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VG Gelsenkirchen – Kamera-Beobachtung einer Versammlung

Das VG Gelsenkirchen hat mit Urteil
vom 19.02.2019, Az. 14 K 7046/16
entschieden, dass  die polizeiliche
Beobachtung einer Versammlung mit Hilfe von Übersichtsaufzeichnungen per Kamera
 einen Eingriff in die grundgesetzlich
geschützte innere Versammlungsfreiheit der Teilnehmer darstellt; auch in
Übersichtsaufzeichnungen werden die Einzelpersonen in der Regel
individualisierbar mit erfasst. Ein Eingriff liegt auch dann vor, wenn die
Bilder nicht aufgezeichnet werden. Die Beobachtung bedarf daher einer
gesetzlichen Grundlage. Fehlt es an einer landesrechtlichen Regelung, ist das
Versammlungsgesetz des Bundes heranzuziehen. Nach diesem ist die bloße
Beobachtung durch eine aufzeichnungslose Kameraüberwachung gerechtfertigt.

Leitsätze:
1. Die polizeiliche Beobachtung einer Versammlung mit Hilfe
von Kameras stellt auch dann einen Eingriff in die durch Art 8 Abs. 1 GG
geschützte innere Versammlungsfreiheit der Teilnehmer dar, wenn keine
Aufzeichnung der Bilder erfolgt. Sie bedarf daher einer gesetzlichen Grundlage.
2. Da in NRW keine landesrechtlichen Regelungen getroffen
wurden, kommt als legitimierende Grundlage allein § 12a Versammlungsgesetz
(Bund) in Betracht. Dieser rechtfertigt neben der Aufzeichnung von Bildern, bei
Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen als Minusmaßnahme auch die bloße
Beobachtung durch eine aufzeichnungslose Kameraüberwachung.
3. Allein die Zahl der Teilnehmer (hier 2.000) rechtfertigt
eine ständige Überwachung zur Leitung und Lenkung des Einsatzes nicht. Im
Rahmen einer nach den Vorgaben des § 12a Versammlungsgesetz (Bund) vorzunehmenden
Gefahrenprognose müssen weitere tatsachengestützte Anhaltspunkte hinzutreten,
welche die Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes durch die Videoüberwachung
der gesamten Versammlung erfordern.

Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Videobeobachtung der
Versammlung der Klägerin am 24. September 2016 rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin war Anmelderin und Veranstalterin der am 24.
September 2016 in E.        zu dem Thema „Es
reicht! Rechte Gewalt stoppen in E.       
und anderswo“ durchgeführten Versammlung. Nach einer Auftaktkundgebung im
Bereich des Nord-Ausgangs des Hauptbahnhofs
E.        gegen 13 Uhr bewegten sich die
Teilnehmer über die T.—-straße , L.———straße , V.—–straße bis zur
Kreuzung N.———–straße . Nach einer Zwischenkundgebung bewegte sich der
Demonstrationszug zurück zur T.—-straße und von dort über den L1.—–wall
zur L2.—straße , wo zunächst auf der Höhe des Geschäftes
„D.      Elektronik“ und sodann an der U-Bahnstation
weitere Zwischenkundgebungen stattfanden. Anschließend verlief der
Demonstrationszug über die L2.—straße bis zum Friedhof, wo die Versammlung
mit einer Abschlusskundgebung gegen 18:30 Uhr endete.
Beamte des Beklagten richteten sowohl bei der
Auftaktkundgebung als auch bei dem Demonstrationszug und der
Abschlusskundgebung von einem vorausfahrenden Polizeiwagen („Kleinbus“) aus
eine sich auf einem ausgefahrenen Mast befindliche Videokamera auf die
Demonstrationsteilnehmer. Die so gewonnenen Aufnahmen wurden auf einen Monitor
in der Polizeileitstelle übertragen. Die Beschwerden einzelner Teilnehmer gab
die Klägerin an die für sie zuständige Kontaktbeamtin weiter.
Der Beklagte wandte sich während der Versammlung mit einem
Tweet u.a. an den offiziellen Account des Bündnisses „Es reicht“
(@es_reicht_DO): „Wir machen reine Übersichtsaufnahmen für den Polizeiführer.
Dadurch kann dieser sich ein Bild von der Lage machen.“. Die Veranstaltung
verlief friedlich.
Die Klägerin hat am 18. Oktober 2016 Klage erhoben. Die
Klage sei zulässig, insbesondere habe sie ein berechtigtes Interesse an der
Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme. Als
Versammlungsleiterin sei sie von den Videoaufnahmen erfasst worden. Darüber
hinaus bestehe eine Wiederholungsgefahr, da sie regelmäßig Versammlungen „gegen
Rechts“ in E.        anmelde und zu
befürchten sei, dass der Beklagte künftig weitere Versammlungen ohne eine
Rechtsgrundlage mit Videokameras beobachte.
Die Klage sei auch begründet. Das Richten einer
aufnahmebereiten Kamera auf die Demonstrationsteilnehmer nebst Übertragung der
Bilder auf einen Monitor beeinträchtige die innere Versammlungsfreiheit. Aus
Sorge vor staatlicher Überwachung könnten Bürger von der Teilnahme an der
Versammlung abgeschreckt werden oder sich in dieser nicht frei bewegen. Dabei
mache es keinen Unterschied, ob die von der Videokamera übertragenen Bilder
gespeichert werden oder nicht, da dies für den Versammlungsteilnehmer nicht
erkennbar sei. Die Videobeobachtung sei über mehrere Stunden durch einen
Kamerawagen für die Teilnehmer und Außenstehenden sichtbar vorgenommen worden.
Damit sei die Versammlung in ihrem wesentlichen Ablauf und nicht lediglich
flüchtig durch Kameras erfasst worden. Der Hinweis des Beklagten per Twitter,
es handele sich um reine Übersichtsaufnahmen, ändere daran nichts. Soweit der
Beklagte darauf verweise, dass das bei der Anfertigung der Übersichtsaufnahmen
eingesetzte Personal und die Technik sich von anderen Kräften, die
Videoaufnahmen vornehmen, unterscheide, habe der Beklagte dies nicht näher
dargelegt. Im Übrigen dürften diese Unterschiede für den durchschnittlichen
Teilnehmer nicht wahrnehmbar sein. Darüber hinaus beeinträchtige die
Videobeobachtung das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als
Recht der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Die Videobeobachtung habe nicht auf die §§ 12a, 19 des
Versammlungsgesetzes (VersG) gestützt werden können. Es habe keine
tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Gefahr für gewichtige Rechtsgüter gegeben.
Der Beklagte habe die Videobeobachtung – wie er selber vortrage – auch nicht
aus diesem Grund veranlasst, sondern einzig als „Übersichtsaufnahmen für den
Polizeiführer“. Der Beklagte könne sich auch nicht auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 2009 – 1 BvR 2492/08 – berufen,
da diese Entscheidung nur die Regelung des Bayerischen Versammlungsgesetzes zu
anlasslosen Übersichtsaufnahmen betreffe. Ungeachtet dessen komme es danach
auch nicht darauf an, ob eine abstrakte Gefahrenprognose ex ante habe getroffen
werden können. Eine solche müsse im Einzelfall tatsächlich bestehen. Es
erschließe sich ihr nicht, warum der Beklagte, wie er vorgebe, zur Lenkung des
Polizeieinsatzes eine durchgehende Beobachtung habe vornehmen müssen. Die
Versammlung sei nicht derart unübersichtlich gewesen, dass andauernd habe
gefilmt werden müssen. Die Annahme des Beklagten „einer großen und
unübersichtlichen Versammlung in Aufzugform“ treffe insbesondere in Bezug auf
die Sammelphase und die Abschlusskundgebung nicht zu. Die „intensiven
Mobilisierungsaktivitäten“, auf welche der Beklagte seine Gefahrenprognose
stütze, seien nicht ansatzweise belegt. Es wäre demnach ausreichend gewesen,
die Versammlungslage in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen mittels der
Kamera zu prüfen. Im Übrigen sei eine ausreichende Zahl von Beamten vor Ort
gewesen, die gegebenenfalls über Funk einen Hinweis auf Veränderungen hätten
geben können. An der Versammlung hätten schätzungsweise zwischen 1.000 und
2.000 Menschen teilgenommen. Eine Versammlung von in der Spitze 2.000 Personen
sei im Vergleich zu Großdemonstrationen mit mehreren zehntausend Teilnehmern
übersichtlich. Der Beklagte habe seine Gefahrenprognose im Rahmen des
Kooperationsgespräches nicht erwähnt. Dies lasse am Sinn dieser Gespräche
zweifeln.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die Videobeobachtung der Versammlung der
Klägerin am 24. September 2016 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, dass die Bildübertragung im
Einklang mit der geltenden Rechtslage durchgeführt worden sei. Da das Land
Nordrhein-Westfalen von seiner Gesetzgebungskompetenz zum Versammlungsrecht
bisher kein Gebrauch gemacht habe, sei die Durchführung von Übersichtsaufnahmen
unter Beachtung der durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelten
Maßstäbe erfolgt. Übersichtsaufnahmen seien danach zur Leitung und Lenkung
eines Polizeieinsatzes zulässig, wenn sie wegen der Größe oder
Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich seien. Die
Klägerin habe 1.000 Personen angemeldet. Aufgrund der intensiven
Mobilisierungsaktivitäten habe er jedoch mit einer wesentlich höheren Anzahl
von Versammlungsteilnehmern rechnen müssen. Es habe auf allen einschlägigen
Internetseiten wie z.B. „BlockaDO“ und „Autonome Antifa E.       
“ bundesweite Mobilisierungsaufrufe mit Zusagen unter anderem aus Leipzig,
Dresden, Hamburg, Bremen, Hannover, Wuppertal, Bochum und Düsseldorf gegeben.
Nach seinen Erkenntnissen seien für den Versammlungstag in der linken Szene
bundesweit Busfahrten nach E.       
organisiert worden. Des Weiteren sei die Versammlung auch bei den Antifa
Koblenz und Niedersachsen thematisiert worden. Weitere Mobilisierungsaufrufe
habe es in den sozialen Medien z.B. bei Twitter und Facebook durch einschlägige
Gruppierungen wie z.B. BlockaDO und Autonome Antifa
E.        mit einer Reichweite von mehreren
1000 Followers gegeben. Bei Twitter sei eigens für die Versammlung der Hashtag
#esreicht generiert worden, wodurch noch mal eine größere Reichweite der
Inhalte erreicht worden sei. Die Annahme einer deutlich höheren Teilnehmerzahl
sei auch auf die Erkenntnisse zu der Person der Klägerin gestützt worden. Die
Klägerin sei eine maßgebliche Organisatorin des Bündnisses „BlockaDo“. In den
vergangenen Jahren sei es ihr als Versammlungsanmelderin wiederholt gelungen,
eine Teilnehmerzahl im vierstelligen Bereich aus der linksgerichteten Szene,
darunter auch gewaltbereite Teilnehmer, zu mobilisieren. So habe die Klägerin
für den 20. August 2016 eine Versammlung mit 150 (spätere Angabe: 350) Teilnehmern
angemeldet. Tatsächlich sei die Demonstration mit etwa 700, darunter etwa 200
gewaltbereiten Personen, durchgeführt worden. Trotz intensiver
Raumschutzmaßnahmen durch starke Polizeikräfte sei es hier zu diversen
strafrechtlich relevanten Sachverhalten gekommen (u.a. Pyrotechnikeinsatz,
Vermummung). Im Rahmen dieser Versammlung seien Flugblätter verteilt worden,
die auf die Versammlung am 24. September 2016 hinwiesen. Im Nachgang zu
dieser Versammlung sei auf der Seite www.blockado.info Resümee gezogen und in
Aussicht gestellt worden, dass die Versammlung am 20. August 2016 erst der
Anfang gewesen sei und dass man für die Großdemonstration am 24. September 2016
noch breiter mobilisieren wolle. Im Rahmen der am 15. September 2016 auf dem
S.————platz in E.       
abgehaltenen Standkundgebung der „Es reicht Kampagne“ seien ebenfalls Flyer mit
dem Hinweis auf die Versammlung am 24. September 2016 verteilt worden. Zudem
sei bei dem Kooperationsgespräch am 13. September 2016 auch Frau
Q.       anwesend gewesen. Diese sei dem
linksgerichteten Spektrum zuzuordnen und habe in der Vergangenheit auch selbst
wiederholt Versammlungen angemeldet. Dabei sei sie immer wieder dazu in der
Lage gewesen, bis zu 400 Personen des linksextremen Spektrums, schwerpunktmäßig
aus NRW, zu mobilisieren. Die Klägerin habe im Rahmen des
Kooperationsgespräches auf Nachfrage selbst mitgeteilt, dass sie Teilnehmer aus
dem gesamten Bundesgebiet erwarte und dass es durchaus mehr Teilnehmer als die
angemeldeten 1.000 werden könnten. Er habe ferner davon ausgehen müssen, dass
sich die Teilnehmer aus dem bürgerlich und dem linksorientierten Bereich, der
anti-faschistischen, antideutschen und linksautonomen Szene zusammensetzen. Die
Versammlung habe folglich nicht aus einer homogenen Teilnehmerstruktur
bestanden, sondern aus verschiedenen radikalen Strömungen. Insbesondere
zwischen Anhängern der Antideutschen und der Antifa hätten bereits im Vorfeld
Differenzen wegen des von der Klägerin angemeldeten Auftrittes der umstrittenen
Musikgruppe „Grup Yorum“ bestanden. Seine Prognose zur Versammlungsgröße habe
sich am Versammlungstag bestätigt: Die Versammlung habe sich gegen 13:50 Uhr
mit ca. 1.000 Teilnehmern in Bewegung gesetzt. Darunter seien ca. 200 Personen
gewesen, die dem sogenannten schwarzen Block zuzuordnen seien. Während der
Versammlung seien weitere Versammlungsteilnehmer hinzugestoßen, sodass in der
Spitze ca. 2.000 Personen teilgenommen hätten. Aufgrund dieser Gefahrenprognose
habe er eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Form von
gewalttätigen Ausschreitungen und Sicherheitsstörungen befürchtet. Mit den
Aufnahmen sei der Zweck verfolgt worden, eine effiziente Lenkung und Leitung
des Polizeieinsatzes zu fördern. Andere gleich geeignete Mittel seien nicht ersichtlich
gewesen. Insbesondere sei die mündliche Übermittlung von Lagebildern durch
Beamte vor Ort nicht gleich geeignet gewesen. Zur Zweckerreichung sei die
Anfertigung der Übersichtsaufnahmen auch verhältnismäßig gewesen. Die durch
eine Videokamera aufgenommenen Live-Bilder der Versammlung seien nur für den
Polizeiführer zur Leitstelle, der nicht vor Ort gewesen sei, übertragen worden.
Es habe sich nicht um Aufnahmen zur Beweissicherung gehandelt. Die
Entscheidung, diesen Einsatz nicht vor Ort zu führen, sei – in Ergänzung
polizeitaktischer Belange – insbesondere darauf zurückzuführen, dass es sich um
eine komplexe Einsatzlage gehandelt habe. Bei dieser seien verschiedene
Ereignisse hochgradig miteinander vernetzt und es bestehe eine hohe
Eigendynamik bei gleichzeitiger Intransparenz vieler Probleme. Die Bilder aus
dem Einsatzraum seien erforderlich gewesen, damit der Polizeiführer seine
Leitungsfunktion habe wahrnehmen können. Zudem habe er die für die Anfertigung
der Übersichtsaufnahmen in der Rechtsprechung geforderte Offenheit umfassend
gewahrt. Die Übersichtsaufnahmen seien mittels eines colorierten
Funkstreifenwagens offen angefertigt worden. Im Rahmen der
Öffentlichkeitsarbeit (Twitter) habe er breit über diese Maßnahme informiert.
Er habe nicht das Personal und nicht die Technik eingesetzt, die von den
Beweissicherungskräften der Bereitschaftspolizei zur Fertigung
individualisierbarer Aufnahmen eingesetzt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Heft 1).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 der
Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft. Die Videobeobachtung der
Klägerin und anderer Teilnehmer einer Versammlung durch Einsatzkräfte der
Polizei stellt einen Realakt dar. Da dieser sich bereits vor der Klageerhebung
erledigt hat, kann das diesbezügliche staatliche Handeln zum Gegenstand einer
Feststellungsklage gemacht werden. Das feststellungsfähige und konkrete
Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO ergibt sich aus der
durchgeführten polizeilichen Beobachtung der Klägerin und anderer Teilnehmer
der Versammlung.
Das erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin ist
bereits aufgrund der Möglichkeit einer kurzfristig erledigten, aber
schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer in Art. 8 GG garantierten
Versammlungsfreiheit gegeben.
Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004– 1 BvR
461/03 –, juris, BVerwG, Beschluss vom11. Dezember 2003 – 1 WB 14/03 –, juris.
Das berechtigte Interesse der Klägerin ist darüber hinaus
durch die Möglichkeit des Eingriffs in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründet.
Ungeachtet dessen ist eine Wiederholungsgefahr bezogen auf
die Klägerin anzunehmen, da diese vorgetragen hat, auch in Zukunft Versammlungen
„gegen Rechts“ in E.        zu veranstalten
und an ihnen teilnehmen zu wollen. Dem Vortrag des Beklagten lässt sich
entnehmen, dass dieser in einem solchen Fall voraussichtlich erneut mit
vergleichbarer Begründung Übersichtsaufnahmen von der Polizei anfertigen lassen
wird.
Die Klage ist auch begründet.
Die Videoüberwachung der Versammlung am 24. September 2016
in E.        zu dem Thema „Es reicht! Rechte
Gewalt stoppen in E.        und anderswo“
durch die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen war rechtswidrig.
Die Beobachtung der Versammlung am 24. September 2016
mittels eines Video-Wagens der Polizei und die Übertragung der so gewonnen
Bilder in Echtzeit im sog. Kamera-Monitor-Prinzip – ohne Einverständnis der
Teilnehmer – stellte einen Eingriff in das Grundrecht der Klägerin auf
Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) dar.
Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist
jedes staatliche Handeln, dass die Ausübung bzw. Wahrnehmung des Grundrechts
zumindest erschwert. Zwar wird nach dem klassischen Eingriffsbegriff unter
einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden,
der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes,
erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also
imperativ zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, ist jedoch ein moderner
Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen. Dieser moderne Eingriffsbegriff, der sich
jedenfalls für die speziellen Grundrechte durchgesetzt hat, lässt für einen
Eingriff jedes staatliche Handeln genügen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das
in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich
macht.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –,
juris.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen
zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen
Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu
kommen und ist – als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und
vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt – für eine freiheitliche
demokratische Staatsordnung konstituierend.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012– 1 BvR 2794/10
–, juris.
Der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG erfasst als innere
Versammlungsfreiheit auch die Entschließungsfreiheit des Einzelnen bezüglich
der angstfreien Ausübung seines Grundrechts. Insbesondere die Versammlungs- und
Demonstrationsfreiheit setzt in ihrem Freiheitsgehalt voraus, dass die
Versammlungsteilnehmer nicht befürchten müssen, wegen oder anlässlich ihrer
Grundrechtswahrnehmung staatlicher Überwachung unterworfen und so
möglicherweise Adressaten für sie nachteiliger Maßnahmen zu werden.
Vgl. Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetz,17.
Auflage, § 12a, Rn. 7 m.w.N.
Daran gemessen stellt die Beobachtung der Versammlung im
Kamera-Monitor-Verfahren einen Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 GG
geschützte innere Versammlungsfreiheit dar.
Denn wenn der einzelne Teilnehmer der Versammlung damit
rechnen muss, dass seine Anwesenheit oder sein Verhalten bei einer
Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte ihn dies von einer
Teilnahme abschrecken oder ihn zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den
beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden. Das Bewusstsein,
dass die Teilnahme an einer Versammlung festgehalten wird, kann
Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der
demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken.
Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – 6 C 46/16 -,
juris (zur Einschüchterungswirkung eines tieffliegenden
Tornado-Kampfflugzeugzeugs mit Bildaufklärungsausrüstung über einem
Demonstranten-Camp und des hierin liegenden faktischen Eingriffs in die
Versammlungsfreiheit).
Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit
notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben
werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen und
möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte
(Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen
Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl,
weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf
Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten
freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.
Vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17. Februar 2009 – 1
BvR 2492/08 –, juris; VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 – 1 K 1403/08 –,
juris Rn. 13.
Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufnahmen
und personenbezogenen Aufnahmen besteht mit den heutigen technischen
Möglichkeiten nicht mehr. Auch in Übersichtsaufzeichnungen sind die
Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst. Sie können, ohne
dass technisch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich sind, durch schlichte
Fokussierung erkennbar gemacht werden, sodass einzelne Personen identifizierbar
sind. Der einzelne Versammlungsteilnehmer muss ständig damit rechnen, durch
eine Vergrößerung des ihn betreffenden Bildausschnittes (Heranzoomen)
individuell und besonders beobachtet zu werden. Dass diese
Identifikationsmöglichkeit nicht ihr Zweck ist, lässt die Rechtfertigungslast
für eine Befugnisnorm zur Anfertigung von Übersichtsaufnahmen nicht entfallen.
Vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17. Februar 2009 – 1
BvR 2492/08 –, juris; VG Berlin, Urteil vom 5. Juli 2010 – 1 K 905.09 –,
juris; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Auflage §12a, Rdnr. 8.
Dass die gefertigten Aufnahmen nicht gespeichert wurden,
führt zu keiner anderen Bewertung. Bereits das Beobachten der Teilnehmer stellt
einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Das polizeiliche Handeln knüpft
einzig und allein an die Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die
Teilnehmer an. Danach sind auch die hier in Streit stehenden sog.
Übersichtsaufnahmen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip geeignet, bei den
Teilnehmern ein Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen und diese – wenn auch
ungewollt – in ihrem Verhalten zu beeinflussen oder von der Teilnahme an der
Versammlung abzuhalten. Insofern überschreitet eine Videobeobachtung die
grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle, wenn Bürger aus Sorge vor staatlicher
Überwachung von der Teilnahme an der Versammlung absehen könnten und – aus
Sicht eines verständigen Versammlungsteilnehmers – zu befürchten ist, die
Aufnahme könne beabsichtigt oder versehentlich jederzeit ausgelöst werden und
somit eine Individualisierung von Versammlungsteilnehmern – z.B. durch
„Heranzoomen“ einzelner Personen – ermöglichen. Der einzelne
Versammlungsteilnehmer kann regelmäßig nicht erkennen, ob eine auf die
Versammlung gerichtete Kamera lediglich in Echtzeit Bilder auf einen Monitor überträgt
oder aber zeitlich darüber hinaus die Aufnahme aufgezeichnet und gespeichert
wird.
Vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17. Februar 2009 – 1
BvR 2492/08 – m.w.N., juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. Februar 2015 –
7 A 10683/14 –, juris; VG Münster, Urteil vom 21. August 2009 – 1 K 1403/08 –
juris; VG Berlin, Urteil vom 5. Juli 2010 – 1 K 905.09 –, juris; VG Hannover,
Urteil vom 14. Juli 2014 – 10 AQ 226/13 -, juris; Kniesel in: Dietel / Gintzel
/ Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Auflage §12a, Rdnr. 5ff m.w.N.;
Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, S. 282f.
An der eingetretenen Einschüchterungswirkung ändert auch der
während der Versammlung erfolgte Tweet des Beklagten mit dem Hinweis, dass es
sich um reine Übersichtsaufnahmen für den Polizeiführer handele, nichts. Ebenso
wenig ist von Relevanz, mit welcher Intention der Beklagte die Aufnahmen
veranlasste, da es für die Frage, ob eine solche staatliche Maßnahme
einschüchternde Wirkung hat, allein auf die Sichtweise eines durchschnittlichen
Versammlungsteilnehmers ankommt.
Die durch den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des
§ 12a VersG geäußerte Auffassung, die bloße Videobeobachtung einer
Versammlung – ohne eine Speicherung der Aufnahmen – sei kein
Grundrechtseingriff, da der Einzelne aufgrund mangelnder technischer
Möglichkeiten nicht individualisierbar gemacht werden könne (BT-Drs. 11/4359,
S. 17), ist mittlerweile überholt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009– 1 BvR 2492/08
–; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom5. Februar 2015 – 7 A 10683/14 –, juris; VG
Berlin, Urteil vom 26. April 2012 – VG 1 K 818.09 –; jeweils juris; Dietel /
Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Auflage §12a, Rdnr. 8.
Der Einwand des Beklagten, die Anfertigung der
Übersichtsaufnahmen habe im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gestanden, da die vorliegende Versammlung aufgrund
ihrer Größe und Unübersichtlichkeit zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes
habe überwacht werden können,
vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009– 1 BvR 2492/08
–, juris,
mit der Folge, dass es an einer Rechtsverletzung mangele,
geht fehl. Der maßgebliche Unterschied zu dem vom Bundesverfassungsgericht
entschiedenen Fall ist der, dass das dort betroffene Land Bayern eine eigens
die Übersichtsaufnahmen einer Versammlung gestattende gesetzliche
Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz des Landes Bayern geschaffen hatte (vgl.
Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayVersG). Dessen Anwendbarkeit hat das
Bundesverfassungsgericht sodann einstweilen auf die Fälle beschränkt, in denen
Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes wegen der
Größe und Unübersichtlichkeit im Einzelfall erforderlich sind. An einer derartigen
Rechtsgrundlage fehlt es jedoch im Land Nordrhein-Westfalen. Das
Bundesverfassungsgericht selbst setzt die grundsätzliche Notwendigkeit einer
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ebenfalls voraus.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – 6 C 46/16 –;VG
Berlin, Urteil vom 26. April 2012 – VG 1 K 818.09 –; jeweils juris.
Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 23. November 2010 – 5 A 2288/09 –
ausgeführt hat, Übersichtsaufnahmen, die erkennbar der Lenkung eines
Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienten und hierfür
erforderlich seien, käme keine Eingriffsqualität zu, hat es hierauf nicht
tragend abgestellt.
Das Beobachten der Versammlungsteilnehmer im
Kamera-Monitor-Verfahren stellt ferner einen Eingriff in das Recht der Klägerin
auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dieses Grundrecht umfasst die aus dem Gedanken
der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu
entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte
offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983– 1 BvR 209/83 –,
juris.
Bei der Videobeobachtung besteht, wie dargelegt, jederzeit
die Möglichkeit, ohne weiteres von der Übersichtsaufnahme in die Nahaufnahme
überzugehen und somit den Einzelnen individuell zu erfassen. Durch die so
aufwandslose Möglichkeit der Erhebung personenbezogener Daten liegt eine
faktische Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgegenstandes vor, die
einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff gleichkommt.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2003– 1 S
377/02 –; VG Sigmaringen, Beschluss vom2. April 2004 – 3 K 1344/04 –; VG
Berlin, Urteil vom5. Juli 2010 – 1 K 905.09 –; jeweils juris.
Der Eingriffsqualität steht nicht entgegen, dass keine
Speicherung der aufgenommenen Bilder erfolgt. Es genügt, dass die Bilder, die
die Kamera produziert, auf einen Bildschirm übertragen werden.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2009– 16 A
3375/07 –, juris.
Da die Beobachtung der Versammlung vom 24. September 2016
einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG und des –
wohl subsidiären, jedenfalls keinen weiter reichenden Schutz vermittelnden –
Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
darstellt, bedurfte es zu dessen Rechtfertigung gemäß Art. 8 Abs. 2 GG einer
gesetzlichen Grundlage, aus der nachvollziehbar und klar der Umfang der
Beschränkungen erkennbar ist. Eine solche Rechtsgrundlage ist in
Nordrhein-Westfalen nicht vorhanden.
Von der im Zuge der Föderalismusreform auf die Länder
übergegangenen Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht hat das Land
Nordrhein-Westfalen keinen Gebrauch gemacht. Eine landesrechtliche Regelung zur
Anfertigung von Übersichtsaufnahmen und –aufzeichnungen nach den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts fehlt.
Als Rechtsgrundlage kommen somit lediglich §§ 12a
Abs. 1 S. 1, 19a des Versammlungsgesetzes (VersG) in Betracht. Danach
darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im
Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche
Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Nach § 12a Abs. 1
S. 2 VersG dürfen die Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte
unvermeidbar betroffen werden.
Eine erhebliche Gefahr bedeutet eine Gefahr für gewichtige
Rechtsgüter wie Leib und Leben. Erforderlich ist eine rechtsfehlerfreie und auf
Tatsachen beruhende Prognose, dass ein bestimmtes Verhalten eines Teilnehmers /
mehrerer Teilnehmer voraussichtlich die Gefahrengrenze überschritten wird.
Aufgrund einer solchen Prognoseentscheidung kann im Einzelfall ein
Kameraeinsatz zulässig sein, bevor sich die Gefahr tatsächlich, etwa durch
Tätlichkeiten aus der Versammlung heraus, verwirklicht hat. Bloße Verdachtsmomente
und Vermutungen genügen allerdings nicht. Für die Gefahrenprognose können
Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen
werden, soweit jene bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des
Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung
aufweisen.
Vgl. BVerfG, einstweilige Anordnung vom 4. September 2009 –
1 BvR 2147/09 –; OVG NRW, Beschluss vom21. Oktober 2015 – 15 B 1201/15 –;
jeweils juris m.w.N.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften,
die – entsprechend der zu § 15 Abs. 3 VersG entwickelten Grundsätze,
vgl. Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetze,17.
Auflage § 15, Rdnr.138f m.w.N
– als Minus auch eine bloße Videobeobachtung ohne
Speicherung der Daten erlauben würden, waren nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der
Versammlung waren (aus der maßgeblichen ex ante Sicht) keine tatsächlichen
Anhaltspunkte erkennbar, dass von den Versammlungsteilnehmern erhebliche
Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen.
Eine diesen Anforderungen genügende Gefahrenprognose hat der
Beklagte seiner Entscheidung zur Anfertigung von Übersichtsaufnahmen schon
selbst nicht zugrunde gelegt. Den Ausführungen des Beklagten im Rahmen der
Klageerwiderung lässt sich entnehmen, dass die Videobeobachtung vielmehr unter
der Annahme der Geltung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „wegen
der Größe und Unübersichtlichkeit der Versammlung Übersichtsaufnahmen zur
Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes“ veranlasst wurde. Dies zeigt auch der
Tweet des Beklagten, im welchem es heißt: „Wir machen reine Übersichtsaufnahmen
für den Polizeiführer. Dadurch kann dieser sich ein Bild von der Lage machen.“.
Dessen ungeachtet vermögen auch die im Rahmen der
ergänzenden Klageerwiderung von dem Beklagten angeführten Umstände für seine Annahme,
dass ein erhöhtes Gefahrenpotenzial bestanden habe, die Prognose einer
erheblichen Gefahr nicht zu begründen.
Auf die bloße Anzahl der erwarteten Teilnehmer kann sich der
Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Zwar mag die Übersichtlichkeit der Versammlung
bei erhöhter Teilnehmeranzahl leiden. Eine zwingende Schlussfolgerung
dahingehend, dass ab einer bestimmten Teilnehmerzahl eine erhebliche Gefahr im
Sinne von § 12a Abs. 1 Satz 1 VersG vorliegt, widerspräche dem
Ausnahmecharakter der Norm und wird dem Erfordernis tatsächlicher Anhaltspunkte
für das Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung nicht gerecht. Dass bei der Versammlung am 24. September 2016
allein wegen der Anzahl der Versammlungsteilnehmer eine Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung konkret drohte, hat der Beklagte jedoch
nicht dargelegt.
Auch seine weitere Annahme einer inhomogenen
Teilnehmerstruktur und der Teilnahme von mehreren hundert situativ
gewaltbereiten Personen hat der Beklagte nicht näher belegt. Die von ihm zur
Begründung herangezogenen polizeilichen Erkenntnisse zur Person der Klägerin
und des Bündnisses „BlockaDo“ hat er nicht durch geeignete Unterlagen
untermauert. Die bloße Teilnahme von Anhängern bestimmter, abstrakt gewaltbereiter
Gruppierungen genügt im Übrigen nicht den Anforderungen der von § 12a
VersG geforderten Gefahrenprognose, die an tatsächliche Erkenntnisse anknüpfen
muss.
Vgl. BVerfG, einstweilige Anordnung vom 4. September 2009 –
1 BvR 2147/09 –, juris.
Soweit der Beklagte eine Indizwirkung für das
Gefahrenpotential aus dem Verlauf der von der Klägerin am 20. August 2016
durchgeführten Versammlung ableitet, fehlt es ebenfalls an der Darlegung einer
konkreten Tatsachengrundlage. Zwar waren die Versammlungen hinsichtlich des
Mottos und der teilnehmenden Organisationen weitgehend identisch. In Bezug auf
die Strecke und den Versammlungsort gab es jedoch deutliche Unterschiede. Die
Versammlung vom 20. August 2016 verlief von der E1.         
Innenstadt in den E1.         
Stadtteil E2.         und damit an
einem deutlich konfliktträchtigeren Ort als die Versammlung vom 24. September
2016, welche ausschließlich im Innenstadtbereich auf einer in
E.        üblichen und öfter für
Versammlungen genutzten Demonstrationsstrecke stattfand. Die von dem Beklagten
angeführten „diversen strafrechtlich relevanten Sachverhalte“ rechtfertigten
demnach ohne nähere Begründung nicht die Annahme, dass sich solche auch während
der Versammlung am 24. September 2016 ereignen.
Alleine die Behauptung, der Beklagte sei aufgrund der Größe
und des inhomogenen Teilnehmerfeldes von einer „Stabslage“ ausgegangen,
begründet mangels tatsachengestützer Grundlage keine Gefahrenprognose. Die
allgemeine Lebenserfahrung, dass bei Versammlungen auch Straftaten und
Ordnungswidrigkeiten begangen werden, begründet lediglich eine abstrakte, nicht
aber eine konkrete Gefahr.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob §
12a Abs. 1 Satz 1 VersG, der grundsätzlich nur zu Bild- und Tonaufnahmen von
Störern (und unvermeidbar betroffenen Dritten) ermächtigt, auch die hier
erfolgte Videobeobachtung einer kompletten Versammlung erlaubt. Offen bleiben
kann auch die Frage der Verhältnismäßigkeit des Kameraeinsatzes.
Andere Rechtsgrundlagen für das polizeiliche Handeln sind
nicht ersichtlich.
Die Videobeobachtung würde, auch wenn man der Auffassung des
Beklagten folgen könnte, dass Übersichtsaufnahmen keinen Eingriff in Art 8 Abs.
1 GG darstellen, sofern sie wegen der Größe und Unübersichtlichkeit der
Versammlung im Einzelfall zur Leistung und Lenkung des Polizeieinsatzes
erforderlich und zulässig sind, sich nicht als rechtmäßig erweisen.
Denn der Beklagte hat schon nicht substantiiert dargelegt,
dass diese Voraussetzungen vorlagen. Zwar erweist sich die Annahme des
Beklagten, dass die von der Klägerin bei der Anmeldung angegebene
Teilnehmerzahl (1.000 Personen) erheblich überschritten werde, nach der
Darstellung der von ihm ermittelten Mobilisierungsaktivitäten, die sich
teilweise noch im Internet abrufen lassen, als tragfähig. Soweit der Beklagte
aber darüber hinaus auf die aus der von der Klägerin am 20. August 2016
durchgeführten Versammlung gewonnenen Erkenntnisse abgestellt hat, fehlt es,
wie ausgeführt, an einer konkreten Darlegung der „diversen strafrechtlich
relevanten Sachverhalte“ und der Vergleichbarkeit der beiden Versammlungen, die
sich insbesondere hinsichtlich der Örtlichkeit voneinander unterschieden. Auch
die weitere Erklärung des Beklagten, er habe aus der Teilnahme einer Frau
Q.       am Kooperationsgespräch vom 13.
September 2016 den Rückschluss ziehen können, dass mehrere hundert situativ
gewaltbereite Personen an der Versammlung teilnehmen, ist ohne weitere
Erläuterungen und entsprechende Belege nicht im Ansatz hinreichend
substantiiert. Solche finden sich weder in dem Verwaltungsvorgang welcher dem
Gericht vorgelegt wurde noch hat sie der insoweit mit der Darlegungslast 
belastete Beklagte im vorliegenden Verfahren beigebracht.
Ungeachtet dessen hat der Beklagte auch nicht
nachvollziehbar dargelegt, dass bei einer derartigen Teilnehmerzahl und
-struktur eine Erfassung der Lage durch vor Ort tätige Polizeikräfte und deren
mündliche Berichterstattung nicht hätte erfolgen können. Eine
Auseinandersetzung mit den Beschaffenheiten der Versammlungsorte und des
Streckenverlaufs fehlt. Da sich der vorgesehene Streckenverlauf nicht von
anderen, üblicherweise in der
E1.          Innenstadt seitens
des Beklagten freigegebenen Demonstrationsstrecken unterschied, drängt sich das
Vorliegen einer besonderen Unübersichtlichkeit auch nicht auf.
In diesem Zusammenhang fehlt es insbesondere auch an
tatsachengestützten Ausführungen dazu, dass die Situation über die gesamte
Dauer – und nicht nur zeitweise bzw. an bestimmten Örtlichkeiten – der
Versammlung derart unübersichtlich war, dass nur eine Videobeobachtung zur
Lageerfassung geeignet und erforderlich war. Soweit der Beklagte vorträgt, es
habe sich um eine komplexe Einsatzlage gehandelt, hat er dies nicht näher
erläutert und von anderen Versammlungslagen abgegrenzt. Ob die Videobeobachtung,
die mittels eines colorierten Funkstreifenwagens erfolgte und über welche der
Beklagte per Twitter informierte, die Anforderungen des
Bundesverfassungsgerichts an die Offenheit der Maßnahme erfüllte, bedarf
hiernach keiner Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.