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Sportrecht – BGH zu Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Zusammenbruch im Sportunterricht

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 4. April 2019 – III ZR 35/18 über
Amtshaftungsansprüche eines (ehemaligen) Schülers wegen behauptet
unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen durch das Lehrpersonal des Landes Hessen
anlässlich eines im Sportunterricht erlittenen Zusammenbruchs entschieden. Er
hat das vorangegangene Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Der seinerzeit 18 Jahre alte Kläger war Schüler der
Jahrgangsstufe 13 und nahm im Januar 2013 am Sportunterricht teil. Etwa fünf
Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings hörte er auf zu laufen, stellte sich
an die Seitenwand der Sporthalle, rutschte dort in eine Sitzposition und
reagierte auf Ansprache nicht mehr. Um 15.27 Uhr ging der von der Sportlehrerin
ausgelöste Notruf bei der Rettungsleitstelle ein. Die Lehrerin wurde gefragt,
ob der Kläger noch atme. Sie befragte dazu ihre Schüler; die Antwort ist
streitig. Sie erhielt sodann von der Leitstelle die Anweisung, den Kläger in
die stabile Seitenlage zu verbringen. Der Rettungswagen traf um 15.32 Uhr, der
Notarzt um 15.35 Uhr ein. Die Sanitäter und der Notarzt begannen sofort mit
Wiederbelebungsmaßnahmen, die ungefähr 45 Minuten dauerten. Sodann wurde der
intubierte und beatmete Kläger in eine Klinik verbracht. Im dortigen Bericht
ist unter anderem vermerkt: „Beim Eintreffen des Notarztes bereits 8
minütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation“. Es wurde ein
hypoxischer Hirnschaden nach Kammerflimmern diagnostiziert, wobei die Genese
unklar war. Während der stationären Behandlung ergaben sich weitere – teils
lebensgefährliche – Erkrankungen. Seit Oktober 2013 ist der Kläger zu 100% als
Schwerbehinderter anerkannt.
Prozessverlauf:
Der Kläger verlangt Schadensersatz mit der Begründung,
sein gesundheitlicher Zustand sei unmittelbare Folge des erlittenen hypoxischen
Hirnschadens wegen mangelnder Sauerstoffversorgung des Gehirns infolge
unterlassener Reanimationsmaßnahmen durch seine Sportlehrerin und einen
weiteren herbeigerufenen Sportlehrer. Hätten diese im Rahmen der notfallmäßigen
Erste-Hilfe-Versorgung eine Atemkontrolle und – angesichts des dabei
festgestellten Atemstillstands – anschließend eine Reanimation durch
Herzdruckmassage und Atemspende durchgeführt, wäre es nicht zu dem Hirnschaden
gekommen. 
Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen
abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Das
Oberlandesgericht hat dabei offen gelassen, ob die Sportlehrer nach dem
Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme ihre Amtspflicht,
erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen zu leisten, verletzt haben.
Denn es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, dass sich ein etwa
pflichtwidriges Unterlassen einer ausreichenden Kontrolle der Vitalfunktionen
und etwaiger bis zum Eintreffen der Rettungskräfte gebotener
Reanimationsmaßnahmen kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt
habe beziehungsweise dass der Zustand des Klägers auf eine massive
Sauerstoffunterversorgung bis zum Eintreffen der Rettungskräfte zurückzuführen
sei. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Atmung des Klägers
erst kurz vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt habe oder dass
selbst bei Durchführung einer bereits vorher gebotenen Reanimation der Kläger
heute in gleicher Weise gesundheitlich beeinträchtigt wäre. Die Wertung des
Landgerichts, wonach sich der Zeitpunkt, zu dem der Kläger aufgehört habe zu
atmen, nicht verlässlich festlegen lasse, sodass auch nicht festgestellt werden
könne, ab wann Wiederbelebungsmaßnahmen geboten gewesen wären, sei nicht zu
beanstanden. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehle es an
ausreichenden Anknüpfungstatsachen. Dieses Beweisergebnis gehe zu Lasten des
Klägers. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die vom III. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs zugelassene Revision des Klägers. 
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der u.a. für das Staatshaftungsrecht zuständige III.
Zivilsenat hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da
auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes ein
Schadensersatzanspruch des Klägers nicht auszuschließen ist und es insoweit
weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf. 
Das Berufungsgericht hat die Frage, ob aufgrund der
erstinstanzlichen Beweisaufnahme von einer schuldhaften Amtspflichtverletzung
auszugehen ist, dahinstehen lassen. Revisionsrechtlich war deshalb zugunsten
des Klägers zu unterstellen, dass die beteiligten Sportlehrer notwendige
Erste-Hilfe-Maßnahmen pflichtwidrig unterlassen haben. Hiervon ausgehend war
die Ablehnung des Beweisantrags des Klägers, ein Sachverständigengutachten zur
Kausalität einzuholen, verfahrensfehlerhaft. Der Antrag zielte gerade darauf
ab, den Zeitpunkt des Atemstillstands festzustellen und insoweit auch die
Behauptung des beklagten Landes zu widerlegen, wonach die Atmung erst
unmittelbar vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt habe, mithin der
dennoch eingetretene Hirnschaden nicht auf das Verhalten der Lehrkräfte
zurückzuführen sei. Bekannt (und unstreitig) waren insoweit die Art und die
Dauer der von dem Rettungspersonal durchgeführten Wiederbelebungsmaßnahmen.
Auch geht aus dem vorgelegten Notarzteinsatzprotokoll detailliert hervor,
welche Befunde (einschließlich der Sauerstoffkonzentration im Blut) vor Ort bei
dem Kläger erhoben wurden. Das Ausmaß des Hirnschadens ist ebenfalls
dokumentiert. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sachverständiger
anhand dieser Unterlagen in der Lage sein wird, weitere Aufklärung hinsichtlich
der tatsächlichen Geschehensabläufe und damit letztlich in Bezug auf die
zwischen den Parteien streitige Frage nach der Ursächlichkeit der (vom
Berufungsgericht unterstellten) Versäumnisse der Lehrkräfte für den
eingetretenen Hirnschaden zu leisten. Nur wenn dies ausgeschlossen wäre, hätte
der Antrag abgelehnt werden dürfen.   
Für das weitere Verfahren hat der Senat auf Folgendes
hingewiesen: 
Der Kläger kann sich nicht entsprechend den im
Arzthaftungsrecht entwickelten Beweisgrundsätzen bei groben Behandlungsfehlern
auf eine Umkehr der Beweislast berufen mit der Folge, dass das beklagte Land
die Nichtursächlichkeit etwaiger Pflichtverletzungen der Sportlehrer nachweisen
muss. Zwar gelten diese Grundsätze nach der Senatsrechtsprechung wegen der
Vergleichbarkeit der Interessenlage entsprechend bei grober Verletzung von
Berufs- oder Organisationspflichten, sofern diese als Kernpflichten, ähnlich
wie beim Arztberuf, spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer
dienen. Dies hat der Senat für Hausnotrufverträge und die Badeaufsicht in
Schwimmbädern angenommen. Die Amtspflicht der Sportlehrer zur Ersten Hilfe bei
Notfällen ist wertungsmäßig jedoch nur eine die Hauptpflicht zur Unterrichtung
und Erziehung begleitende Nebenpflicht. Die Sportlehrer werden an der Schule
nicht primär oder in erster Linie – sondern nur „auch“ – eingesetzt,
um in Notsituationen Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen zu können. Eine
Verletzung dieser Nebenpflicht, auch wenn sie grob fahrlässig erfolgt sein
sollte, rechtfertigt keine Beweislastumkehr in Anlehnung an die oben
aufgeführten Fallgruppen.
Eine Haftung des beklagten Landes (§ 839 BGB, Art. 34 GG)
kommt nicht nur im Fall grober Fahrlässigkeit in Betracht. Das Haftungsprivileg
für Nothelfer (§ 680 BGB) greift hier entgegen der Ansicht des Beklagten nicht.
§ 680 BGB will denjenigen schützen, der sich bei einem Unglücksfall zu
spontaner Hilfe entschließt. Dabei berücksichtigt die Vorschrift, dass wegen
der in Gefahrensituationen geforderten schnellen Entscheidung ein ruhiges und
überlegtes Abwägen kaum möglich ist und es sehr leicht zu einem Sichvergreifen
in den Mitteln der Hilfe kommen kann. Die Situation einer Sportlehrkraft, die
bei einem im Sportunterricht eintretenden Notfall tätig wird, ist aber nicht
mit der einer spontan bei einem Unglücksfall Hilfe leistenden unbeteiligten
Person zu vergleichen. Den Sportlehrern des beklagten Landes oblag die
Amtspflicht, etwa erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig
und in ordnungsgemäßer Weise durchzuführen. Um dies zu gewährleisten, mussten
die Sportlehrer bereits damals über eine aktuelle Ausbildung in Erster Hilfe
verfügen. Die Situation des § 680 BGB entspricht damit zwar der von Schülern,
aber nicht der von Sportlehrern, zu deren öffentlich-rechtlichen Pflichten
jedenfalls auch die Abwehr von Gesundheitsschäden der Schüler gehört. Selbst
wenn es sich nur um eine Nebenpflicht der Sportlehrer handelt, sind Sinn und
Zweck von § 680 BGB mit der Anwendung im konkreten Fall nicht vereinbar.
Insoweit ist der Anwendungsbereich des § 839 Abs. 1 BGB auch davon geprägt,
dass ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab gilt, bei dem es auf die Kenntnisse
und Fähigkeiten ankommt, die für die Führung des übernommenen Amtes
erforderlich sind. Zur Führung des übernommenen Amtes gehören bei Sportlehrern
aber auch die im Notfall gebotenen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Dazu stände eine
Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit in Widerspruch. Eine solche
einschneidende Haftungsbegrenzung erscheint dem Senat auch vor dem Hintergrund
nicht gerechtfertigt, dass mit jedem Sportunterricht für die Schüler gewisse
Gefahren verbunden sind. Es wäre aber nicht angemessen, wenn der Staat
einerseits die Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichtet,
andererseits bei Notfällen im Sportunterricht eine Haftung für
Amtspflichtverletzungen der zur Durchführung des staatlichen Sportunterrichts
berufenen Lehrkräfte nur bei grober Fahrlässigkeit und damit nur in
Ausnahmefällen einträte. 
Vorinstanzen:
  
Landgericht Wiesbaden – 5 O 201/15 – Entscheidung vom 30.
November 2016 
Oberlandesgericht Frankfurt am Main – 1 U 7/17 –
Entscheidung vom 25. Januar 2018 

§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm
einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den
daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Art. 34 Satz 1 GG
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten
öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so
trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in
deren Dienst er steht.
§ 680 BGB
Bezweckt die Geschäftsführung die Abwendung einer dem
Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr, so hat der Geschäftsführer nur
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.