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OLG Schleswig: Streitwert einer Urheberrechtsverletzung durch Anbieten eines Computerspiels zum unerlaubten Download

Amtlicher Leitsatz:
Der
Streitwert für eine Unterlassungsklage des urheberrechtlich
Nutzungsberechtigten an einem Computerspiel wegen Verletzung durch Einstellen
des Werks in eine sog. Internettauschbörse kann nicht nach einem Vielfachen des
Lizenzgewinns bemessen werden, der dem Berechtigten im Verhältnis zum Verletzer
entgangen ist. Dabei bliebe nämlich außer Betracht, dass der dem Berechtigten
durch diese Verletzungshandlung entstandene und drohende Schaden auch im
entgangenen Lizenzgewinn im Verhältnis zu der Vielzahl der weiteren Teilnehmer
der Tauschbörse und der Beeinträchtigung der kommerziellen Verwertung des Werks
insgesamt besteht. Insofern unterscheiden sich die Fälle des
„File-Sharing“ von Urheberrechtsverletzungen durch Verwendung des
Werks für ausschließlich eigene Zwecke.
In Sachen
– Klägerin –
gegen
– Beklagter –

Weitere
Beteiligte und Beschwerdeführerin:
Rechtsanwälte

hat der 6.
Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts durch die
Präsidentin des Oberlandesgerichts, den Richter am Oberlandesgericht und den
Richter am Oberlandesgericht am 14.06.2016 beschlossen:
Tenor:
Auf die
Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird die
Streitwertfestsetzung des Landgerichts in der Fassung des Beschlusses vom
9.2.2016 geändert. Der Streitwert für die Zeit bis zum 17.9.2015 wird auf
16.850 € festgesetzt. Im Übrigen bleibt der Beschluss unverändert.
Die
weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin
ist Inhaberin der ausschließlichen und weltweiten Lizenz für den Betrieb des
Computerspiels „D“, das im September 2011 auf den Markt gebracht
wurde. Der Beklagte ist Inhaber eines Internetanschlusses. Die Klägerin stellte
fest, dass über diesen Anschluss im Rahmen eines Peer-to-Peer-Netzwerkes
(„Tauschbörse“) am 4.10.2012 um 19:17 Uhr und um 22:34 Uhr sowie
am 5.10.2012 um 8:24 Uhr Dateien des Spiels zum unerlaubten Download für
andere Teilnehmer des Netzwerks bereit gehalten wurden. Nach fruchtloser
vorgerichtlicher Abmahnung hat sie den Beklagten auf Unterlassen, Erstattung der
Abmahnkosten in Höhe von 859,80 €, Zahlung von Teilschadensersatz in Höhe von
600,- €, Auskunftserteilung über weitere Verletzungshandlungen betreffend das
Computerspiel und Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht in Anspruch
genommen. Nachdem der Beklagte Auskunft erteilt, eine Unterlassungserklärung
abgegeben und den Schadensersatz- und Kostenerstattungsanspruch teilweise
anerkannt hat, haben die Parteien den Rechtsstreit im übrigen mit der Maßgabe
einer Kostenübernahme durch den Beklagten für erledigt erklärt.
In der
mündlichen Verhandlung am 17.9.2015 hat das Landgericht ein entsprechendes
Anerkenntnisteil- und Endurteil erlassen. Zugleich hat es den Streitwert auf
7.000,- € festgesetzt. Hiergegen hat einerseits der Beklagte Beschwerde
eingelegt mit der Begründung, dass die Streitwertermäßigung infolge der
übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen nicht erfasst sei. Andererseits
haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus eigenem Recht mit
Schriftsatz vom 11.1.2016 die ihres Erachtens zu niedrige Festsetzung
beanstandet; sie erstreben eine Erhöhung des Gegenstandswerts für den
Unterlassungsanspruch auf 20.000,- €.
Das
Landgericht hat der Beschwerde des Beklagten überwiegend stattgegeben – im Übrigen
ist sie zurückgenommen worden -, der Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der
Klägerin hingegen nicht abgeholfen. Ungeachtet von Zulassungsbedenken infolge
der Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist nach § 33
Abs. 3 RVG
 sei die Beschwerde jedenfalls unbegründet. Das
für die Streitwertbemessung maßgebliche Interesse der Klägerin könne
sachgerecht an den dem Urheber des Computerspiels drohenden Lizenzschaden
anknüpfen. Diesen habe die Klägerin mit 600 € bezifffert. Da das Gericht den
Gebührenstreitwert des Antrags auf Unterlassung einer rechtswidrigen Nutzung
von urheberrechtlich geschützten Werken in sog. File-Sharing Netzwerken
regelmäßig auf den 5-fachen Betrag des im Wege der Lizenzanalogie zu
schätzenden Schadens ansetze, ergebe sich hier kein höherer Streitwert als 5.000,-
€. Diesen Streitwert erachte das Gericht auch im Hinblick auf wesentlich höhere
Streitwertfestsetzungen anderer Gerichte als angemessen. Die unentgeltliche
Zurverfügungstellung der Software des Spiels „D“ im Internet über
File-Sharing-Netzwerke beeinträchtige die Verwertungsrechte der Klägerin zwar
erheblich, weil eine große Anzahl von Nutzern hierdurch von einem Erwerb des
Computerspiels absähen. Allerdings werde die Realisierung des Nutzungsrechts
nicht ausschließlich durch die Verletzungshandlung des Beklagten, sondern durch
alle Verletzungshandlungen sämtlicher Teilnehmer solcher File-Sharing-Netzwerke
beeinträchtigt. Hier sei ferner zu berücksichtigen, dass die rechtswidrige
Nutzung nicht zu gewerblichen Zwecken erfolgt sei.
II.
Die
Beschwerde hat überwiegend Erfolg. Der Streitwert für den Unterlassungsantrag
ist auf 15.000,- € festzusetzen. Soweit die Beschwerdeführerin eine darüber
hinausgehende Festsetzung begehrt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Die
Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeführerin wendet sich nicht gegen eine
auf ihren Antrag hin ergangene Festsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG,
die vorzunehmen ist, wenn sich die Rechtsanwaltsgebühren nicht nach dem für die
Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen. Gegen eine solche Festsetzung kann
in der Tat nur binnen zwei Wochen vorgegangen werden (§ 33
Abs. 3 RVG
). Gegenstand der Beschwerde ist vielmehr eine nach § 48
Abs. 1 GKG
 i. V. m. § 3 ZPO ergangene
Festsetzung für die Gerichtsgebühren, die nach § 32
Abs. 1 RVG
 auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend
ist. Gegen diese Festsetzung steht dem Rechtsanwalt ein eigenes Beschwerderecht
zu (§ 32
Abs. 2 RVG
), das nur an die 6-Monatsfrist des § 63
Abs. 3 Satz 2 GKG
 gebunden ist (Sommerfeldt/Sommerfeldt
in BeckOK RVG, Stand 1.3.2016, § 32 RdNr. 13). Diese Frist ist
eingehalten.
Die
Beschwerde ist überwiegend begründet.
Wertbestimmend
für einen Unterlassungsantrag ist die nach § 3 zu schätzende Schwere der
Beeinträchtigung, die wegen des beanstandeten Verhaltens verständigerweise zu
besorgen ist und unterbunden werden soll. Im Urheberrecht sind hierfür einmal
der Wert des verletzten Schutzrechts und zum anderen die Gefährlichkeit der
Verletzungshandlung – der sog. Angriffsfaktor – maßgeblich, die sich aus Art
und Umfang der begangenen und drohender weiterer Verletzungshandlungen und der
Schwere des Verschuldens ergibt (Herget in Zöller, 31. Aufl. 2016,
§ 3 RdNr. 16 Stichw. Unterlassung). Vielfach wird sich das nach
diesen Kriterien zu bemessende Interesse des Unterlassungsgläubigers unter
Rückgriff auf den entstandenen Lizenzschaden bemessen lassen, wie es das
Landgericht in seiner ausführlich begründeten Entscheidung getan hat.
Sachgerecht ist dies dann, wenn sich die Beeinträchtigung des Verletzten im
Wesentlichen in der unerlaubten Nutzung des Werks durch den Verletzer
erschöpft, wie es etwa der Fall ist, wenn urheberrechtswidrig Bilder für eigene
Zwecke verwendet werden (s. auch Senat,
B. v. 20.1.2015 – 6 W 36/14
 -, SchlHAnz 2016, 36 zu
Zuständigkeitsstreitwert: vierfacher Lizenzwert bei Verkauf eines Bootleg; Senat,
B. v. 9.7.2009 – 6 W 12/09
 -, SchlHAnz 2009, 362: dreifacher
Wert für Verwendung eines Kartenausschnitts; weitere Beispiele etwa OLG
Brandenburg NJW-RR 2014, 227: zehnfacher Lizenzwert für Lichtbildnutzung
; OLG Hamm GRUR-RR 2013, 39: doppelter
Lizenzwert für Lichtbildnutzung
).
Der
Besonderheit von Urheberrechtsverletzungen im Wege des „File-Sharing“
wird diese Betrachtung jedoch nicht gerecht. Der auf der Grundlage der
Lizenzanalogie ermittelte Schaden erfasst nur den Schaden, der dem Verletzten
dadurch entstanden ist, dass der Verletzer das Werk – im vorliegenden Fall ein
Computerspiel – ohne vorherigen Abschluss eines Lizenzvertrages genutzt hat.
Mit dem nach der Lizenzanalogie berechneten Schadensersatz soll der Inhaber des
urheblichen Nutzungsrechts so gestellt werden, als habe er dem Verletzer
vertraglich die Nutzung gestattet. Als Schadensersatz wird deshalb die fiktiv
vereinbarte Lizenzgebühr geschuldet. (von Wolff in Wandtke/Bullinger, 4. Aufl.
2014, § 97 RdNr. 69, 74; BGH
GRUR 2016, 176, 182 RdNr. 65
), jedoch – von den GEMA-Fällen
abgesehen – kein darüberhinausgehender Aufschlag, durch den etwa das
Verschulden des Verletzers noch angemessen berücksichtigt werden könnte
(kritisch hierzu im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 Satz 2 b der
Richtlinie 2004/48/EG
 – Enforcement-Richtlinie – von Wolff aaO.
RdNr. 82 f). Im Falle der Verletzung im Wege des
„File-Sharing“ wird der kommerzielle Schaden, der dem Verletzten
dadurch entsteht, dass das Werk einer Vielzahl von Nutzern zur eigenen
Verwendung zur Verfügung gestellt wird, nicht erfasst. Dieser Schaden besteht
sowohl in entgangenen Lizenzgewinnen aus Verträgen mit diesen Nutzern als auch
in einer Beeinträchtigung der kommerziellen Verwertung des Werks insgesamt.
Ersichtlich stellt der Bundesgerichtshof deshalb für die Berechnung des
Streitwertes von urheberrechtlichen Unterlassungsklagen in
„File-Sharing“-Fällen nicht auf die Vervielfachung des Lizenzschadensbetrages
mit einem bestimmten Faktor ab. Jedenfalls lässt sich ein solcher Faktor den
jüngst veröffentlichten Entscheidungen Tauschbörse I, II und III (BGH GRUR
2016, 176, 184 [BGH
11.06.2015 – I ZR 19/14]
 und 191) nicht entnehmen. In drei weiteren
kürzlich entschiedenen, bislang nur als Pressemitteilung veröffentlichten
Fällen (I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 43/15 und I ZR 44/15; Pressemitteilung
Nr. 87/2016 vom 12.5.2016
) hat er es ausdrücklich für fehlerhaft
gehalten, den Streitwert aus der Verdoppelung des erstattungsfähigen
Lizenzschadens abzuleiten und dies damit begründet, dass die zukünftige
Bereitstellung eines Werks in einer Internettauschbörse nicht nur dessen
Lizenzierung, sondern seine kommerzielle Auswertung insgesamt zu
beeinträchtigen drohe.
Da es sich
bei dem streitgegenständlichen Computerspiel um ein kommerziell erfolgreiches
Werk handelt, das nach dem für die Streitwertbemessung maßgebenden Vortrag der
Klägerin auch über ein Jahr nach seiner Einführung noch vielfach verkauft wurde
(Schriftsatz vom 16.02.2015 S. 3, Bl. 90 d. A.: zwischen August 2012
und Februar 2013 1 Mio. Verkäufe), erscheint eine Bewertung des
Unterlassungsantrags mit 15.000,- € nicht übersetzt. Dabei ist auch
berücksichtigt, dass die Verletzungshandlung vorsätzlich war. Dagegen kann
nicht mit dem Landgericht streitwertmindernd herangezogen werden, dass das
Nutzungsrecht der Klägerin nicht allein durch die Verletzungshandlung des
Beklagten, sondern durch alle Verletzungshandlungen sämtlicher Teilnehmer des
File-Sharing-Netzwerks beeinträchtigt worden sei. Es wird zwar vertreten, dass
dieser Gesichtspunkt bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen sei. Es
führe zu einer ungerechtfertigten Vervielfachung des Schadensersatzbetrages,
wenn mehrere Teilnehmer einer Internettauschbörse wegen derselben
Verwertungshandlung abgemahnt und zur Schadensersatzleistung herangezogen
würden. Dabei wird jedoch übersehen, dass Anbieter und Tauschpartner im Rahmen
des „File-Sharing“ nicht dieselbe Rechtsverletzung begehen (BGH
GRUR 2016, 176, 182 
– [BGH 11.06.2015 – I ZR 19/14] RdNrn. 63 f
– Tauschbörse I; BGH
GRUR 2016, 2016, 184, 188 
RdNr. 51 – Tauschbörse II; BGH
GRUR 2016, 191, 196
 [BGH 11.06.2015 – I ZR 75/14] RdNr. 56 –
Tauschbörse III; Schaub GRUR 2016, 152, 156).

Allerdings
erscheint auch eine höhere Streitwertfestsetzung auf 20.000,- € gerade bei
einem Vergleich mit den von der Klägerin in Bezug genommenen anderweitigen
Entscheidungen nicht gerechtfertigt. Das OLG Hamburg hat einen Streitwert von
20.000,- € in dem als Anlage zur Beschwerdebegründung eingereichten Beschluss
für ein Computerspiel für gerechtfertigt gehalten, das nur knapp 4,5 Monate
zuvor eingeführt worden war, worauf in dem Beschluss ausdrücklich hingewiesen
wird. Das OLG Köln hat in dem in der Klagschrift (S. 23, Bl. 12 d.
A.) genannten Beschluss vom 09.09.2011 – 6 W 165/11 – nicht, wie von der
Klägerin vorgetragen, 20.000,- €, sondern 15.000,- € angesetzt. Die weiter dort
zitierten Entscheidungen sind, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht.