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OLG Dresden: Unverpixelte Abbildung eines Angeklagten im Strafverfahren – Anonymitätsinteresse versus Informationsinteresse

Ein das Anonymitätsinteresse
überwiegendes Informationsinteresse an der unverpixelten Abbildung eines
Angeklagten ist bei Strafverfahren, für die nach § 120 GVG das
Oberlandesgericht zuständig ist, regelmäßig gegeben. Sitzungspolizeiliche
Anordnungen, die Bildaufnahmen einschränken, beeinflussen diese Abwägung nicht.




Aus den Gründen:

I.
Der Antragsteller
wendet sich gegen den Abdruck seines unverpixelten Bildnisses in einem
in der von der
Antragsgegnerin verlegten „… M.“ erschienenen Artikel vom 7.3.2017.
Im
Untertitel zu diesem
Foto heißt es“ XX (28) aus Y. auf einer Neonazi-Demo. Der xxx ist 2014
nach F. in Sachsen
gezogen.“. Das Landgericht hat seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe
abgelehnt. Bei der
gebotenen Abwägung sei das Recht der Antragsgegnerin an einer
unverpixelten Aufnahme
wegen der Bedeutung des Strafverfahrens höher zu gewichten.
Seiner sofortigen Beschwerde,
die der Antragsteller darauf gestützt hat, hiermit werde eine
im Strafverfahren
erlassene sitzungspolizeiliche Anordnung umgangen und nicht hinreichend
gewürdigt, dass er
bislang in der Öffentlichkeit nicht in besonderem Maße wahrgenommen
worden sei und durch
die Berichterstattung stigmatisiert und an den Pranger gestellt werde,
hat das Landgericht
nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde gegen
die Versagung der beantragten Prozesskostenhilfe ist gemäß § 127
Abs. 2 S. 2 ZPO
zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Eine hinreichende
Erfolgsaussicht des vom
Antragstellers (ASt.) geltend gemachten Unterlassungsanspruches
besteht nicht. Der auf
§§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG), Art. 2
Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1
Abs. 1 GG gestützte Anspruch setzt eine rechtswidrige und
schuldhafte Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus. Eine solche liegt hier
nicht vor. Der Senat
teilt die Auffassung des Landgerichts, dass eine unverpixelte
Bildberichterstattung
im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn des
Strafverfahrens vor dem
Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 7.3.2017
vorliegend nach § 23
Absatz 1 Ziff. 1 KUG zulässig war.
Bei dem beanstandeten
Foto handelt es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der
Zeitgeschichte. Es ist
nicht aus dem Strafverfahren heraus angefertigt, sondern zeigt den
ASt. nach dem
Untertitel als Teilnehmer einer „Neonazi-Demo“, ohne dass allerdings
der
Gegenstand dieser
Demonstration oder andere Demonstranten sichtbar würden, so dass die
vom Abdruck dieses
Fotos ausgehende Beeinträchtigung nicht über ein kontextneutrales
Bildnis hinausgeht. Das
Foto dient der Illustration der Berichterstattung über das
Strafverfahren gegen
den ASt. und die „F.“. Im Ergebnis der nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG
gebotenen Abwägung
kommt dem Informationsinteresse der Antragsgegnerin (Ag.) an
dieser unverpixelten
Abbildung des ASt. der Vorrang vor dessen Persönlichkeitsrecht zu.
Hierbei hat das
Landgericht zutreffend berücksichtigt, dass es sich bei der Berichterstattung
über das zugrunde
liegende Strafverfahren um eine Frage von allgemeinem
gesellschaftlichem
Interesse handelt. Aufgabe der Medien ist die Berichterstattung über
Straftaten, weil die
Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von
Rechtsgütern der
betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft ein anzuerkennendes Interesse
an näherer Information
über Tat und Täter begründen. Bei der Abwägung des
Informationsinteresses
der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung gegen den damit
zwangsläufig
verbundenen Einbruch in den Persönlichkeitsbereich des Täters verdient für
die aktuelle
Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den
Vorrang (vgl. BVerfG
NJW 1973, 1226; NJW 1993, 1463).
Die unverpixelte
Abbildung eines Angeklagten rechtfertigt dies allerdings nicht in jedem Fall,
sondern nur dann, wenn
für die Mitteilung über die Person ein berechtigtes, in der Sache  begründetes Interesse besteht (BGH
NJW 2006, 599; vgl. zur identifizierenden Berichterstattung auch
BGH NJW-RR 2007, 619). Ebenso wie die namentliche Herausstellung einer Person
im Rahmen einer berechtigten Berichterstattung setzt auch eine Abbildung der Person
voraus, dass unter Berücksichtigung des Anonymisierungsinteresses des Betroffenen das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt. Bei der Gewichtung des Informationsinteresses
der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bedeutsam. 
Die Öffentlichkeit hat in bedeutsamen Strafverfahren ein legitimes Interesse daran zu
erfahren, um wen es geht, und die Presse könnte durch eine anonymisierte
Berichterstattung ihre meinungsbildenden Aufgaben nicht erfüllen. Der Persönlichkeitsschutzes
darf nicht dazu führen, Bereiche des Gemeinschaftslebens von öffentlicher Kritik und
Kommunikation allein deshalb auszusperren, weil damit beteiligte Personen gegen ihren
Willen ins Licht der Öffentlichkeit geraten (BGH NJW-RR 2007, 619).
Bei Strafverfahren ist
insbesondere die Schwere der zur Anklage stehenden Straftat zu
berücksichtigen, aber
auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa auf Grund
besonderer Umstände und
Rahmenbedingungen gewonnen hat. Das Informationsinteresse
wird regelmäßig umso
stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr die
Straftat sich von der
gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa auf Grund der Art der Begehung
oder der Besonderheit
des Angriffsobjekts. Ein gewichtiges Informationsinteresse kann
hierbei auch dann
gegeben sein, wenn dem Angeklagten selbst keine zeitgeschichtliche
Bedeutung zukommt, aber
ein Informationsinteresse an dem Prozess als solchem, etwa
wegen seines Aufsehen
erregenden Gegenstands, besteht (KG Berlin, Urteil vom 06. April
2010 – 9 U 45/09 –, Rn.
59, juris ).
Vorliegend war zu
berücksichtigen, dass das gegen den ASt. und weitere Mitangeklagte
geführte Strafverfahren
u.a. wg. versuchten Mordes und Bildung einer terroristischen
Vereinigung zu den
größten Strafverfahren wegen rechtsextremer Straftaten in der
Bundesrepublik zählt
und im Gefolge des „NSU-Prozesses“ und des Verfahrens gegen die
sog. Oldschool-Society
vor dem OLG München in der Öffentlichkeit bundesweit ein
nachhaltiges Interesse
erweckt hat, das sich auch auf die Personen und Motive der
Angeklagten erstreckt.
Der ASt., dem vorgeworfen wird, eine rechtsterroristische Vereinigung
gegründet und die der
Anklage zugrunde liegenden Taten maßgeblich mitinitiiert zu haben,
steht hierbei in einem
besonderen Focus. An seiner identifizierenden Herausstellung besteht
auch insofern ein
besonderes öffentliches Interesse, als er nicht ursprünglich aus F., sondern
aus Y. stammt und damit
gerade keinen Bezugspunkt für die in der Öffentlichkeit diskutierte
These bildet,
rechtsextreme Einstellungen und die Bereitschaft zu solchen Taten seien
gerade in Sachsen
besonders weit verbreitet. Für die Leserschaft der von der Ag. verlegten
„… M.“ ist
darüber hinaus von besonderem Interesse zu erfahren, unter welchen Umständen
ein aus Y. stammender
xxx mutmaßlich Mitglied einer rechtsterroristischen Vereinigung in
Sachsen werden konnte,
was sich ohne Angabe identifizierender Angaben indes nicht
darstellen ließe. Bei
der Abwägung war zudem zu berücksichtigen, dass der ASt. zwar
unverpixelt gezeigt,
zugleich in dem Bezugsartikel jedoch anonymisiert wird. Damit ist er
zwar für seinen Y.
Bekanntenkreis trotz Sonnenbrille erkennbar. Anders als eine vollständige
Namensnennung erlaubt
jedoch der Abdruck eines unverpixelten Bildnisses eine Recherche
nach seiner Person im
Internet nur sehr eingeschränkt, weil über die gängigen
Suchmaschinen nicht
nach Bildnissen gesucht werden kann. In das „Recht auf Vergessen“
greift die
Veröffentlichung eines Bildnisses mithin weniger gravierend ein als die
vollständige
Namensnennung.
Berechtigte Interessen
des ASt. im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG werden hierdurch nicht
verletzt. Namentlich
das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Recht auf
http://www.jurpc.de – Internet-Zeitschrift fuer Rechtsinformatik und
Informationsrecht (Download am: 23.01.2018) informationelle Selbstbestimmung
und auf Anonymität ist nicht schrankenlos gewährleistet.
Der Einzelne hat keine absolute,
uneingeschränkte Herrschaft über „seine“ Daten. Er muss
vielmehr
Einschränkungen hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von
berechtigten Gründen
getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der
Schwere des Eingriffs
und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des
Zumutbaren noch gewahrt
ist (KG Berlin GRUR-RR 2007, 247; NJW-RR 2005, 350). Dies ist
hier der Fall. Dass der
ASt. gerade durch die Veröffentlichung seines unverpixelten Fotos
eine konkrete
Stigmatisierung erfahren hätte, vermag er nicht zu substantiieren. Seine
Resozialisierung steht
derzeit nicht in Rede, das zugrunde liegende Strafverfahren ist noch
nicht beendet. Allein
die zu seinen Gunsten streitende Unschuldsvermutung steht unter
nochmaliger Abwägung
mit dem erheblichen Öffentlichkeitsinteresse gerade an seiner
Person und der
zeitgeschichtlichen Bedeutung des u.a. gegen ihn geführten Strafverfahrens
einer solchen Abbildung
nicht entgegen. Ist jemand, dokumentiert durch die Eröffnung des
Hauptverfahrens, der
Begehung einer besonders schweren Straftat hinreichend verdächtig
und zeichnet sich diese
Straftat darüber hinaus durch besondere ungewöhnliche Umstände
aus, sprach dies nach
der bis zur Caroline-Entscheidung des EGMR (AfP 2004, 348)
geltenden Rechtslage
für die Qualifizierung als relative Person der Zeitgeschichte (OLG
Koblenz, Beschluss vom
29. März 2000 – 4 W 22/00 –, juris; Wenzel, Das Recht der Wortund
Bildberichterstattung,
5. Aufl. 10.172). Nach der seither geltenden Rechtslage führt
dieser Gesichtspunkt im
Rahmen der Abwägung bei Straftaten von zeitgeschichtlicher
Bedeutung dazu, dass
das Recht auf Anonymität regelmäßig zurücktreten muss. Dass der
ASt. derzeit „in
der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen wird“, liegt ohnehin nur zu
einem geringen Teil an
der Berichterstattung der Ag, sondern maßgeblich an der
besonderen
gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Bedeutung dieses Strafverfahrens.
Zu Recht hat es das
Landgericht im Rahmen dieser Abwägung schließlich dahinstehen
lassen, ob es – wie der
ASt. ohne Nachweis behauptet hat – in dem Strafverfahren vor dem
Oberlandesgericht eine
sitzungspolizeiliche Anordnung gegeben hat, mit der Bildaufnahmen
nur eingeschränkt
zugelassen worden sind. Zum einen wird bereits nicht vorgetragen,
welchen Einschränkungen
die Bildberichterstattung hiernach unterlegen haben soll. Überdies
ist das öffentliche
Interesse daran, das sitzungspolizeiliche Anordnungen im Interesse einer
geordneten Rechtspflege
eingehalten werden, im Rahmen des § 23 KUG zugunsten eines
Angeklagten zunächst
nicht von Belang. Sowohl bei der Abwägung nach § 23 Absatz 1 KUG
als auch bei der
Prüfung gemäß § 23 Absatz 2 KUG, ob durch die Verbreitung ein
berechtigtes Interesse
des Abgebildeten verletzt wird, können allein berechtigte Interessen
des Betroffenen zu
dessen Gunsten Berücksichtigung finden. Für generalpräventive
Aspekte, wie die
Sicherung der Einhaltung sitzungspolizeilicher Verfügungen in einem
Strafverfahren, ist
hier kein Raum. Eine Sanktionierung von Verstößen gegen
sitzungspolizeiliche
Verfügungen kann nicht in einem Strafverfahren nachfolgenden
presserechtlichen
Verfahren erfolgen (KG Berlin, Urteil vom 06. April 2010 – 9 U 45/09 –, Rn.
31, juris).
III.
Eine Kostenentscheidung
ist nicht erforderlich. Die Verpflichtung des ASt., die Kosten des
erfolglosen
Beschwerdeverfahrens zu tragen, ergibt sich aus dem Gesetz. Außergerichtliche
Kosten werden nicht
erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO). Gründe für die Zulassung der

Rechtsbeschwerde sind
nicht ersichtlich.