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BGH – Zur Zulässigkeit einer Berufung bei Wiederholung der erstinstanzlich vorgetragenen Argumente

Der BGH hat mit Urteil
vom 07.06.2018, Az. I ZB 57/17
entschieden, dass das  Festhalten an einer im Urteil erster Instanz
zurückgewiesenen Rechtsansicht führt auch dann nicht zur Unzulässigkeit der
Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz
vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden (Abgrenzung zu BGH, Urteil
vom 9. März 1995, IX ZR 143/94, NJW 1995, 1560 (juris Rn. 8) und Beschluss vom
23. Oktober 2012, XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10).

Leitsatz:
Das Festhalten an einer im Urteil erster Instanz
zurückgewiesenen Rechtsansicht führt auch dann nicht zur Unzulässigkeit der
Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz
vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden (Abgrenzung zu BGH, Urteil
vom 9. März 1995, IX ZR 143/94, NJW 1995, 1560 (juris Rn. 8) und Beschluss vom
23. Oktober 2012, XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10).
Gründe:
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer Werbung für
Matratzen auf Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Auskunft
in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die
Klägerin ihre ladungsfähige Anschrift nicht substantiiert dargelegt habe. Die
Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht gemäß § 522 Abs. 1 ZPO
verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.              
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung der
Klägerin sei nicht in der gesetzlichen Form begründet. Dazu hat es ausgeführt:         
Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung weiterhin die
Auffassung vertrete, bei der für sie im Handelsregister als Geschäftsanschrift
eingetragenen Anschrift N. W. an ihrem satzungsgemäßen Sitz H. handele es sich
um eine ladungsfähige Anschrift, habe sie keinen Rechtsfehler des Landgerichts
dargelegt. Vielmehr halte sie schlicht an ihrer Rechtsansicht fest, ohne sich
mit der Begründung des Landgerichts auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen.
Das Landgericht habe ausgeführt, bei der Adresse N. W. handele es sich trotz
Firmenschild und Empfangsvollmacht insbesondere deshalb nicht um eine
ladungsfähige Anschrift, weil die Klägerin nicht vorgetragen habe, sie übe
unter dieser Adresse eine Geschäftstätigkeit aus und ihr gesetzlicher Vertreter
sei dort erreichbar. Es reiche nicht aus, die Anschrift eines Dritten
anzugeben, der es vertraglich etwa als Büroservice übernehme, eingehende
Sendungen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Die Klägerin sei diesen
Ausführungen des Landgerichts in der Berufungsbegründung lediglich mit dem
pauschalen Vorwurf der Rechtsfehlerhaftigkeit entgegengetreten.     
III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entgegen der
Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung der Klägerin den
Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.               
1. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die
Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich
nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren
Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die
Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und
rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig
hält, hat dieser diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend
ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit
dieser Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung
herleitet (BGH, Beschluss vom 4. November 2015 – XII ZB 12/14, NJW-RR 2016, 80
Rn. 6; Beschluss vom 14. Juli 2016 – IX ZB 104/15, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7).
Jedoch bestehen grundsätzlich keine besonderen formalen Anforderungen für die
Bezeichnung der Umstände, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers
die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit ergeben. Insbesondere ist es ohne
Bedeutung, ob die Ausführungen des Berufungsklägers schlüssig, hinreichend
substantiiert und rechtlich haltbar sind (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 –
XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10; BGH, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7). Die
Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein.
Es reicht nicht aus, lediglich auf das Vorbringen in der ersten Instanz zu
verweisen. Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche
bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger weshalb
bekämpft (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2015 – VI ZB 18/15, NJW-RR 2015, 1532
Rn. 8; BGH, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7).         
2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der
Klägerin. Sie setzt sich mit den die Klageabweisung als unzulässig tragenden
Erwägungen des Landgerichts in ausreichender Weise auseinander.      
a) Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung ausgeführt,
das Landgericht habe die Klage rechtsfehlerhaft als unzulässig abgewiesen.
Spätestens mit der nun beantragten Änderung des Rubrums durch Angabe des
tatsächlichen Verwaltungssitzes in Berlin, wo sich zwischenzeitlich auch ein
Briefkasten und ein Türschild befänden, sei die Klage zulässig. Ob die in der
Klageschrift angegebene Adresse N. W. eine ladungsfähige Anschrift im Sinne von
§ 130 Nr. 1 ZPO sei, könne insoweit dahinstehen. Die Klägerin sei aber
weiterhin der Auffassung, dass es sich bei der im Handelsregister eingetragenen
Geschäftsanschrift N. W. am Satzungssitz H. um eine ladungsfähige Anschrift
handele. Auch an den Tagen, an denen die Klägerin die dort angemieteten
Räumlichkeiten nicht nutze und ihr Geschäftsführer dort nicht anzutreffen sei,
könnten ihr dort Klagen zugestellt werden. Dies sei durch die Bevollmächtigung
der dort tätigen Mitarbeiter der E.B.C. GmbH sichergestellt. Auf den dortigen
Geschäftssitz der Klägerin weise ein entsprechendes Firmenschild hin.             
b) Mit diesen Ausführungen wendet sich die Berufung in
zulässiger Weise gegen die die Zurückweisung der Klage als unzulässig tragende
Beurteilung des Landgerichts, die Klägerin habe eine ladungsfähige Anschrift
nicht dargelegt. Die Klägerin hat sich dabei weder auf formelhafte,
austauschbare Wendungen noch auf einen bloßen Verweis auf erstinstanzlichen
Vortrag beschränkt. Sie hat das Urteil des Landgerichts auch nicht pauschal als
rechtsfehlerhaft bezeichnet. Damit erfüllt die Berufungsbegründung der Klägerin
die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.               
Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung geltend gemacht,
sie habe durch Bevollmächtigung von Mitarbeitern des E.B. C. GmbH
sichergestellt, dass ihr unter der Anschrift N. W. in H. stets Klagen
zugestellt werden könnten; auf ihren dortigen Geschäftssitz weise auch ein
entsprechendes Firmenschild hin. Die Klägerin hat sich damit gegen die Ansicht
des Landgerichts gewandt, der Kläger selbst – bei einer Gesellschaft mit
beschränkter Haftung also der Geschäftsführer – müsse an der angegebenen
Adresse nicht nur irgendwann, sondern mit gewisser Wahrscheinlichkeit
angetroffen werden, und es genüge nicht, wenn es etwa ein Büroservice
übernehme, eingehende Sendungen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Damit hat
die Klägerin die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das
Landgericht ihrer Ansicht nach ergibt, und deren Erheblichkeit für die
angefochtene Entscheidung ausreichend bezeichnet. Der insoweit maßgebliche
Umstand ist die laut Klägerin tatsächliche Gewährleistung von Zustellungen
durch Beauftragung der Mitarbeiter des B.C. . Die damit in der
Berufungsbegründung gerügte Rechtsverletzung durch das Landgericht war für das
angefochtene erstinstanzliche Urteil auch erheblich, weil die Klage nicht
mangels Angabe einer ladungsfähigen Anschrift der Klägerin als unzulässig hätte
abgewiesen werden dürfen, falls die Angabe der Geschäftsanschrift N. W.
ausgereicht hätte.  
Eine weitergehende, substantiierte Auseinandersetzung mit
den Rechtsausführungen, die das Landgericht nahezu vollständig aus einem
Schriftsatz der Beklagten im Parallelverfahren LG Köln 84 O 155/15 übernommen
hat, wäre in der Berufungsbegründung zwar zweckmäßig gewesen, stellt jedoch
entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keinen für die Zulässigkeit der
Berufung zwingenden Inhalt der Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2
Nr. 2 ZPO dar. Insbesondere führt das Festhalten an einer im Urteil erster
Instanz zurückgewiesenen Rechtsansicht auch dann nicht zur Unzulässigkeit der
Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz
vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden. Ein unzulässiger Verweis
nur auf das Vorbringen erster Instanz (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1995 – IX
ZR 143/94, NJW 1995, 1560 (juris Rn. 8); BGH, NJW 2013, 174 Rn. 10) liegt darin
nicht. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der
Rechtsansicht der ersten Instanz zu ermöglichen. Aus dem Grundrecht auf
effektiven Rechtsschutz ist das verfassungsrechtliche Gebot abzuleiten, dass
formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess
nicht weiter gehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (vgl. BVerfGE
88, 118, 124; BVerfG, NJW 1997, 2941). Das gilt auch für die Prüfung der
Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 522 ZPO (vgl.
Zöller/Heßler aaO § 522 Rn. 2a).  
IV. Danach hat das Berufungsgericht die Berufung
rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Die Sache ist zur Entscheidung über
die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).       
Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren gibt der Senat
folgende Hinweise:         
1. Mit Beschluss vom 30. November 2017 hat der Senat die
Revision gegen das vom Berufungsgericht im Verfahren 6 U 6/16 zwischen der
Klägerin und der Beklagten zu 1 verkündete Urteil, das im vorliegenden
Verfahren in Bezug genommen worden ist, im Hinblick auf die Beurteilung der
Frage der ordnungsgemäßen Angabe einer ladungsfähigen Anschrift zugelassen.
Verhandlungstermin für diese unter dem Aktenzeichen I ZR 257/16 geführte
Revision ist auf den 28. Juni 2018 bestimmt worden.        
2. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz neu vorgetragen,
für sie sei als ladungsfähige Anschrift in das Rubrum ihr Verwaltungssitz
Ba.Straße in Be. aufzunehmen, an dem sich nun auch ein Briefkasten und ein
Türschild befänden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelte es sich
dabei nicht um nur nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO zulässigen neuen Vortrag.         
Die nach Ansicht des Landgerichts fehlende Angabe einer
ladungsfähigen Anschrift der Klägerin in der Klageschrift konnte noch in den
Tatsacheninstanzen und damit durch entsprechenden Vortrag in der
Berufungsbegründung geheilt werden (BGH, Urteil vom 20. Mai 2011 – V ZR 99/10,
NJW 2011, 3237 Rn. 9). Bei der Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers
handelt es sich um eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende
Sachurteilsvoraussetzung (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 – I ZR 113/13, GRUR
2015, 694 Rn. 13 – Bezugsquellen für Bachblüten). Daraus folgt, dass
diesbezügliches Vorbringen vom Berufungsgericht nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO
als verspätet zurückgewiesen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 – XI
ZR 40/03, BGHZ 159, 94, 98 f. (juris Rn. 16); BAG, NJW 2015, 269 Rn. 13;
Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 56 Rn. 2). Die Klägerin konnte ihre
Berufung daher auch darauf stützen, dass sie zumindest nunmehr eine
ladungsfähige Anschrift in der Ba. Straße in Be. habe.            
Ob dieser Vortrag zutraf, war für die Zulässigkeit der
Berufung ohne Bedeutung. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des
Berufungsklägers ist keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung
(BGHZ 102, 332, 333 (juris Rn. 6)). Ob die Klägerin, wie vorgetragen, eine
ladungsfähige Anschrift in der Ba.Straße in Be. hatte, war vom Berufungsgericht
vielmehr erst auf der Stufe der Begründetheit der Berufung zu prüfen.
Soweit das Berufungsgericht ausführt, aus dem Verfahren 6 U
6/16, das einen Streit derselben Parteien über dieselbe Werbung betrifft, sei
ihm lediglich das (bestrittene) tatsächliche Vorbringen der Klägerin zu einem
Geschäftssitz in der Ba.Straße in Be. bekannt, konnte dies nicht zur
Unbeachtlichkeit dieses Vortrags im vorliegenden Berufungsverfahren führen,
sondern allenfalls zur Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme zu dieser Frage.