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IT-Strafrecht – LG Bonn: Öffentlichkeitsfahndung bei EC-Kartenbetrug

Das LG Bonn hat in Bezug auf die Öffentlichkeitsfahndung bei
EC-Kartenbetrug  mit Beschluss
vom 02.08.2018, 21 Qs-400 UJs 431/18-62/18
entschieden, dass auch der
(einfache) versuchte Computerbetrug die Öffentlichkeitsfahndung mit einem von
dem mutmaßlichen, den Abhebevorgang durchführenden Täter rechtfertigt.
Diebstahl und Missbrauch von EC-, Kredit- oder Bankkarten ist als um sich
greifendes Massenphänomen geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der
Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Die Fehlerwahrscheinlichkeit der
Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des EC-Karten-Computerbetrugs ist
vergleichsweise niedrig, was regelmäßig die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
begründet.
Leitsatz
1.      
Auch der (einfache) versuchte Computerbetrug
rechtfertigt die Öffentlichkeitsfahndung mit einem von dem mutmaßlichen, den
Abhebevorgang durchführenden Täter.
2.      
Diebstahl und Missbrauch von EC-, Kredit- oder
Bankkarten ist als um sich greifendes Massenphänomen geeignet, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
3.      
Die Fehlerwahrscheinlichkeit der
Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des EC-Karten-Computerbetrugs ist
vergleichsweise niedrig, was regelmäßig die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
begründet.

Tenor:
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 19.07.18 wird
der Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 16.07.18 – Aktenzeichen 53 Gs 280/18 –
aufgehoben.
Es wird die Veröffentlichung der Videoaufnahmen der Qbank F
vom 18.04.2018, welche den namentlich nicht bekannten Beschuldigten zeigen, in
den Medien (Öffentlichkeitsfahndung) angeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse
auferlegt.
Gründe:
I.
Am 18.04.2018 wurde der 73-jährigen Geschädigten Frau L
während ihres Krankenhausaufenthaltes im N F – als sie gerade zu einer
Untersuchung ihr Zimmer verlassen hatte – aus dem Nachttisch ihre Geldbörse
entwendet, in welcher sich Ausweisdokumente (Personalausweis, B
Krankenversicherungskarte), ca. 38,00 € Bargeld und eine EC-Karte der Qbank F
befanden. Am 18.04.2018 versuchte eine bisher unbekannte männliche Person mit
der EC-Karte der Geschädigten Bargeld an einem Geldautomaten einer Filiale der
Qbank F zu erlangen, welche videoüberwacht war. Die EC-Karte wurde nach
mehrmaliger falscher PIN-Eingabe vom Automaten eingezogen, so dass die
unbekannte Person kein (weiteres) Bargeld erlangte. Die Geschädigte zeigte den
Vorfall am 24.04.2018 bei der Polizei an. Auf den von der Polizei angeforderten
und von der Qbank F zur Verfügung gestellten Videoaufnahmen des Bereichs vor
dem genannten Geldautomaten ist der oben beschriebene Vorgang der versuchten
Bargelderlangung der unbekannten Person am Geldautomaten zu sehen, wobei das
Gesicht der betreffenden Person zu erkennen ist.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der
sogenannten Öffentlichkeitsfahndung zwecks Identitätsfeststellung des
Beschuldigten durch Veröffentlichung der Videoaufnahmen der Qbank F, welche den
Beschuldigten zeigen, ist zu entsprechen.
Zutreffend hat das Amtsgericht die grundsätzlichen
Voraussetzungen der Anordnung nach § 131b Abs. 1 StPO genannt, insbesondere
auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Demnach ist für die Anordnung erforderlich, dass eine Straftat von erheblicher
Bedeutung vorliegt, die regelmäßig dann gegeben ist, wenn die Straftat
mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen ist, den
Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, wobei die
Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten und das
durch Schwere und Bedeutung der aufzuklärenden Straftat determinierte
staatliche Strafverfolgungsinteresse andererseits zu berücksichtigen sind (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 14.12.2000, 2 BvR 1741/99 = NJW 2000, 879, 880 m.w.N.;
NStZ 2003, 441; vgl LG Saarbrücken, Beschluss vom 08.04.2004, 8 Qa 56/04; AG
Hannover, Beschluss vom 24.04.2015, 174 Gs 434/15; AG Bonn, Beschluss vom
21.04.2016, 51 Gs 722/16). Dem Amtsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass
eine Einzelfallbetrachtung geboten ist, um die Frage zu beantworten, ob die in
Rede stehende Tat nach den genannten Voraussetzungen erheblich i.S.v. § 131b StPO
ist. Auch folgt die Kammer nicht dem Ansatz der Staatsanwaltschaft, dass eine
Straftat von erheblicher Bedeutung (immer schon dann) vorliege, wenn – wie hier
für Diebstahl und Computerbetrug – die Strafrahmenobergrenze über zwei Jahren
liegt. Es ist aber auch nicht – wie das Amtsgericht hingegen ausführt –
erforderlich, dass die in Rede stehende Tat aus der Masse der Straftaten
herausragt und abweichend von sogenannten Bagatelldelikten besondere Folgen
o.ä. aufweist. Der Bereich der mittleren Kriminalität ist lediglich vom Bereich
der unteren Kriminalität abzugrenzen. Im Bereich der mittleren Kriminalität
können durchaus auch alltägliche Straftaten ohne besondere Folgen liegen.
Nach diesen Maßstäben ist die beantragte
Öffentlichkeitsfahndung gemäß § 131b Abs. 1 StPO anzuordnen.
Vorliegend geht es um den Diebstahl einer Geldbörse, in
welcher sich Ausweisdokumente (Personalausweis, B Krankenversicherungskarte),
ca. 38,00 € Bargeld und eine EC-Karte der Qbank F befanden, und einen
nachfolgend versuchten Computerbetrug unter Benutzung der entwendeten EC-Karte
an einem Geldautomaten der Qbank F. Damit geht es um die Erlangung einer
Geldbörse (unbekannten Werts) und des Betrags von 38,00 €, des Weiteren um
einen Versuch der Erlangung weiterer 500,00 € bis 1.000,00 € (da vermutlich
solche Beträge das Maximum gewesen wären, die an einem Tag am Bankautomaten
hätten abgehoben werden können angesichts üblicher Höchstbeträge der Banken)
und um die weiteren Schäden, die der Geschädigten durch die Wiederbeschaffung des
Personalausweises und der B-Karte entstanden sind bzw. entstehen werden. Die
Tat richtete sich gegen eine 73-Jährige in einem Krankenhaus, also in einem
geschützten Bereich, was eine gesteigerte Verwerflichkeit der Tat begründet,
wie auch das Amtsgericht ausgeführt hat. Die Charakterisierung als
wahrscheinliche Gelegenheitstat eines Einzelnen – und nicht als Serientat
und/oder Bandentat  teilt die Kammer
angesichts der Umstände der Tat ebenfalls. Der Strafrahmen für den Diebstahl
beträgt gemäß § 242 Abs. 1 StGB grundsätzlich Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren oder Geldstrafe, ebenso wie derjenige gemäß § 263a Abs. 1 StGB (wobei
hinsichtlich des Computerbetrugs hier eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 22,
23, 49 StGB vorzunehmen sein dürfte).
In der Gesamtschau dieser Umstände ordnet die Kammer die in
Rede stehenden Tat(en) dem Bereich der mittleren Kriminalität zu, insbesondere
da potentiell – im Erfolgsfalle – ein relativ hoher Schaden von 500,00 bis
1.000,00 € hätte eintreten können, wenn der Computerbetrug Erfolg gehabt hätte,
und weil die Entwendung der EC-Karte einer 73-jährigen Patientin aus einem
Krankenhauszimmer gesteigert verwerflich ist, auch unter Annahme einer
Gelegenheitstat eines Einzelnen.
Die Kammer sieht auch durch Taten dieser Art den
Rechtsfrieden als empfindlich gestört an. Der Diebstahl und Missbrauch von
EC-Karten hat sich schon seit vielen Jahren zu einem ernsten (Massen-)Problem
entwickelt, wobei insbesondere ältere Bürger im erhöhten Maße Opfer dieser
Straftaten werden und (leider) einige ihre PIN-Nummer auch in der Geldbörse
verwahren, wodurch leicht hohe Schäden entstehen können (auch wenn letzteres
hier nicht der Fall war). Zudem gibt es inzwischen technische Möglichkeiten der
Täter, auch ohne Kenntnis der PIN-Nummer Auszahlungen zu erreichen (auch dies
war hier nicht der Fall). Eine Nichtdurchführung der Öffentlichkeitsfahndung in
den Fällen des Computerbetrugs wäre jedenfalls geeignet, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, weil dadurch der
Eindruck erweckt wird, dass der jeweilige Täter nicht effektiv verfolgt werde.
Die Öffentlichkeitsfahndung ist sehr oft der einzige vielversprechende Ansatz
zur Ermittlung des Täters (wie auch hier der Fall ist). Es erscheint vor diesem
Hintergrund auch in Ansehung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten
geboten, in der Regel – wenngleich weiterhin im Einzelfall zu prüfen – die
Öffentlichkeitsfahndung bei Computerbetrug mit gestohlenen EC-Karten
anzuordnen, auch aus präventiven Gründen. Wenn der Täter damit rechnen muss,
dass sein Bild nach einer solchen Tat im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung
veröffentlicht werden wird – jede Bank verfügt heutzutage über Videokameras an
ihren Geldautomaten -, werden zumindest einige Täter davon abgehalten, eine
solche Tat zu begehen – sich bei der Abhebung zu maskieren wäre zwar möglich,
würde aber auch auffällig sein. Zwar verfolgt die Regelung des § 131b StPO
grundsätzlich keinen präventiven, sondern einen repressiven Zweck, aber im
Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung – Strafverfolgungsinteresse einerseits
und Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten andererseits – sind auch die
(anderweitig schützenswerten) Interessen der Allgemeinheit mit einzubeziehen,
wie bereits das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat (vgl. BVerfG, aaO); ein
solches ist u.A. das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven
Abschreckung von Tätern solcher Delikte. Es ist auch zu berücksichtigen, dass
die Fehlerwahrscheinlichkeit der Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des EC-Karten-Computerbetrugs
vergleichsweise niedrig ist, also die Quote, in welchen ein Bild veröffentlicht
wird, welches keinen Täter zeigt. Bei EC-Karten-Computerbetrug ist in aller
Regel eindeutig, dass derjenige auf den Videoaufnahmen der Bank, welcher die –
nach Angaben des jeweiligen Geschädigten entwendete oder anderweitig abhanden
gekommene EC-Karte benutzt – der Täter jedenfalls des Computerbetrugs ist und
mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Vortat (meist Diebstahl) auch beteiligt
war. Demgegenüber werden bei anderen Delikten, z.B. bei Mord, nicht selten auch
Bilder veröffentlicht, bei denen sich später herausstellt, dass diese doch
nicht den Täter gezeigt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingriff in
das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten insgesamt als verhältnismäßig und
gerechtfertigt.