014, 707 [Rn. 19f.]).
Dies hat die
Klägerin zwar behauptet, ein diesbezügliches Beweisangebot jedoch nicht
gemacht, sodass sie insoweit beweisfällig geblieben ist.
II.
Auch der Anspruch
auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist nicht gegeben. Nach §
97a Abs. 1 Satz 2 UrhG in der im Zeitpunkt der Urheberrechtsverletzung gültigen
und daher maßgeblichen (BGH, Urteil vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 = ZUM 2014,
707 [Rn. 11]) Fassung vom 01.09.2008 bestand ein Anspruch auf Erstattung der
erforderlichen Aufwendungen des Verletzten gegenüber dem Verletzer. Nachdem der
Beklagte nicht der Verletzer des streitgegenständlichen Urheberrechts ist,
besteht gegen ihn auch kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen
Abmahnkosten.
Der Anspruch
besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung. Als Störer kann
bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen
werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise
willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt
(BGH, Urteil vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 = ZUM 2014, 707 [Rn. 22]). Das ist
hier jedoch nicht der Fall. Denn der Inhaber eines Internetanschlusses ist
grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Familienangehörige über die
Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen oder von sonstigen
Rechtsverletzungen im Internet zu belehren und ihnen die Nutzung des
Internetanschlusses zur rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen oder
zu sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu verbieten, wenn – wie hier –
keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Nutzung bestehen (BGH, Urteil vom
08.01.2014 – I ZR 169/12 = ZUM 2014, 707 [Rn. 24]).
III.
Selbst wenn man
entgegen der Auffassung des Gerichts von einer Haftung des Beklagten ausgehen
wollte, wäre bei der Bestimmung – und ggf. Schätzung nach § 287 ZPO – des
Schadensersatzes im Wege der sog. „Lizenzanalogie“ nach § 97 Abs. 2 Satz 3 ZPO,
wonach der Schadensersatzanspruch auch auf der Grundlage des Betrages berechnet
werden kann, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten
müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt
hätte, Folgendes zu berücksichtigen:
Das Gericht
orientiert sich bei seiner Schätzung des Schadens nach der Lizenzanalogie nach
§ 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO an verschiedenen Kriterien. In erster Linie kommt es
auf die sonst für den Verletzten übliche vertragliche Vergütung oder die
branchenüblichen Vergütungssätze und Tarife an. Abzustellen ist auf die
konkrete Rechtsverletzung, um feststellen zu können, welches Verwertungsrecht
verletzt wurde. Daraus ergibt sich, welche Nutzungsrechte fiktiv hätten
eingeräumt werden müssen, sodass die für dieses Nutzungsrecht übliche Vergütung
ermittelt werden kann. Im Rahmen der Schätzung können nur solche Tarife
zugrunde gelegt werden, die auf die jeweilige Rechtsverletzung anwendbar sind.
Sind derartige Bemessungsgrößen nicht ermittelbar, richtet sich die Bestimmung
der Höhe der angemessenen Lizenzgebühr im Sinne des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO
nach dem Betrag, den vernünftige Lizenzvertragsparteien – also nicht der
konkrete Verletzer – für die Nutzungsrechtseinräumung als Lizenzgebühr
vereinbart hätten, wenn sie die künftige Entwicklung und namentlich den Umfang
der Rechtsverletzung vorausgesehen hätten (Spindler in: Spindler/Schuster,
Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 97 UrhG Rn. 36f. mwN).
Aus technischer
Sicht ist bei der Schätzung des Schadensersatzanspruches aus Lizenzanalogie
zunächst das Ausmaß der Urheberrechtsverletzung festzustellen.
a) Das
Zurverfügungstellen einer – wie hier – urheberrechtlich geschützten Datei ist
ein von den Nutzern einer Tauschbörse in Kauf genommener Reflex darauf, dass
sie selbst die Datei herunterladen.
Jede
Internetverbindung ist im Stande, Daten herunterzuladen und hochzuladen. Die
hierbei erreichten Geschwindigkeiten werden in „kBit pro Sekunde“ oder „MBit
pro Sekunde“ angegeben. Hieraus resultieren bekannte Bezeichnungen wie „DSL
16.000“, wobei mit der Zahl stets die für die meisten Nutzer relevante
Downloadgeschwindigkeit wiedergegeben wird. Nach der Norm IEC 60027-2 wurden
die früheren Umrechnungsgrößen von 1.024 als „Binärpräfixe“ nicht mehr
marktüblich und stattdessen die sog. „SI-Präfixe“ mit einer Umrechnungsgröße
von 1.000 eingeführt, sodass folgende Umrechnungsgrößen gelten: 8 Bit sind ein
Byte, 1.000 Byte sind ein Kilobyte, 1.000 Kilobyte sind ein Megabyte, 1.000
Megabyte sind ein Gigabyte; 1.000 Bit sind ein Kilobit („kBit“), 1.000 Kilobit
sind ein ein Megabit („MBit“).
Tauschbörsen
funktionieren so, dass sie Dateien, die sich in einem bestimmten Computerordner
befinden, anderen Nutzern der Tauschbörsensoftware zum Herunterladen anbieten.
In diesen Computerordner werden zugleich Dateien gespeichert, die der Nutzer
von anderen Nutzern herunterlädt. Das führt dazu, dass jeder, der eine Datei
herunterlädt, diejenigen Teile der Datei, die er bereits erfolgreich
heruntergeladen hat, seinerseits wiederum anderen Nutzern zum Download
anbietet.
Nach dem
erfolgreichen Abschluss des Downloads der Datei verbleibt sie in demselben
Computerordner und kann – erst jetzt – von dort manuell in einen anderen Ordner
verschoben werden. Regelmäßig verschieben Nutzer zeitnah nach Abschluss des
Downloads die fertig heruntergeladene Datei in einen anderen Ordner, um zu
verhindern, dass sie von der Tauschbörsensoftware weiterhin anderen Nutzern
angeboten wird. Denn dieses „Anbieten“ der Datei erfordert stets neben den
Hochlade-Kapazitäten aus technischen Gründen auch in geringem Umfang
Herunterlade-Kapazitäten der Internetverbindung, die die Nutzer anderweitig –
nämlich für ihre eigenen Downloads – bevorzugt nutzen.
Die
Geschwindigkeit, mit der Daten über die Internetverbindung hochgeladen – und
damit anderen Nutzern der Tauschbörse zur Verfügung gestellt – werden, liegt
regelmäßig etwa bei 10% der Downloadgeschwindigkeit des Anschlusses (sog.
„asymmetrische Bandbreite“). Das bedeutet, dass in der Zeit, in der ein
urheberrechtlich geschützter Titel mit maximaler Internetgeschwindigkeit
heruntergeladen wird, technisch maximal 10% des Titels anderen Nutzern zur
Verfügung gestellt werden können. Dabei ist die Menge der Daten, die ein Nutzer
anderen anbieten kann, stets die gleiche. D.h. je mehr Nutzer von dem PC eines
anderen Daten herunterladen, desto geringer ist die Datenmenge, die jeder von
ihm erhält, weil sich der Runterladende die Internet-Hochlade-Bandbreite mit
anderen teilen muss. Stets verbleibt es daher, unabhängig von der Zahl der
Nutzer, die von einem Urheberrechtsverletzer Daten heruntergeladen, dabei, dass
der Verletzer insgesamt nicht mehr als 10% der Datei hochgeladen und damit
anderen zur Verfügung gestellt haben kann.
Um in einer
Tauschbörse mit voller Bandbreite herunterzuladen, ist es im Umkehrschluss
erforderlich, dass pro Nutzer, der eine Datei herunterladen will, 10 Nutzer
erforderlich sind, die die gewünschte Datei zum Download bereit halten. Oftmals
fehlt es an dieser Zahl der Nutzer, die eine bestimmte Datei zum Download
anbieten, sodass die gesamte Bandbreite eines Internetanschlusses, mit dem ein
Nutzer eine gewünschte Datei von anderen Nutzern herunterlädt, zwangsläufig
nicht ausgeschöpft wird. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig –
schätzungsweise in etwa 50% der Fälle – so, dass der Download großer Dateien
wie von Filmen, Software oder Spielen vor deren Abschluss abgebrochen wird. Das
führt auch dazu, dass diese Dateien nach Downloadabbruch und Löschung anderen
Nutzern nicht mehr zum Download angeboten werden. Gleichzeitig wird etwa die andere
Hälfte der Nutzer eine langsamere Download-Geschwindigkeit in Kauf nehmen, um
die begehrte Datei zu erhalten, sodass sie auch die bereits heruntergeladenen
Teile der Datei ihrerseits doppelt so lange zum Download anbietet. Daher heben
sich diese Effekte gegenseitig auf.
Ausgehend hiervon
wird die Datenmenge, die ein Nutzer zum Download angeboten hat, während er eine
Datei heruntergeladen hat, bei den anfänglich ausgeführten 10% der Datei
liegen. Hat eine Datei wie ein Film, ein Computerspiel oder eine Software einen
Umfang von mehreren Gigabyte, kann hierauf ein Aufschlag von etwa 2%
vorgenommen werden. Er ist dadurch begründet, dass eine gewisse – regelmäßig
kurze – Zeit zwischen Fertigstellung des Downloads und dem manuellen
Verschieben der Datei aus dem Download-Ordner verstreichen wird, innerhalb
derer die Datei weiterhin anderen Nutzern angeboten wird. Der Aufschlag ist
jedoch bei Musiktiteln, die nur wenige Megabyte groß sind, mit etwa 50%
anzusetzen, weil bei ähnlichem, regelmäßig jedoch kürzerem Zeitablauf, zwischen
Fertigstellung und Verschieben der Datei aus dem Download-Ordner der Musiktitel
wesentlich häufiger heruntergeladen werden kann.
Auch unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass es sein kann, dass die von einem Nutzer
während seines Downloads in der Tauschbörse angebotene, urheberrechtlich
geschützte Datei nicht derart gefragt ist, dass von ihm die Datei mit seiner
vollen Internetbandbreite heruntergeladen wird, erscheinen diese Werte richtig,
nachdem es ebenso sein kann, dass im Einzelfall die Zeitspanne, innerhalb derer
die Nutzer die Datei nach Abschluss ihres eigenen Downloads in der Tauschbörse
anbieten, länger als in den vorstehenden Schätzungen genannt, liegt.
b) Im
vorliegenden Fall verfügte der Beklagte über einen DSL 6.000-Anschluss von „A…“
bzw. der T… Germany GmbH & Co. OHG. Seine Hochlade-Geschwindigkeit
(„Upload-Geschwindigkeit“) betrug 576 Kilobit pro Sekunde (http://www.dsl-isdn-anbieter.de/DSL-6000.htm,
Abruf am 11.08.2015) und damit in etwa die vorgenannten 10% seiner
Downloadgeschwindigkeit, sodass der Ansatz der insgesamt 12% des Filmwerks, die
maximal über seinen Internetanschluss dritten Nutzern der Tauschbörse angeboten
worden sein werden, angemessen ist.
Auch das
Amtsgericht Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 03.06.2014 – 57 C 3122/13 =
juris (Rn. 17f.) zu Recht bei der Bemessung des Schadensersatzes nach der
Lizenzanalogie auf die Anzahl der möglichen Vervielfältigungen des Werks
abgestellt, die während des Downloads technisch möglich waren. Zu Recht hat es
ferner in einer späteren Entscheidung davon Abstand genommen, jedem einzelnen
Nutzer das Risiko unbegrenzter Weiterverbreitung zuzurechnen (AG Düsseldorf,
Urteil vom 28.04.2015 – 57 C 9342/14 = juris [Rn. 15]). Allerdings haftet ein
Schädiger grundsätzlich auch, wenn ein Dritter eingreift und dadurch ein
Schaden entsteht oder sich vergrößert. Das gilt grundsätzlich auch, wenn die Schadensvergrößerung
durch vorsätzliches Verhalten verursacht wird (BGH, Urteil vom 16.02.1972 – VI
ZR 128/70 = NJW 1972, 904) und insbesondere dann, wenn sich die gesteigerte
Gefahrenlage, die durch das schädigende Ereignis entstanden ist, im Schaden
verwirklicht (BGH, Urteil vom 30.06.1987 – VI ZR 257/86 = NJW 1987, 2925). Der
Erstschädiger hat sich die Rechtsgutsverletzung oder Verschlimmerung der
Rechtsgutsverletzung des Zweitschädigers zurechnen lassen, wenn der
Zweitschädiger nicht in völlig ungewöhnlicher Weise in den vom Erstschädiger in
Gang gesetzten Kausalverlauf eingegriffen hat (BGH, Urteil vom 28.01.1986 – VI
ZR 83/85 = juris J. Lange/Schmidbauer in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a.,
jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 823 BGB Rn. 58; Schubert in: BeckOK, 35. Aufl.
2011, § 249 BGB Rn. 88 ff.).
Ausgehend von
diesen Grundsätzen muss sich der Verletzer bei Nutzung einer Tauschbörse, der
deren Funktionsweise kennt und billigend in Kauf nimmt, dass während seines
eigenen Downloads eines urheberrechtlich geschützten Werkes andere von ihm
dieses Werk herunterladen, auch zurechnen lassen, dass diese anderen ihrerseits
wiederum weiteren Nutzern das Werk zum Download anbieten und damit selbst das
Urheberrecht durch weitere Vervielfältigungen verletzen.
Rechnerisch ist
der durch den Nutzer verursachte Schaden jedoch begrenzt: Ermöglicht er während
seines eigenen Downloads, dass ein anderer oder in der Summe mehrere andere 12%
der urheberrechtlich geschützten Datei von ihm heruntergeladen und diese die
Datei im Umfang von 12% von den Zweitschädigern abermals im Umfang von 12%
angeboten wird, ergibt sich also für diesen „Zweit-Upload“ eine
Verantwortlichkeit im Umfang von 1,44 % (0,12 x 0,12), denn nur in diesem
Umfang ist der „Zweit-Upload“ technisch auf den Erstschädiger zurückzuführen.
Dafür, dass diese Dritten ihrerseits wiederum Teile anbieten, die letztlich vom
Erstschädiger stammen, haftet er ebenfalls, nämlich im Umfang von 0,173% (0,12
x 0,12 x 0,12). Die weiteren „Stufen“ der Schädiger sind mathematisch vernachlässigbar,
sodass ein Umfang von letztlich gerundet etwa 13,62 % (12% + 1,44% + 0,173%,
aufgerundet wegen weiterer „Stufen“) der Datei, an der das Urheberrecht
besteht, vom Erstschädiger verbreitet wird.
Bei
Musik-Downloads ergibt sich bei gleicher Rechnung ein Schaden von 60% für den
ersten Upload, weiteren 36 % (0,6 x 0,6) für den „Zweit-Upload“, weiteren 21,6
% (0,6^3) für den „Dritt-Upload“, weiteren 12,96 % (0,6^4) für den
„Viert-Upload“, weiteren 7,776 % (0,6^5) für den „Fünft-Upload“, weiteren 4,6656
% (0,6^6) für den „Sechst-Upload“ und weiteren 2,799 % (0,6^7) für den
„Siebt-Upload“, zusammen gerundet unter Berücksichtigung weiterer Stufen etwa
150%.
Auch das
Amtsgericht Köln hat in seinem Urteil vom 10.03.2014 – 125 C 495/13 (= juris)
10 € pro hochgeladenem Musiktitel angesetzt, jedoch ohne entsprechende
technische Begründung.
Nunmehr hat der
Bundesgerichtshof in seiner bisher nur als Pressemitteilung veröffentlichten
Entscheidung vom 11.06.2015 – I ZR 7/14 angenommen, „das Berufungsgericht [sei]
rechtsfehlerfrei von einem Betrag von 200 Euro für jeden der insgesamt 15 in
die Schadensberechnung einbezogenen Musiktitel ausgegangen“. Die Vorinstanz,
das OLG Köln, hatte sich mit Urteil vom 06.12.2013 – I-6 U 96/13, 6 U 96/13 (=
juris) mit Recht bei seiner Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO an den
verkehrsüblichen Entgeltsätzen für legale Downloadangebote im Internet
orientiert, die von einem Betrag von 0,50 € pro Abruf bei Musikaufnahmen
ausgehen (aaO. Rn. 16). Soweit das OLG Köln jedoch ferner davon ausgegangen
war, es seien „mindestens 400“ Abrufe durch unbekannte Tauschbörsenteilnehmer
erfolgt (Rn. 16) und für diese technische Auffassung seine vorangehende
Entscheidung vom 23.03.2012 – I-6 U 67/11, 6 U 67/11 (= juris [Rn. 40ff.])
zitiert hat, in der es der Auffassung einer Rechteinhaberin folgend von
mindestens 400 Zugriffen auf den illegal angebotenen Musiktitel ausgegangen
ist, ist die dortige Begründung technisch nicht haltbar. Technisch maßgeblich
ist allein, wie lange ein Musiktitel bei welcher Uploadgeschwindigkeit von dem
Verletzer des Urheberrechts in der Tauschbörse zum Download angeboten wurde.
Diese Faktoren miteinander multipliziert ergeben die maximale Zahl der
Downloads (nicht: „Zugriffe“) des Titels vom Verletzer. Wie viele Einzelzugriffe
in einem bestimmten – nicht nachvollziehbar begründeten – Zeitraum insgesamt
registriert worden sind, ist technisch ohne Belang (so aber OLG Köln aaO. Rn.
42).
Ausgehend von den
vorstehenden Ausführungen kann der Klägerin ein Schaden entstanden sein, den
ihr der Beklagte hätte – nach der Lizenzanalogie – entrichten müssen, wenn er
von ihr die Erlaubnis erworben hätte, 13,62 % des von ihr angebotenen Titels
einem anderen zur Verfügung zu stellen. Selbst wenn die Klägerin derartige
Rechte nicht mit den errechneten Quoten vertreibt, hätten vernünftige
Lizenzvertragsparteien für die Nutzungsrechtseinräumung als Lizenzgebühr im
Zweifel exakt 13,62 % des Ladenpreises des streitgegenständlichen Filmwerks
vereinbart. Das Filmwerk hat einen Ladenpreis von 14,99 €, sodass sich die
Lizenzgebühr rechnerisch auf 2,04 € belaufen würde. Ob man diese Gebühr ansetzt
oder davon ausgeht, zumindest der Ladenpreis für eine Lizenz sei geschuldet,
kann hier dahinstehen.
Auch der
Gegenstandswert des von der Klägerin vorgerichtlich begehrten
Unterlassungsanspruches ist mit exakt diesen Beträgen zu beziffern. Eine andere
Verbreitung des Filmwerks durch den Beklagten als jene durch eine Tauschbörse
drohte der Klägerin zu keinem Zeitpunkt. Es ist auch aufgrund des Zeitablaufs
davon auszugehen, dass der Beklagte, als die Klägerin an ihn herantrat, das
Filmwerk nicht mehr über eine Tauschbörse anbot, weil er dessen Download
bereits abgeschlossen oder abgebrochen hatte.
Ausgehend von
einem Gegenstandswert von allenfalls 14,99 € ist schließlich auch der
Gebührenanspruch des Klägervertreters für seine außergerichtliche Tätigkeit zu
bewerten. Er wandte sich – soweit der Fall nur den Beklagten betraf – mit
Schreiben vom 08.02.2013 an den Beklagten. Es ist davon auszugehen, dass der
Klägervertreter auch in sämtlichen weiteren Fällen, in denen er Auskünfte
aufgrund des Beschlusses des Landgerichts München I vom 29.01.2013 erhalten
hat, gleichlautende Schreiben verwendet hat, die sich lediglich in der
Anschrift des Empfängers und in dem vorgeworfenen Urheberrechtsverstoß
unterschieden, während die weiteren Ausführungen des Klägervertreters auf den
Seiten 2ff. des Schreibens, selbst wenn sie lange Rechtsausführungen, die
teilweise richtig sein mögen, enthalten, identisch waren. Vor diesem
Hintergrund hält das Gericht jedenfalls für die Abfassung dieser
standardisierten Abmahnschreiben nur den Ansatz einer Gebühr nach Nr. 2301 VV
RVG für angezeigt.
Das Gericht
verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen
andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts
weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von
Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann
jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden
liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten
technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.
IV.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
V.
Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.