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BVerfG – Inhaber eines Internetanschlusses muss in Filesharing-Fällen Familienmitglied benennen – Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG steht dem nicht entgegen

Das BVerfG hat sich im Nichtannahmebeschluss
vom 18.02.2019,  Az. 1 BvR 2556/17
mit
der Darlegungslast in Bezug auf angebliches Filesharing durch ein
Familienmitglied auseinandergesetzt.
Rechteinhaber haben zur Durchsetzung ihrer Rechte in
Filesharing-Verfahren regelmäßig keine Möglichkeit, zu Umständen aus dem ihrem
Einblick vollständig entzogenen Bereich der Internetnutzung durch den
Anschlussinhaber vorzutragen oder Beweis zu führen. Zwar ist ein Vortrag der
Eltern zu einer Täterschaft ihrer im selben Haushalt wohnenden volljährigen
Kinder nicht erzwingbar. Allerdings tragen sie das Risiko einer für sie
ungünstigen Tatsachenwürdigung, wenn sie die Darlegungs- und
Beweisanforderungen nicht erfüllen. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG steht
der Annahme einer zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegen, derzufolge die
Eltern zur Entkräftung der Vermutung für ihre Täterschaft als Anschlussinhaber
ihre Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung
mitzuteilen haben, mithin auch aufdecken müssen, welches ihrer Kinder die
Verletzungshandlung begangen hat, sofern sie davon tatsächliche Kenntnis
erlangt haben.
Die Pressemitteilung hatte ich schon hier
besprochen.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
– 1 BvR 2556/17 –
In dem Verfahren
über
die
Verfassungsbeschwerde
1.
der Frau E…,
2.
des Herrn E…,
– Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr.
Bernhard Knies
in Sozietät Knies &
Albrecht Rechtsanwälte,
Widenmayerstraße 34,
80538 München –
gegen
a) das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 30. März 2017 – I ZR 19/16 -,
b) das Urteil des
Oberlandesgerichts München vom 14. Januar 2016 – 29 U 2593/15 -,
c) das Urteil des
Landgerichts München I vom 1. Juli 2015 – 37 O 5394/14 –
hat die 2. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Masing,
Paulus,
Christ
gemäß § 93b in
Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Februar 2019 einstimmig beschlossen:
Die
Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
I.
Die Beschwerdeführer
wenden sich gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 30. März
2017 – I ZR 19/16 -, juris – Loud) sowie gegen die vorinstanzlichen
Entscheidungen des Landgerichts (LG München I, Urteil vom 1. Juli 2015 – 37 O
5394/14 -, juris) und des Oberlandesgerichts (OLG München, Urteil vom 14.
Januar 2016 – 29 U 2593/15 -, juris).
Dem Ausgangsverfahren
liegt die Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche wegen unerlaubten
öffentlichen Zugänglichmachens eines Musikalbums im Internet zugrunde.
1. Die Klägerin des
Ausgangsverfahrens ist Tonträgerherstellerin. Ihr stehen die ausschließlichen
Verwertungsrechte an den auf dem Musikalbum enthaltenen Musiktiteln zu. Die
Beschwerdeführer sind als Eheleute gemeinsame Inhaber eines Internetanschlusses.
Über diesen Internetanschluss wurde das verfahrensgegenständliche Musikalbum
mittels einer speziellen Software (sogenannte Filesharing-Software) im Rahmen
einer Internet-„Tauschbörse“ zum Herunterladen angeboten. Die Klägerin des
Ausgangsverfahrens ließ die Beschwerdeführer daraufhin abmahnen. Die
Beschwerdeführer gaben auf die Abmahnung eine
Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, verweigerten aber die Zahlung von
Schadensersatz und Rechtsanwaltskosten. Sie selbst hätten ihren Anschluss
während der maßgeblichen Zeit nicht genutzt; sie wüssten, dass eines ihrer
Kinder den Anschluss genutzt hätte, wollten aber nicht offenbaren, welches Kind
das war, um es nicht zu belasten.
2. Das Landgericht
verurteilte die Beschwerdeführer gesamtschuldnerisch zur Zahlung von
Schadensersatz und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten wegen
Urheberrechtsverletzung. Zur Begründung führte das Landgericht im Wesentlichen
aus, dass, wenn die Beschwerdeführer die Vermutung für ihre Täterschaft als Anschlussinhaber
entkräften wollten, es ihre Sache sei, darzulegen, ob und soweit bekannt welche
anderen Personen Zugang zu ihrem Internetanschluss gehabt hätten und als Täter
der Rechtsverletzung in Betracht kämen. Hinsichtlich der im Rahmen dieser sekundären
Darlegungslast vorgetragenen Umstände treffe sie bei Bestreiten auch die
Beweislast. Da die benannten Zeugen – die Kinder der Beschwerdeführer –
insoweit von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätten, seien die
Beschwerdeführer beweisfällig geblieben. Sie hätten die Grundlage der
tatsächlichen Vermutung für ihre täterschaftliche Verantwortung als
Anschlussinhaber nicht erschüttert.
Das Oberlandesgericht
änderte das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Kostenentscheidung
teilweise ab, wies die Berufung im Übrigen aber zurück. Zur Begründung führte
das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer seien ihrer
sekundären Darlegungslast nicht in ausreichender Weise nachgekommen, da sie
sich im Einzelnen dazu hätten erklären müssen, wie es zu den Rechtsverletzungen
aus der Familie heraus gekommen sei.
Der Bundesgerichtshof
wies die Revision zurück. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof im
Wesentlichen aus, die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Beschwerdeführer
als Täter der geltend gemachten Urheberrechtsverletzungen hafteten, sei
zutreffend.
3. Die Beschwerdeführer
rügen die Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 GG. Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs finde keinen schonenden Ausgleich zwischen
den hier betroffenen Grundrechten im Sinne einer praktischen Konkordanz,
sondern falle einseitig zu Lasten der Beschwerdeführer aus. Diesen werde nur
die Wahl gelassen, auf ihre Rechtsverteidigung zu verzichten. Die Entscheidung
sei inkonsequent und füge sich nicht in den Rahmen sonstiger Entscheidungen zum
Filesharing ein. Ein Beklagter stünde wohl besser, wenn er Nichtwissen um das
Verhalten seiner Angehörigen behaupte.
II.
Die
Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die
Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung.
Insbesondere sind die Maßstäbe für die Lösung des Konflikts zwischen dem Schutz
des (geistigen) Eigentums und dem Schutz der Familie unter Berücksichtigung der
zivilprozessualen Darlegungs- und Beweislastverteilung in der
Verfassungsrechtsprechung so weit geklärt, dass sich aus ihnen die Beantwortung
der verfassungsrechtlichen Fragen ergibt, die der vorliegende Fall aufwirft.
Die Zivilgerichte haben Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte
nicht grundlegend verkannt.
1. Die Zivilgerichte
haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die im Gesetz zum
Ausdruck kommende Interessenabwägung zwischen dem Eigentumsschutz der
Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden Grundrechtspositionen
nachzuvollziehen und dabei unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu vermeiden
(vgl. BVerfGE 89, 1 <9>; 129, 78 <101 f.>; 142, 74 <101 Rn.
82>). Sind bei der Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere
Deutungen möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen
der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 8, 210 <221>; 88, 145
<166>; 129, 78 <102>; 142, 74 <101 Rn. 82>) und die die
Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur
Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung
der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern
erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale
der zivilrechtlichen Vorschriften (vgl. BVerfGE 112, 332 <358>; 129, 78
<102>; 142, 74 <101 Rn. 82>). Dabei gibt das Grundgesetz den
Zivilgerichten regelmäßig keine bestimmte Entscheidung vor. Die Schwelle eines
Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu
korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte
Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von
der Bedeutung der Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs,
beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall
von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der
beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet
(vgl. BVerfGE 129, 78 <102>; 134, 204 <234 Rn. 103>; 142, 74
<101 Rn. 83>).
2. Die
Gesetzesauslegung in den angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigt die
Beschwerdeführer zwar in ihrem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus
Art. 6 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht stellt die Familie unter den besonderen
Schutz des Staates. Damit sind Bestimmungen unvereinbar, welche die Familie
schädigen, stören oder sonst beeinträchtigen könnten (vgl. BVerfGE 6, 55
<76>; 55, 114 <126 f.>). Familienmitglieder sind berechtigt, ihre
Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu
gestalten (vgl. BVerfGE 66, 84 <94>; 80, 81 <92>). Der
Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern
und ihren volljährigen Kindern (vgl. BVerfGE 80, 81 <90>). Die
Schutzgebote, Garantien und Rechte des Art. 6 Abs. 1 GG gelten für den
Gesamtbereich der Rechtsordnung und damit auch für das für die
Privatrechtsbeziehungen maßgebliche Bürgerliche Recht. Die Auslegung und
Anwendung einfachen Rechts, besonders in seinen eine Wertung oder Abwägung
erfordernden Klauseln, muss den grundrechtlichen Grundsatznormen Rechnung tragen.
Dadurch, dass Anschlussinhabern – hier den Beschwerdeführern – zur Abwendung
ihrer täterschaftlichen Haftung im Rahmen der sekundären Darlegungslast im
Zivilprozess Tatsachenvortrag abverlangt wird, der das Verhalten ihrer
volljährigen Kinder betrifft und diese dem Risiko einer zivil- oder
strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzt, wird die in den Schutzbereich von
Art. 6 GG fallende innerfamiliäre Beziehung beeinträchtigt.
3. Die Beeinträchtigung
ist jedoch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Grundrecht aus Art.
6 Abs. 1 GG steht der Annahme einer zivilprozessualen Obliegenheit nicht
entgegen, derzufolge die Beschwerdeführer zur Entkräftung der Vermutung für
ihre Täterschaft als Anschlussinhaber ihre Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen
Verletzungshandlung mitzuteilen haben, mithin auch aufdecken müssen, welches
ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen hat, sofern sie davon
tatsächliche Kenntnis erlangt haben. Dem Schutz des Art. 14 GG, auf den sich
die Klägerin des Ausgangsverfahrens als Rechteinhaberin berufen kann, kommt in
Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter im Streitfall ein erhebliches
Gewicht zu. Die vom Bundesgerichtshof und von den Instanzgerichten in den
angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Abwägung trägt dem Erfordernis
praktischer Konkordanz (vgl. BVerfGE 134, 204 <223 Rn. 68>; 142, 74
<97 Rn. 71>) ausreichend Rechnung und hält sich jedenfalls im Rahmen des
fachgerichtlichen Wertungsrahmens. Die Ausstrahlungswirkung der von den Entscheidungen
berührten Grundrechte ist bei Auslegung von § 138 ZPO hinreichend beachtet.
a) Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obliegt es dem Anschlussinhaber, der eine
eigene Haftung für von seinem Anschluss begangene Urheberrechtsverletzungen
durch Dritte abwenden will, nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast
vorzutragen, ob und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen
Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzungen
in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 – I ZR 169/12 -, juris
Rn. 18 – BearShare; Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 75/14 -, juris Rn. 37 –
Tauschbörse III; Urteil vom 27. Juli 2017 – I ZR 68/16 -, juris Rn. 13 –
Ego-Shooter). Nach § 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über
tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Außerdem
hat nach § 138 Abs. 2 ZPO jede Partei sich über die von dem Gegner behaupteten
Tatsachen zu erklären. Dies verdeutlicht, dass auch dort, wo der
Verhandlungsgrundsatz gilt, das Verfahren auf Wahrheitsfindung ausgerichtet
ist. Die prozessuale Pflicht, sich vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären,
besteht im Interesse fairer Verfahrensführung gegenüber Gericht und Gegner und
soll dem Richter die Findung des Rechts erleichtern (vgl. Stadler, in:
Musielak/Voit, ZPO, 15. Auflage 2018, § 138 Rn. 1; Olzen, ZZP 98, 1985, S. 403
<419>).
Zwar kennt auch das
Zivilprozessrecht einen Schutz vor Selbstbezichtigungen und findet die
Wahrheitspflicht einer Partei dort ihre Grenzen, wo sie gezwungen wäre, eine
ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare
Handlung zu offenbaren (vgl. BVerfGE 56, 37 <44>). Entsprechendes dürfte
gelten, wenn es um Belastungen von nahen Angehörigen geht (vgl. Leipold, in:
Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2005, § 138 Rn.
13). Den grundrechtlich gegen einen Zwang zur Selbstbezichtigung geschützten
Prozessparteien und Verfahrensbeteiligten kann dann aber das Risiko einer für
sie ungünstigen Tatsachenwürdigung auferlegt werden (BVerfGE 56, 37
<44>).
b) Ein weitergehender
Schutz ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr ist auch der
gerichtlichen Durchsetzung von Grundrechtspositionen – hier dem nach Art. 14 GG
geschützten Leistungsschutzrecht des Rechteinhabers aus § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG
  angemessen Rechnung zu tragen. Wie die
Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sich unter Beachtung der jeweils
betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen zu beurteilen ist, lässt sich
zwar nicht allgemein festlegen. Das Prozessrecht bietet aber für eine
abgestufte Darlegungs- und Beweislast geeignete Handhaben (vgl. BVerfGE 97, 169
<179>). Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer
fairen Anwendung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln (vgl.
BVerfGE 52, 131 <145>; 117, 202 <240>). Darlegungs- und
Beweislasten sind in einer Weise zuzuordnen, die einen ausgewogenen Ausgleich
zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen ermöglicht. Dabei
steht den Gerichten bei der Verfahrensgestaltung und erst recht bei der
inhaltlichen Beurteilung des zu entscheidenden Falles ein erheblicher Spielraum
zu. Allerdings verbietet es sich, einer Partei die Darlegung und den Nachweis
solcher Umstände in vollem Umfang aufzubürden, die nicht in ihrer Sphäre liegen
und deren vollständige Kenntnis bei ihr infolgedessen nicht erwartet werden
können, während die andere Partei über sie ohne weiteres verfügt (vgl. BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Oktober 1999 – 1 BvR 2110/93
-, juris Rn. 39).
c) In Anlegung dieser
Maßstäbe verletzt die Auslegung der entscheidungserheblichen Normen – § 97 Abs.
2 Satz 1, § 85 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit § 138 ZPO – durch den
Bundesgerichtshof und durch die Instanzgerichte in den angegriffenen
Entscheidungen nicht das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 1 GG.
Die Gerichte sind bei Abwägung der Belange des Eigentumsschutzes mit den
Belangen des Familienschutzes den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht
geworden.
aa) Mit den vorliegend
zur Anwendung gebrachten Grundsätzen zur sekundären Darlegungslast trägt der
Bundesgerichtshof der Tatsache Rechnung, dass Rechteinhaber zur Durchsetzung
ihrer Rechte in Filesharing-Verfahren regelmäßig keine Möglichkeit haben, zu
Umständen aus dem ihrem Einblick vollständig entzogenen Bereich der
Internetnutzung durch den Anschlussinhaber vorzutragen oder Beweis zu führen.
Zugunsten der Klägerin des Ausgangsverfahrens als Inhaberin des Art. 14 GG
unterfallenden Leistungsschutzrechts berücksichtigt er damit deren Interesse an
einer effektiven Durchsetzung ihrer urheberrechtlichen Position gegenüber
unberechtigten Verwertungshandlungen. Die Beeinträchtigung der familiären
Beziehungen der Beschwerdeführer hält er dabei in Grenzen. Denn ein Vortrag der
Eltern zu einer Täterschaft ihrer Kinder ist nach dieser Rechtsprechung gerade
nicht erzwingbar. Vielmehr tragen sie nur das Risiko einer für sie ungünstigen
Tatsachenwürdigung, wenn sie die Darlegungs- und Beweisanforderungen nicht
erfüllen. Dabei reicht die sekundäre Darlegungslast, die den Beschwerdeführern
abverlangt wird, auch nicht weiter als die Kenntnisse, welche die
Beschwerdeführer ohnehin bereits besitzen. Ob es darüber hinaus
verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre, ihnen auch Nachforschungs- oder
Nachfragepflichten aufzuerlegen, bedarf für den Ausgangsrechtsstreit keiner
Entscheidung.
Mit diesem Ausgleich
hält sich der Bundesgerichtshof im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Dem Schutz
der innerfamiliären Bindungen wird dadurch Rechnung getragen, dass die
Familienangehörigen sich nicht gegenseitig belasten müssen, wenn der konkret
Handelnde nicht ermittelbar ist. Die Möglichkeit, innerfamiliäre Spannungen und
Verhältnisse durch Schweigen im Prozess zu verhindern oder jedenfalls nicht
nach außen tragen zu müssen, führt umgekehrt nicht dazu, dass dieses Schweigen
eine Haftung generell – also ohne prozessuale Folgen – ausschließen müsste. Die
zur Wahrung von Art. 6 GG gewährte faktische „Wahlmöglichkeit“ im Zivilprozess,
innerfamiliäres Wissen zu offenbaren oder aber zu schweigen, kann bei der
Tatsachenwürdigung keinen Vorrang vor der Durchsetzung des Art. 14 GG
unterfallenden Leistungsschutzrechts beanspruchen. Der Schutz der Familie dient
nicht dazu, sich aus taktischen Erwägungen der eigenen Haftung für die
Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu entziehen. Der bloße Umstand,
mit anderen Familienmitgliedern zusammenzuleben, führt nicht automatisch zum
Haftungsausschluss für den Anschlussinhaber. Soweit die Beschwerdeführer
geltend machen, es gebe bessere und im Verhältnis zu der Zivilrechtsprechung in
ähnlich gelagerten Fällen konsistentere Lösungen für den Ausgleich zwischen den
Rechtspositionen der Inhaber geistiger Eigentumsrechte und deren Nutzern, liegt
hierin kein verfassungsrechtlicher Gesichtspunkt, den das
Bundesverfassungsgericht zu prüfen hätte.
bb) Aus den
europäischen Grundrechten ergibt sich nichts anderes. Insbesondere steht das
Recht der Europäischen Union nicht schon der Anwendbarkeit der Grundrechte des
Grundgesetzes entgegen. Denn soweit das Unionsrecht nicht abschließend
zwingende Vorgaben macht, bleiben die Grundrechte des Grundgesetzes anwendbar
(vgl. BVerfGE 142, 74 <113 Rn. 117>). In dem Rahmen, in dem den
Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume belassen sind, sind die Fachgerichte
folglich auch im Anwendungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie und der
Durchsetzungsrichtlinie an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Dies ist
für die Durchsetzung der urheberrechtlichen Ansprüche nach Maßgabe des nicht
harmonisierten Zivilverfahrensrechts der Fall.
Bei der Frage der
Determinierung des deutschen Rechts durch die Urheberrechtsrichtlinie und die
Durchsetzungsrichtlinie ist somit zu klären, inwieweit diese den Eingriff in
das Tonträgerherstellerrecht und die Rechtsdurchsetzung abschließend regeln
(vgl. BVerfGE 142, 74 <113 Rn. 117>). Hier kommen mitgliedstaatliche
Spielräume insbesondere im Rahmen der Sanktionen und Rechtsbehelfe bei Urheber-
und Schutzrechtsverletzungen in Betracht (vgl. BVerfGE 142, 74 <114 Rn. 119;
vgl. dazu Ohly, Gutachten F zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, S. F 103).
Dies gilt insbesondere auch für das nicht harmonisierte Zivilverfahrensrecht,
hier § 138 ZPO.
Auch die Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Filesharing im Vorabentscheidungsverfahren
„Bastei Lübbe/Strotzer“ (EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2018, C-149/17,
ECLI:EU:C:2018:841) steht dieser Bewertung nicht entgegen. Soweit der
Gerichtshof der Europäischen Union davon ausgeht, dass ein quasi absoluter
Schutz der Familienmitglieder des Inhabers eines Internetanschlusses, über den
Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, den Anforderungen
von Art. 8 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG und Art. 3 Abs. 1 der
Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG nicht gerecht werde (EuGH, Urteil vom 18.
Oktober 2018, C-149/17, ECLI:EU:C:2018:841, Rn. 52), steht dies in Einklang mit
der Anwendung von § 97 Abs. 1, § 85 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit § 138 ZPO in
der hier angegriffenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs, welche die
unionsrechtlichen Anforderungen an die Grundrechtsprüfung bereits zutreffend
abbildet.
Diese Entscheidung ist
unanfechtbar.
Masing Paulus  Christ

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BVerfG – zur Darlegungslast bei Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing in Familien

Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Beschluss vom 18.
Februar 2019, Az. 1 BvR 2556/17 heute zur
Darlegungslast bei
Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing in Familien geäußert.

Das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6
Abs. 1 GG steht einer zivilprozessualen Obliegenheit der Inhaber eines
Internetanschlusses nicht entgegen, zu offenbaren, welches Familienmitglied den
Anschluss genutzt hat, wenn über den Anschluss eine Urheberrechtsverletzung
begangen wurde. Mit dieser Begründung hat die 2. Kammer des Ersten Senats mit
heute veröffentlichtem Beschluss die Verfassungsbeschwerde eines Elternpaares
gegen eine Verurteilung zu Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten nicht
zur Entscheidung angenommen, das zwar wusste, welches seiner Kinder
Musikinhalte urheberrechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht hatte, dies aber
im Zivilprozess nicht offengelegt hatte. Aus
Art.  6 Abs. 1 GG ergibt sich danach zwar ein Recht, Familienmitglieder
nicht zu belasten, nicht aber ein Schutz vor negativen prozessualen Folgen
dieses Schweigens.

Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer sind als Ehepaar gemeinsame Inhaber
eines Internetanschlusses. Über den Anschluss wurde ein Musikalbum mittels
einer sogenannten Filesharing-Software in einer Internet-„Tauschbörse“ zum
Herunterladen angeboten. Der Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden:
Klägerin) stehen die Verwertungsrechte an den betroffenen Musiktiteln zu. Die
Beschwerdeführer gaben auf die Abmahnung der Klägerin eine
Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, verweigerten aber die Zahlung von
Schadensersatz und Rechtsanwaltskosten. Sie selbst hätten ihren Anschluss
während der maßgeblichen Zeit nicht genutzt; sie wüssten zwar, dass eines ihrer
Kinder den Anschluss genutzt hätte, wollten aber nicht offenbaren, welches. Das
Landgericht verurteilte sie zur Zahlung von Schadensersatz und Erstattung
außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten wegen Urheberrechtsverletzung. Berufung
und Revision blieben in der Sache erfolglos.

Wesentliche
Erwägungen der Kammer:
Die Gesetzesauslegung in den angegriffenen Entscheidungen
verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Achtung des
Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG.

1. Zwar liegt ein Eingriff in dessen Schutzbereich vor, der
die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt und auch das
Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern umfasst.
Familienmitglieder sind danach berechtigt, ihre Gemeinschaft in familiärer
Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten.

2. Allerdings ist diese Beeinträchtigung gerechtfertigt.
Die Auslegung der  entscheidungserheblichen Normen – § 97 Abs. 2 Satz 1, § 85
Abs. 1 UrhG in Verbindung mit § 138 ZPO – durch den Bundesgerichtshof und durch
die Instanzgerichte verletzt nicht das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art.
6 Abs. 1 GG. Dem Schutz des Art. 14 GG, auf den sich die Klägerin als
Rechteinhaberin berufen kann, kommt in Abwägung der widerstreitenden
Grundrechtsgüter im Streitfall ebenfalls ein erhebliches Gewicht zu.
Die Fachgerichte sind bei Abwägung der Belange des
Eigentumsschutzes mit den Belangen des Familienschutzes den
verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht geworden. Nach der Entscheidung
des Bundesgerichtshofs müssen die Beschwerdeführer zur Entkräftung der
Vermutung für ihre Täterschaft als Anschlussinhaber ihre Kenntnisse über die
Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung mitteilen und auch aufdecken,
welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen hat, sofern sie davon
Kenntnis erlangt haben. Diese Abwägung trägt dem Erfordernis praktischer
Konkordanz ausreichend Rechnung und hält sich jedenfalls im Rahmen des
fachgerichtlichen Wertungsrahmens. Die Ausstrahlungswirkung der von den
Entscheidungen berührten Grundrechte ist bei der Auslegung von § 138 ZPO
hinreichend beachtet.
Zwar kennt das Zivilprozessrecht einen Schutz vor Selbstbezichtigungen
und findet die Wahrheitspflicht einer Partei dort ihre Grenzen, wo sie
gezwungen wäre, etwa eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren.
Entsprechendes dürfte gelten, wenn es um Belastungen von nahen Angehörigen
geht. Den grundrechtlich gegen einen Zwang zur Selbstbezichtigung geschützten
Prozessparteien und Verfahrensbeteiligten kann dann aber das Risiko einer für
sie ungünstigen Tatsachenwürdigung auferlegt werden. Ein weitergehender Schutz
ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr ist auch der gerichtlichen
Durchsetzung von Grundrechtspositionen – hier dem nach Art. 14 GG geschützten
Leistungsschutzrecht des Rechteinhabers aus § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG –
angemessen Rechnung zu tragen.
Der Bundesgerichtshof berücksichtigt, dass Rechteinhaber
zur Durchsetzung ihrer Rechte in Filesharing-Verfahren regelmäßig keine
Möglichkeit haben, zu Umständen aus dem ihrem Einblick vollständig entzogenen
Bereich der Internetnutzung durch den Anschlussinhaber vorzutragen oder Beweis
zu führen. Zugunsten der Klägerin als Inhaberin des Art. 14 GG unterfallenden
Leistungsschutzrechts berücksichtigt er damit deren Interesse an einer
effektiven Durchsetzung ihrer urheberrechtlichen Position gegenüber
unberechtigten Verwertungshandlungen. Die Beeinträchtigung der familiären
Beziehungen der Beschwerdeführer hält er dabei in Grenzen. Denn
Familienangehörige müssen sich nicht gegenseitig belasten, wenn der konkret
Handelnde nicht ermittelbar ist. Vielmehr tragen sie nur das Risiko einer für
sie ungünstigen Tatsachenwürdigung, wenn sie die Darlegungs- und
Beweisanforderungen nicht erfüllen. Die Möglichkeit, innerfamiliäre Spannungen
und Verhältnisse durch Schweigen im Prozess zu verhindern oder jedenfalls nicht
nach außen tragen zu müssen, führt umgekehrt nicht dazu, dass dieses Schweigen
eine Haftung generell – also ohne prozessuale Folgen – ausschließen müsste. Die
zur Wahrung von Art. 6 GG gewährte faktische „Wahlmöglichkeit“ im Zivilprozess,
innerfamiliäres Wissen zu offenbaren oder aber zu schweigen, kann bei der
Tatsachenwürdigung keinen Vorrang vor der Durchsetzung des Art. 14 GG
unterfallenden Leistungsschutzrechts beanspruchen. Der Schutz der Familie dient
nicht dazu, sich aus taktischen Erwägungen der eigenen Haftung für die
Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu entziehen. Der bloße Umstand,
mit anderen Familienmitgliedern zusammenzuleben, führt nicht automatisch zum
Haftungsausschluss für den Anschlussinhaber. Soweit die Beschwerdeführer
geltend machen, es gebe bessere und im Verhältnis zu der Zivilrechtsprechung in
ähnlich gelagerten Fällen konsistentere Lösungen für den Ausgleich zwischen den
Rechtspositionen der Inhaber geistiger Eigentumsrechte und deren Nutzern, fällt
dies verfassungsrechtlich nicht ins Gewicht. Ob es darüber hinaus
gerechtfertigt wäre, dem Anschlussinhaber auch Nachforschungs- oder
Nachfragepflichten aufzuerlegen, bedurfte keiner Entscheidung.

3. Aus den europäischen Grundrechten ergibt sich nichts
anderes. Insbesondere steht das Recht der Europäischen Union nicht schon der
Anwendbarkeit der Grundrechte des Grundgesetzes entgegen. Denn soweit das
Unionsrecht nicht abschließend zwingende Vorgaben macht, bleiben die
Grundrechte des Grundgesetzes anwendbar. In dem Rahmen, in dem den
Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume belassen sind, sind die Fachgerichte
folglich auch im Anwendungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie und der
Durchsetzungsrichtlinie an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Dies ist
für die Durchsetzung der urheberrechtlichen Ansprüche nach Maßgabe des nicht
harmonisierten Zivilverfahrensrechts der Fall. Die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs bildet die unionsrechtlichen Anforderungen zutreffend ab.

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BVerfG – Erlass einstweiliger Verfügungen ohne mündliche Verhandlung im Presserecht verfassungswidrig

Einstweilige Unterlassungs- oder
Gegendarstellungsverfügungen in Pressesachen dürfen grundsätzlich nicht ohne
vorherige Anhörung der Gegenseite erlassen werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit
Beschlüssen vom 30.09.2018 entschieden und zwei Verfassungsbeschwerden wegen
Verletzung der prozessualen Waffengleichheit stattgegeben. Auch müssten
richterliche Hinweise nach § 139 ZPOder
Gegenseite unverzüglich mitgeteilt werden, um einen gleichen Kenntnisstand zu
gewährleisten (Az.: 1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17).
Journalistisches Recherchenetzwerk wurde ohne vorherige
Anhörung zu Unterlassung verpflichtet
Der Beschwerdeführerin in dem Verfahren 1 BvR 1783/17,
einem journalistischen Recherchenetzwerk, war vom Landgericht Köln die
Unterlassung von Äußerungen aufgegeben worden, ohne dass sie zuvor
vorprozessual abgemahnt oder im gerichtlichen Verfahren angehört worden war.
Sie hatte auf ihrer Internetseite einen Artikel über den Verlauf einer
Aufsichtsratssitzung eines Unternehmens veröffentlicht, in der es um
Korruptionsvorwürfe ging. Das Unternehmen beantragte beim LG, der
Beschwerdeführerin per einstweiliger Verfügung aufzugeben, die Veröffentlichung
der Protokolle ihrer Aufsichtsratssitzung zu unterlassen. Dem Antrag, von dem
die Beschwerdeführerin zunächst nichts erfuhr, war keine Abmahnung der
Beschwerdeführerin vorausgegangen. Das LG erließ die einstweilige Verfügung,
ohne sie zu begründen oder die Beschwerdeführerin vorher anzuhören. Von dem
Inhalt des Verfügungsantrags und seiner Begründung erhielt die
Beschwerdeführerin erst nach Zustellung und Akteneinsicht Kenntnis.
Presseverlag wurde ohne vorherige Anhörung zum Abdruck einer
Gegendarstellung verpflichtet
Die Beschwerdeführerin in dem Verfahren 1 BvR 2421/17,
ein Presseverlag, war vom Oberlandesgericht Hamburg zum Abdruck einer
Gegendarstellung verpflichtet worden, ohne dass über die Sache mündlich
verhandelt oder ihr durch das Gericht Gehör gewährt wurde. Im Mai 2017 hatte
ein von der Beschwerdeführerin herausgegebenes Magazin einen Artikel über einen
Fernsehmoderator veröffentlicht, der davon handelte, inwieweit dieser als
Eigentümer und Vermieter einer Yacht ein Steuersparmodell nutzt. Der Moderator
(im Folgenden Antragsteller) machte daraufhin gegenüber der Beschwerdeführerin
im Eilverfahren Gegendarstellungsansprüche geltend. Die Pressekammer des Landgerichts
Hamburg wies seine Anträge zurück. Die Beschwerdeführerin wusste weder von
den Verfügungsanträgen noch wurden ihr die Zurückweisungen mitgeteilt. Auf den
vierten Antrag des Antragstellers erging im Beschwerdeverfahren dann ein
Beschluss des OLG, mit dem die Beschwerdeführerin zum Abdruck einer
Gegendarstellung verpflichtet wurde. Dabei wurden dem Antragsteller wiederholt
telefonisch rechtliche Hinweise erteilt, die der Beschwerdeführerin nicht zur
Kenntnis gebracht wurden. Die Beschwerdeführerin erfuhr mit der Zustellung des
Beschlusses erstmals von dem gegen sie angestrengten Gerichtsverfahren.
BVerfG: Recht auf prozessuale Waffengleichheit verlangt
grundsätzlich vorherige Anhörung
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt,
dass die angegriffenen Gerichtsbeschlüsse die Beschwerdeführerinnen in ihrem
grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen.
Aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit folge, dass ein Gericht im
Presse- und Äußerungsrecht der Gegenseite vor einer stattgebenden Entscheidung
über den Antrag einer Partei im Zivilrechtsstreit Recht auf Gehör gewähren
muss. Auch wenn in Pressesachen häufig eine Eilbedürftigkeit anzuerkennen sein
werde, ergebe sich hieraus kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die
Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als solche der Gegenseite verborgen
bleibt. Dies gelte auch im Gegendarstellungsrecht. Jedenfalls in den Fällen, in
denen es um eine bereits veröffentlichte Äußerung gehe, bestehe regelmäßig kein
Grund, von einer Anhörung und Äußerungsmöglichkeit eines Antragsgegners vor dem
Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen.
Gebot effektiven Rechtsschutzes kann aber Verzicht auf
mündliche Verhandlung erfordern
Laut BVerfG muss hiervon die Frage getrennt
werden, in welchen Fällen über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne
mündliche Verhandlung entschieden werden könne. Für die Beurteilung, wann ein
dringender Fall im Sinn des § 937 Abs. 2 ZPO vorliege
und damit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden könne, hätten die
Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen. Insbesondere dürften sie davon
ausgehen, dass das Presserecht von dem Erfordernis einer schnellen Reaktion
geprägt ist, wenn es darum gehe, gegen eine Berichterstattung vorzugehen. Dies
gelte vor allem im Gegendarstellungsrecht, das von einer grundsätzlichen
Eilbedürftigkeit gekennzeichnet sei. Angesichts der durch das Internet ständig
aktualisierten Online-Angebote und der durch die sozialen Medien
beschleunigten Möglichkeiten der Weiterverbreitung von Informationen könne es
im Interesse effektiven Rechtsschutzes sogar geboten sein, Unterlassungs-
ebenso wie Gegendarstellungsansprüchen in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur
Berichterstattung zur Geltung zu verhelfen. Die Annahme einer Dringlichkeit
setze sowohl beim Antragsteller als auch beim Gericht eine zügige
Verfahrensführung voraus. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung sei nach
der Entscheidung des Gesetzgebers nur in dem Maße gerechtfertigt, wie die
Dringlichkeit es gebiete. Zeige sich im Verlauf des Verfahrens, dass eine
unverzügliche Entscheidung nicht zeitnah ergehen muss oder kann, müsse das
Gericht die Frage der Dringlichkeit erneut überdenken und gegebenenfalls eine
mündliche Verhandlung anberaumen.
Recht auf Gehör kann durch vorprozessuale
Äußerungsmöglichkeit auf Abmahnung erfüllt sein
Das BVerfG hält fest, dass über eine einstweilige
Verfügung gegen Veröffentlichungen der Presse oder über den Abdruck einer
Gegendarstellung deshalb nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden müsse. Es führt aber weiter aus, dass der Verzicht auf eine
mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres dazu berechtige, die Gegenseite bis
zur Entscheidung über den Verfügungsantrag ganz aus dem Verfahren
herauszuhalten. Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit komme eine
stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag vielmehr grundsätzlich nur
in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem
Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei könne nach Art und
Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert und auf die Umstände des
Einzelfalls abgestellt werden. Danach sei es verfassungsrechtlich unbedenklich,
wenn das Gericht in solchen Eilverfahren gegen Medienunternehmen auch
vorprozessuale Möglichkeiten einbezieht, die es ihnen erlaubten, sich zu dem
Verfügungsantrag zu äußern. Hierfür könne auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber
einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden.
Vorprozessuale Erwiderungen müssen dem Gericht aber
vorliegen
Dem BVerfG zufolge genügen solche vorprozessualen
Erwiderungsmöglichkeiten dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen
Waffengleichheit allerdings nur dann, wenn sichergestellt ist, dass die
Erwiderungen dem Gericht vorliegen. Der Verfügungsantrag hinsichtlich eines
Unterlassungsbegehrens müsse dafür im Anschluss an die Abmahnung unverzüglich
nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung
bei Gericht eingereicht werden, die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung
für die begehrte Unterlassung müssten mit dem bei Gericht geltend gemachten
Unterlassungsbegehren identisch sein und der Antragsteller müsse ein etwaiges
Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift
bei Gericht einreichen. Im Gegendarstellungsrecht müssten sowohl das
Abdruckverlangen als auch die Begründung für die begehrte Gegendarstellung
identisch sein und der Antragsteller müsse ein etwaiges
Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift
bei Gericht eingereicht haben. Nur dann sei sichergestellt, dass der
Antragsgegner hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu dem Vorbringen des
Antragstellers in gebotenem Umfang zu äußern.
Gerichtliche Hinweise müssen dem Antragsgegner unverzüglich
mitgeteilt werden
Weiter weist das BVerfG darauf hin, dass Gehör
auch dann zu gewähren sei, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise
nach § 139 ZPO erteilt,
von denen die Gegenseite nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen
Entscheidung erfährt. Alle Hinweise müssten, insbesondere sofern sie mündlich
erteilt würden, vollständig dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar
aus den Akten ergebe, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben habe.
Entsprechend sei es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor
Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den
Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise unverzüglich mitgeteilt
werden. Dies gelte insbesondere dann, wenn Rechtsauskünfte darauf zielen, einen
Antrag nachzubessern, oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten oder dem
Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO abgeben.
Soweit Hinweise erteilt würden, sei der Gegenseite dies auch im Fall der
Ablehnung eines Antrags unverzüglich mitzuteilen.
Prozessuale Waffengleichheit hier durch unterbliebene
Anhörungen verletzt
Das BVerfG moniert, dass die angegriffenen
Beschlüsse diesen Grundsätzen nicht genügten. Das LG habe über den Antrag auf
einstweilige Verfügung nicht nur ohne mündliche Verhandlung entschieden,
sondern auch ohne eine vorherige ordnungsgemäße Abmahnung durch die Antragstellerin
und ohne eine Anhörung der Beschwerdeführerin im Verfahren. Dadurch sei es der
Beschwerdeführerin, die von dem gegen sie gerichteten Verfahren nichts gewusst
habe, verwehrt gewesen, vor der Entscheidung des Gerichts ihre Sicht der Dinge
darzulegen. Es sei auch in keiner Weise ersichtlich, dass eine
Überraschungsentscheidung erforderlich gewesen wäre, um das Rechtsschutzziel
nicht zu gefährden. Dass das OLG der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur
Stellungnahme gegeben habe, sei jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich nicht
zu rechtfertigen, als das Gericht dem Antrag auf Erlass der beantragten
Verfügung auf Abdruck einer Gegendarstellung stattgegeben habe, ohne das
vorprozessuale Erwiderungsschreiben der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen,
dass ein Gegendarstellungsanspruch unberechtigt sei. Dies gelte erst recht für
einen Verfahrensablauf, bei dem sich die Beschwerdeführerin in einem über vier
Monate währenden Verfahren mit mehreren Anträgen zu keinem Zeitpunkt überhaupt
habe äußern können.
Prozessuale Waffengleichheit auch durch einseitig erteilte
Hinweise verletzt
Auch einseitig erteilte Hinweise hätten die prozessuale
Waffengleichheit verletzt, so das BVerfG weiter. Es sei nach dem
Akteninhalt belegt, dass der Antragsteller nach einem Telefonat mit einem
Richter seinen ersten Gegendarstellungsantrag zurücknahm, anschließend anpasste
und nach erneuter Zurückweisung durch die Beschwerdeführerin einen weiteren
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht stellte. In
dem Schriftsatz habe er der Pressekammer dazu die von ihm in Erfahrung
gebrachte Rechtsauffassung des Pressesenats mitgeteilt. Es sei schon
zweifelhaft, ob solche Hinweise überhaupt mit dem Grundsatz der prozessualen
Waffengleichheit vereinbar sind. Jedenfalls aber verstoße es gegen diesen
Grundsatz, dass diese der Beschwerdeführerin nicht unverzüglich mitgeteilt
wurden und nicht erkennbar ist, was mit dem Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers besprochen worden sei. Aktenvermerke wie „Bedenken erörtert“
genügten den Dokumentationsanforderungen nicht.

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BVerG – Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der prozessualen Waffengleichheit in Pressesachen

Aus dem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale
Waffengleichheit folgt, dass ein Gericht im Presse- und Äußerungsrecht
grundsätzlich vor einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag einer Partei
der Gegenseite Recht auf Gehör gewähren muss. Auch wenn Pressesachen häufig
eilig sind, folgt hieraus kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die
Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs oder eines Gegendarstellungsrechts
dem Antragsgegner verborgen bleibt. Regelmäßig besteht kein Grund, von seiner
Anhörung vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen. Mit dieser
Begründung hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit heute veröffentlichten
Beschlüssen zwei Verfassungsbeschwerden wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1
in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG stattgegeben und dabei klargestellt,
dass es verfassungsrechtlich geboten ist, den Antragsgegner vor Erlass einer
gerichtlichen Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den
Antragsteller. Insbesondere dürfen richterliche Hinweise nicht einseitig
ergehen und müssen daher auch der Gegenseite unverzüglich gegeben werden.
Sachverhalt:
1. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 1783/17
betrifft eine Entscheidung des Landgerichts Köln, in der der Beschwerdeführerin
die Unterlassung von Äußerungen aufgegeben wurde, ohne dass sie zuvor
vorprozessual abgemahnt oder im gerichtlichen Verfahren angehört worden war.
Die Beschwerdeführerin ist ein journalistisches Recherchenetzwerk und
veröffentlichte auf ihrer Internetseite einen Artikel über den Verlauf einer
Aufsichtsratsitzung eines Unternehmens, welche Korruptionsvorwürfe zum Inhalt
hatte. Dieses Unternehmen beantragte beim Landgericht Köln den Erlass einer
einstweilen Verfügung mit dem Inhalt, der Beschwerdeführerin aufzugeben, die
Veröffentlichung der Protokolle ihrer Aufsichtsratssitzung zu unterlassen. Dem
Antrag, von dem die Beschwerdeführerin zunächst nichts erfuhr, war keine
Abmahnung der Beschwerdeführerin vorausgegangen. Das Landgericht Köln erließ
die einstweilige Verfügung, ohne sie zu begründen oder die Beschwerdeführerin
vorher anzuhören. Von dem Inhalt des Verfügungsantrags und seiner Begründung
erhielt die Beschwerdeführerin erst nach Zustellung und Akteneinsicht Kenntnis.
2. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2421/17 betrifft eine
Entscheidung, mit der die Beschwerdeführerin, ein Presseverlag, zum Abdruck
einer Gegendarstellung verpflichtet wurde, ohne dass über die Sache mündlich
verhandelt oder ihr durch das Gericht Gehör gewährt wurde. Im Mai 2017
veröffentlichte ein von der Beschwerdeführerin herausgegebenes Magazin einen
Artikel über einen Fernsehmoderator, inwieweit dieser als Eigentümer und
Vermieter einer Yacht ein Steuersparmodell nutzt. Der Moderator (im Folgenden
Antragsteller) machte daraufhin gegenüber der Beschwerdeführerin im
Eilverfahren Gegendarstellungsansprüche geltend. Die Pressekammer des
Landgerichts Hamburg wies seine Anträge zurück. Die Beschwerdeführerin wusste
weder von den Verfügungsanträgen noch wurden ihr die Zurückweisungen
mitgeteilt. Auf den vierten Antrag des Antragstellers erging im Beschwerdeverfahren
am 5. Oktober 2017 dann ein Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die
Beschwerdeführerin zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet wurde. Dabei
wurden  dem Antragsteller wiederholt
telefonisch rechtliche Hinweise erteilt, die der Beschwerdeführerin nicht zur
Kenntnis gebracht wurden. Die Beschwerdeführerin erfuhr mit der Zustellung des
Beschlusses erstmals von dem gegen sie angestrengten Gerichtsverfahren.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. a) Aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit –
der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichwertigkeit der prozessualen
Stellung der Parteien vor dem Richter – folgt, dass ein Gericht im Presse- und
Äußerungsrecht der Gegenseite vor einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag
einer Partei im Zivilrechtsstreit Recht auf Gehör gewähren muss. Auch wenn in
Pressesachen häufig eine Eilbedürftigkeit anzuerkennen sein wird, folgt hieraus
kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Geltendmachung des
Unterlassungsanspruchs als solche der Gegenseite verborgen bleibt. Ebenso wenig
gilt dies im Gegendarstellungsrecht. Jedenfalls in den Fällen, in denen es um
eine bereits veröffentlichte Äußerung geht, besteht regelmäßig kein Grund, von
einer Anhörung und Äußerungsmöglichkeit eines Antragsgegners vor dem Erlass
einer einstweiligen Verfügung abzusehen.
b) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, in welchen Fällen
über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden kann. Für die Beurteilung, wann ein dringender Fall im Sinne
des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt und damit auf eine mündliche Verhandlung
verzichtet werden kann, haben die Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen.
Insbesondere dürfen sie davon ausgehen, dass das Presserecht von dem
Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt ist, wenn es darum geht, gegen
eine Berichterstattung vorzugehen. Dies gilt vor allem im
Gegendarstellungsrecht, für welches das Bundesverfassungsgericht stets betont
hat, dass es von einer grundsätzlichen Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist.
Angesichts der durch das Internet ständig aktualisierten Online-Angebote und
die sozialen Medien beschleunigten Möglichkeiten der Weiterverbreitung von
Informationen kann es im Interesse effektiven Rechtsschutzes sogar geboten
sein, Unterlassungs- ebenso wie Gegendarstellungsansprüchen in unmittelbarer zeitlicher
Nähe zur Berichterstattung zur Geltung zu verhelfen.
Die Annahme einer Dringlichkeit setzt sowohl seitens des
Antragstellers als auch seitens des Gerichts eine zügige Verfahrensführung
voraus. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist nach der Entscheidung
des Gesetzgebers nur in dem Maße gerechtfertigt, wie die Dringlichkeit es
gebietet. Wenn sich im Verlauf des Verfahrens zeigt, dass eine unverzügliche
Entscheidung nicht zeitnah ergehen muss oder kann, hat das Gericht
Veranlassung, die Frage der Dringlichkeit erneut zu überdenken und
gegebenenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und auf ihrer Grundlage
zu entscheiden.
c) Über eine einstweilige Verfügung gegen Veröffentlichungen
der Presse oder über den Abdruck einer Gegendarstellung wird deshalb nicht
selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden müssen. Der
Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt demgegenüber aber nicht ohne
weiteres dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag ganz
aus dem Verfahren herauszuhalten. Nach dem Grundsatz der prozessualen
Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag
vielmehr grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die
Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu
erwidern. Dabei kann nach Art und Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert
und auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden.
Danach ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn das
Gericht in solchen Eilverfahren gegen Medienunternehmen auch vorprozessuale
Möglichkeiten einbezieht, die es ihnen erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag
zu äußern. Hierfür kann auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem
Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden.
Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen
Waffengleichheit genügen solche vorprozessuale Erwiderungsmöglichkeiten
allerdings nur dann, wenn sichergestellt ist, dass die Erwiderungen dem Gericht
vorliegen. Der Verfügungsantrag hinsichtlich eines Unterlassungsbegehrens muss
dafür in Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen
Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht werden,
die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung
müssen mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch
sein und der Antragsteller muss ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des
Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht einreichen. Im
Gegendarstellungsrecht müssen sowohl das Abdruckverlangen als auch die
Begründung für die begehrte Gegendarstellung identisch sein und muss der
Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen
mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht haben. Nur dann ist
sichergestellt, dass der Antragsgegner hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu
dem Vorbringen des Antragstellers in gebotenem Umfang zu äußern.
Demgegenüber ist dem Antragsgegner prozessuales Gehör zu
gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde beziehungsweise
wenn ihm das Abdruckverlangen nicht in der gehörigen Form zugeleitet wurde oder
der Antrag vor Gericht in anderer Weise oder mit ergänzendem Vortrag begründet
wird als in der Abmahnung beziehungsweise dem Abdruckverlangen. Gehör ist auch
zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO
erteilt, von denen die Gegenseite nicht oder erst nach Erlass einer für sie
nachteiligen Entscheidung erfährt. Alle Hinweise müssen, insbesondere sofern
sie mündlich erteilt werden, vollständig dokumentiert werden, so dass sich
nachvollziehbar aus den Akten ergibt, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis
gegeben hat. Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen
Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen
wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah
mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn Rechtsauskünfte darauf zielen,
einen Antrag nachzubessern, oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten
oder dem Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO abgeben. Soweit
Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies auch im Falle der Ablehnung
eines Antrags unverzüglich mitzuteilen.
2. Diesen Grundsätzen genügen die angegriffenen Beschlüsse
nicht.
a) Das Landgericht Köln hat über den Antrag auf einstweilige
Verfügung nicht nur ohne mündliche Verhandlung entschieden, sondern auch ohne
eine vorherige ordnungsgemäße Abmahnung durch die Antragstellerin und ohne eine
Anhörung der Beschwerdeführerin im Verfahren. Dadurch hatte die
Beschwerdeführerin, die von dem gegen sie gerichteten Verfahren keine Kenntnis
hatte, keine Möglichkeit, vor der Entscheidung des Gerichts ihre Sicht der
Dinge darzulegen. Es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass eine
Überraschungsentscheidung erforderlich gewesen wäre, um das Rechtsschutzziel
nicht zu gefährden.
b) Dass das Oberlandesgericht der Beschwerdeführerin keine
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, ist jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich
nicht zu rechtfertigen, als das Gericht dem Antrag auf Erlass der beantragten
Verfügung auf Abdruck einer Gegendarstellung stattgab, ohne das vorprozessuale
Erwiderungsschreiben der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, dass ein Gegendarstellungsanspruch
unberechtigt sei. Dies gilt erst recht für einen Verfahrensablauf, bei dem die
Beschwerdeführerin in einem über vier Monate währenden Verfahren mit mehreren
Anträgen zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, sich überhaupt zu äußern.
Auch einseitig erteilte Hinweise haben die prozessuale
Waffengleichheit verletzt. Es ist nach dem Akteninhalt belegt, dass der
Antragsteller nach einem Telefonat mit einem Richter seinen ersten
Gegendarstellungsantrag zurücknahm, anschließend anpasste und nach erneuter
Zurückweisung durch die Beschwerdeführerin einen weiteren Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht stellte. In dem Schriftsatz
teilte er der Pressekammer dazu die von ihm in Erfahrung gebrachte
Rechtsauffassung des Pressesenats mit. Es ist schon zweifelhaft, ob solche
Hinweise überhaupt mit dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit
vereinbar sind. Jedenfalls aber verstößt es gegen diesen Grundsatz, dass diese
der Beschwerdeführerin nicht unverzüglich mitgeteilt wurden und nicht erkennbar
ist, was mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers besprochen wurde.
Aktenvermerke wie „Bedenken erörtert“ genügen den Dokumentations-anforderungen
nicht.

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BVerfG: Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

Beschluss vom 29. Juni
2016
Wegen seines die
Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von
Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der
Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die
Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders
als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit
stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt
darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung
im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf. Dies hat die 3.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute
veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde
gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen
Beleidigung stattgegeben.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer
ist Rechtsanwalt und vertrat als Strafverteidiger den Beschuldigten in einem
Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Spendengeldern. Nachdem gegen den
Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden war,
kam es bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung
zwischen der mit dem Verfahren betrauten Staatsanwältin und dem
Beschwerdeführer, der der Ansicht war, dass sein Mandant zu Unrecht verfolgt
wurde. Am Abend desselben Tages meldete sich ein Journalist, der eine Reportage
über den Beschuldigten plante, telefonisch beim Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer
wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen
hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der
Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete
im Laufe des Telefonats die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter
anderem als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte
Staatsanwältin“.
Das Landgericht
verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70
Tagessätzen zu je 120 €. Die Revision des Beschwerdeführers war erfolglos. Mit
seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich die
Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).
Wesentliche Erwägungen
der Kammer:
Die angegriffenen
Entscheidungen verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf
Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs.
1 Satz 1 GG
.
1. Das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr
darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall
bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung
darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der
Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die
Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die
Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des
Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.
Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine
Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie
dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen,
die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen
sind.
2. Das Landgericht geht
bei seiner Verurteilung ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen einer
Schmähkritik aus. Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf
und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen
legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer
Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von
vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden
Verwendungskontextes stand. Es hätte insoweit näherer Darlegungen bedurft, dass
sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der
Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde,
um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen
nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind,
hätte das Landgericht den Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen,
ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem
Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. An dieser fehlt es hier.
Auch das Kammergericht hat diese nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich
auf eine „noch hinreichende“ Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht
stattgefunden hat.
3. Die angegriffenen
Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler. Die Gerichte haben folglich erneut
über die strafrechtliche Beurteilung der Äußerung nunmehr im Rahmen einer
Abwägung zu entscheiden. Dabei ist freilich festzuhalten, dass ein Anwalt
grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch
angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade
gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im
Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der
Betroffenen durchsetzen. Die insoweit gebotene Abwägung die sich
gegebenenfalls auch auf die Strafzumessung auswirkt obliegt
jedoch den Fachgerichten.
Vorinstanzen
LG Berlin, Urt. v.
26.01.2015 – (569) 83 Js 445/10 Ns (126/13)
KG, Beschl. v.
21.09.2015 – (3) 121 Ss 71/15 (96/15)

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BVerfG: Die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen

Urteil vom 31.
Mai 2016 – 1 BvR 1585/13
Steht der
künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht
gegenüber, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, können
die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers zugunsten der Freiheit der
künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben. Dies hat der Erste
Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden.
Er hat damit einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die
fachgerichtliche Feststellung wendete, dass die Übernahme einer zweisekündigen
Rhythmussequenz aus der Tonspur des Musikstücks „Metall auf Metall“ der Band
„Kraftwerk“ in den Titel „Nur mir“ im Wege des sogenannten Sampling einen
Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht darstelle, der nicht durch das Recht
auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) gerechtfertigt sei. Das vom
Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in
das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden
gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet,
einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten
künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der
Tonträgerproduzenten herzustellen.
Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerde
betrifft die Frage, inwieweit sich Musikschaffende bei der Übernahme von
Ausschnitten aus fremden Tonträgern im Wege des sogenannten Sampling gegenüber
leistungsschutzrechtlichen Ansprüchen der Tonträgerhersteller auf die
Kunstfreiheit berufen können.
Auf die Pressemitteilung
Nr. 77/2015 vom 28. Oktober 2015
wird ergänzend verwiesen.
Wesentliche
Erwägungen des Senats:
Die angegriffenen
Entscheidungen verletzen drei der insgesamt zwölf Beschwerdeführer in ihrer
Freiheit der künstlerischen Betätigung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG).
1. Die den
angegriffenen Urteilen zugrunde gelegten gesetzlichen Vorschriften über das
Tonträgerherstellerrecht (§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG) und das Recht auf freie
Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) sind mit der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz
1 GG und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Sie geben den mit
ihrer Auslegung und Anwendung betrauten Gerichten hinreichende Spielräume, um
zu einer der Verfassung entsprechenden Zuordnung der künstlerischen Betätigungsfreiheit
einerseits und des eigentumsrechtlichen Schutzes des Tonträgerherstellers
andererseits zu gelangen. Die grundsätzliche Anerkennung eines
Leistungsschutzrechts zugunsten des Tonträgerherstellers, das den Schutz seiner
wirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Leistung zum Gegenstand
hat, ist auch mit Blick auf die Beschränkung der künstlerischen
Betätigungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich. Umgekehrt führt allein
die Möglichkeit von Künstlerinnen und Künstlern, sich unter näher bestimmten
Umständen auf ein Recht auf freie Benutzung von Tonträgern zu berufen, nicht
schon grundsätzlich zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des durch Art. 14
Abs. 1 GG geschützten Kerns des Tonträgerherstellerrechts.
Mit den
Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist auch, dass § 24 Abs. 1 UrhG
durch den Verzicht auf eine entsprechende Vergütungsregelung auch das
Verwertungsrecht der Urheber oder Tonträgerhersteller beschränkt. Die
Entscheidung des Gesetzgebers, die enge Ausnahmeregelung nicht durch eine
Vergütungspflicht zu ergänzen, die den Urheber oder Tonträgerhersteller an den
Einnahmen teilhaben ließe, die im Rahmen der freien Benutzung seines Werks oder
Tonträgers erst in Verbindung mit der schöpferischen Leistung eines anderen
entstehen könnten, hält sich in den Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden
Gestaltungsspielraums. Dem Gesetzgeber wäre es allerdings zur Stärkung der
Verwertungsinteressen nicht von vornherein verwehrt, das Recht auf freie
Benutzung mit einer Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung zu
verknüpfen. Hierbei könnte er der Kunstfreiheit beispielsweise durch
nachlaufende, an den kommerziellen Erfolg eines neuen Werks anknüpfende
Vergütungspflichten Rechnung tragen.
2. Dagegen
verletzen die angegriffenen Entscheidungen die beiden Komponisten und die
Musikproduktionsgesellschaft des Titels „Nur mir“ in ihrer durch Art. 5 Abs. 3
Satz 1 GG garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung.
a) Die
Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die im
Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung zwischen dem Eigentumsschutz
der Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden Grundrechtspositionen
nachzuvollziehen und dabei unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu
vermeiden. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das
Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die
Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auch in ihrer
materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.
b) Bei der
rechtlichen Bewertung der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken steht
dem Interesse der Urheberrechtsinhaber, die Ausbeutung ihrer Werke zu fremden
kommerziellen Zwecken ohne Genehmigung zu verhindern, das durch die
Kunstfreiheit geschützte Interesse anderer Künstler gegenüber, ohne finanzielle
Risiken oder inhaltliche Beschränkungen in einen Schaffensprozess im
künstlerischen Dialog mit vorhandenen Werken treten zu können. Steht der
künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in die Urheberrechte gegenüber,
der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, so können die
Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber zugunsten der Freiheit der
künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben. Diese Grund­sätze
gelten auch für die Nutzung von nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG geschützten
Tonträgern zu künstlerischen Zwecken.
c) Die Annahme
des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle
einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar,
soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trägt der
Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Wenn der Musikschaffende, der unter
Einsatz von Samples ein neues Werk schaffen will, nicht völlig auf die
Einbeziehung des Sample in das neue Musikstück verzichten will, stellt ihn die
enge Auslegung der freien Benutzung durch den Bundesgerichtshof vor die
Alternative, sich entweder um eine Samplelizenzierung durch den
Tonträgerhersteller zu bemühen oder das Sample selbst nachzuspielen. In beiden
Fällen würden jedoch die künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die
kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt.
Der Verweis auf
die Lizenzierungsmöglichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der
künstlerischen Betätigungsfreiheit: Auf die Einräumung einer Lizenz zur
Übernahme des Sample besteht kein Anspruch; sie kann von dem
Tonträgerhersteller aufgrund seines Verfügungsrechts ohne Angabe von Gründen
und ungeachtet der Bereitschaft zur Zahlung eines Entgelts für die Lizenzierung
verweigert werden. Für die Übernahme kann der Tonträgerhersteller die Zahlung
einer Lizenzgebühr verlangen, deren Höhe er frei festsetzen kann. Besonders
schwierig gestaltet sich der Prozess der Rechteeinräumung bei Werken, die viele
verschiedene Samples benutzen und diese collagenartig zusammenstellen. Die
Existenz von Sampledatenbanken sowie von Dienstleistern, die Musikschaffende
beim Sampleclearing unterstützen, beseitigen diese Schwierigkeiten nur
teilweise und unzureichend.
Das eigene
Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der
Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die
erforderliche kunstspezifische Betrachtung verlangt, diese genrespezifischen
Aspekte nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinzu kommt, dass sich das eigene
Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten kann und die Beurteilung
der gleichwertigen Nachspielbarkeit für die Kunstschaffenden zu erheblicher
Unsicherheit führt.
d) Diesen
Beschränkungen der künstlerischen Betätigungsfreiheit steht hier bei einer
erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das
Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile
gegenüber. Eine Gefahr von Absatzrückgängen für die Kläger des
Ausgangsverfahrens durch die Übernahme der Sequenz in die beiden
streitgegenständlichen Versionen des Titels „Nur mir“ ist nicht ersichtlich.
Eine solche Gefahr könnte im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu
geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz
aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit
dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der
künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der
entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber
des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen. Allein der Umstand,
dass § 24 Abs. 1 UrhG dem Tonträgerhersteller die Möglichkeit einer
Lizenzeinnahme nimmt, bewirkt ebenfalls nicht ohne weiteres – und insbesondere
nicht im vorliegenden Fall – einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil des
Tonträgerherstellers. Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein
Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes
weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs
wegen nicht geboten.
e) Insoweit haben
die Verwertungsinteressen der Tonträgerhersteller in der Abwägung mit den Nutzungsinteressen
für eine künstlerische Betätigung zurückzutreten. Das vom Bundesgerichtshof für
die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das
Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden
gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet,
einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten
künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der
Tonträgerproduzenten herzustellen.
3. Der
Bundesgerichtshof kann bei der erneuten Entscheidung die hinreichende
Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen einer entsprechenden Anwendung von
§ 24 Abs. 1 UrhG sicherstellen. Hierauf ist er aber nicht beschränkt. Eine
verfassungskonforme Rechtsanwendung, die hier und in vergleichbaren
Konstellationen eine Nutzung von Tonaufnahmen zu Zwecken des Sampling ohne
vorherige Lizenzierung erlaubt, könnte beispielsweise auch durch eine
einschränkende Auslegung von § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG erreicht werden. Soweit
Nutzungshandlungen ab dem 22. Dezember 2002, auf welche die
Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union anwendbar ist, betroffen sind,
hat der Bundesgerichtshof als zuständiges Fachgericht zunächst zu prüfen,
inwieweit durch vorrangiges Unionsrecht noch Spielraum für die Anwendung des
deutschen Rechts bleibt. Erweist sich das europäische Richtlinienrecht als
abschließend, ist der Bundesgerichtshof verpflichtet, effektiven
Grundrechtsschutz zu gewährleisten, indem er die Richtlinienbestimmungen mit
den europäischen Grundrechten konform auslegt und bei Zweifeln über die
Auslegung oder Gültigkeit der Urheberrechtsrichtlinie das Verfahren dem
Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV vorlegt. Das
Bundesverfassungsgericht überprüft, ob das Fachgericht drohende Grundrechtsverletzungen
auf diese Weise abgewehrt hat und ob der unabdingbare grundrechtliche
Mindeststandard des Grundgesetzes gewahrt ist.

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BVerfG: Meinungsfreiheit schützt auch emotionalisierte Äußerungen

Die
Meinungsfreiheit umfasst auch die Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar
emotionalisiert darzustellen, insbesondere als Erwiderung auf einen unmittelbar
vorangegangenen Angriff auf die Ehre, der gleichfalls in emotionalisierender
Weise erfolgt ist. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss
entschieden. Damit gab sie der Verfassungsbeschwerde einer Beschwerdeführerin
statt, die sich gegen eine zivilgerichtliche Unterlassungsverurteilung gewandt
hatte.
Sachverhalt:
Der Kläger des
Ausgangsverfahrens war mit der Beschwerdeführerin liiert, bis sie ihn Anfang
des Jahres 2010 wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung
anzeigte. Im darauf folgenden Strafprozess vor dem Landgericht wurde der Kläger
freigesprochen, da ihm eine Straftat nicht nachgewiesen werden konnte. Am Tag
des Freispruchs sowie am Tag darauf äußerten sich die Anwälte des Klägers in
Fernsehsendungen über die Beschwerdeführerin. Etwa eine Woche nach der
Verkündung des freisprechenden Urteils erschien zudem ein Interview mit dem
Kläger, in dem er über die Beschwerdeführerin sprach. Daraufhin gab auch die
Beschwerdeführerin ein Interview, das eine Woche nach der Veröffentlichung des
Interviews mit dem Kläger erschien.
In der Folgezeit
begehrte der Kläger von der Beschwerdeführerin die Unterlassung mehrerer
Äußerungen, die sie im Rahmen dieses Interviews getätigt hatte. Das Landgericht
verurteilte die Beschwerdeführerin antragsgemäß. Die Berufung zum
Oberlandesgericht und die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof
blieben ohne Erfolg.
Mit der
Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen alle drei
Entscheidungen und rügt im Wesentlichen die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit
(Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).
Wesentliche Erwägungen
der Kammer:
Die angegriffenen
Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungsfreiheit aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. Die Urteile
des Landgerichts und des Oberlandesgerichts berühren den Schutzbereich der
Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin. Die Einordnung der Äußerungen als
Werturteile und Tatsachenbehauptungen ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Die Tatsachenbehauptungen sind nicht erwiesen unwahr. Im
Strafverfahren konnte nicht geklärt werden, ob die Angaben der Beschwerdeführerin
oder die des Klägers der Wahrheit entsprechen. Nach dem Freispruch des Klägers
stellen sich deshalb die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen
eines nicht aufklärbaren Geschehens dar, die nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern
als Meinungen zu behandeln sind.
2. Die
angegriffenen Entscheidungen verletzen die Meinungsfreiheit der
Beschwerdeführerin. Die Untersagung der streitgegenständlichen Äußerungen
bewegt sich nicht mehr im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.
a) Das Grundrecht
auf freie Meinungsäußerung ist als subjektive Freiheit des unmittelbaren
Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht. Sie
umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von
Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen. Dabei
kann insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf
die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung
gerechtfertigt sein. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden
Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn
sie das persönliche Ansehen mindert.
b) Die
angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben
nicht. Zwar haben die Gerichte zutreffend einerseits das große
Informationsinteresse der Öffentlichkeit und andererseits den Freispruch
berücksichtigt, der dazu führt, dass die schweren Vorwürfe, die Gegenstand des
Strafverfahrens waren, nicht unbegrenzt wiederholt werden dürfen. Auch haben
sie berücksichtigt, wieweit die Äußerungen sich auf öffentliche Angelegenheiten
bezogen.

Indem die
Gerichte davon ausgingen, dass sich die Beschwerdeführerin auf eine sachliche
Wiedergabe der wesentlichen Fakten zu beschränken habe, und hierfür auf das
öffentliche Informationsinteresse abstellen, verkennen sie die durch Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG auch unabhängig von einem solchen Interesse geschützte
Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten.
Zugleich übersieht diese Sichtweise das öffentliche Interesse an einer
Diskussion der Konsequenzen und Härten, die ein rechtsstaatliches
Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann. Zu Gunsten der
Beschwerdeführerin war in die Abwägung zudem einzustellen, dass sie sich in
unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem (noch nicht rechtskräftigen) Freispruch
äußerte und lediglich wiederholte, was der Öffentlichkeit aufgrund der
umfänglichen Berichterstattung zu dem Strafverfahren bereits bekannt war. Die
Gerichte haben überdies das vorangegangene Verhalten des Klägers nicht in der
gebotenen Weise berücksichtigt. Der Beschwerdeführerin steht ein „Recht auf
Gegenschlag“ zu und dabei ist sie nicht auf eine sachliche, am Interview des
Klägers orientierte Erwiderung beschränkt, weil auch der Kläger und seine
Anwälte sich nicht sachlich, sondern gleichfalls in emotionalisierender Weise
äußerten. Der Kläger, der auf diese Weise an die Öffentlichkeit trat, muss eine
entsprechende Reaktion der Beschwerdeführerin hinnehmen.
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BVerfG: Durchsuchung bei Medienorganen darf nicht vorrangig der Aufklärung möglicher Straftaten von Informanten dienen

Beschlüsse vom 13. Juli 2015
Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von
Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten
durch Informanten aufzuklären. Erforderlich sind vielmehr zureichende
tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen
Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1
Strafprozessordnung entfallen lässt. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts mit zwei heute veröffentlichten Beschlüssen
entschieden und Verfassungsbeschwerden eines Journalisten sowie eines
Zeitungsverlags gegen Durchsuchungsmaßnahmen stattgegeben.
Sachverhalt und
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführer sind ein Journalist sowie ein
Zeitungsverlag. Im Frühjahr 2011 reiste der Journalist nach Amsterdam, um über
das Verschwinden zweier Kinder in den 1990er Jahren zu recherchieren. Dabei
wurde er von dem Polizeioberkommissar N. begleitet, der eine Rechnung über
3.149,07 Euro an die Chefredaktion der Beschwerdeführerin stellte. Sie endet
mit den Worten: „Wegen der Konspirativität in dieser Sache bitte ich um
Barauszahlung“. Auf diese Rechnung stießen die Ermittlungsbehörden im Rahmen
eines Ermittlungsverfahrens gegen N. wegen Geheimnisverrats (§ 353b
Strafgesetzbuch – StGB). N. stand in Verdacht, eine geplante Razzia der
Berliner Polizei im Rockermilieu an Journalisten weitergegeben zu haben. Über
die bevorstehende Razzia hatte jedoch nicht der Zeitungsverlag vorab berichtet,
sondern ein mit diesem nicht in Zusammenhang stehendes Online-Portal.
Im November 2012 wurden das Redaktionsgebäude des
Zeitungsverlags sowie die Privatwohnung des Journalisten wegen des Verdachts
der Bestechung (§ 334 Strafgesetzbuch – StGB) durchsucht. Der
Durchsuchungsbeschluss stützte sich auf eine Zahlung des Journalisten an N. in
Höhe von 100,00 Euro sowie auf die genannte Rechnung. Aufgrund der Heimlichkeit
der Reise, des ungewöhnlich hohen Tagessatzes von 500,00 Euro sowie der Bitte
um konspirative Abrechnung bestehe der Verdacht, dass die von N. für die
Zeitung erledigten Tätigkeiten dienstlichen Bezug hätten. Nach Darstellung der
Beschwerdeführer sei N. jedoch außerhalb seiner Dienstzeit als
Sicherheitsexperte für die Recherchereise nach Amsterdam engagiert worden. Die
100,00 Euro seien N. für den Kauf von zwei Jacken ausgelegt und später von ihm
zurückgezahlt worden.
Wesentliche
Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet.
1. Der Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz
2 GG) ist eröffnet. Sie umfasst den Schutz vor dem Eindringen des Staates in
die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen
den Medien und ihren Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die
Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle
aber nur dann fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des
Redaktionsgeheimnisses verlassen kann. Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt
wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der
Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der
Pressefreiheit dar.
2. Der Eingriff durch die Anordnung der Durchsuchung der
Redaktionsräume und die Beschlagnahme der dort gefundenen Gegenstände ist
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
a) Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Pressefreiheit ihre
Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Die Bestimmungen der
Strafprozessordnung (StPO) sind als allgemeine Gesetze anerkannt, müssen
allerdings im Lichte dieser Grundrechtsverbürgung gesehen werden. Es bedarf
einer Zuordnung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Freiheit und
des durch die einschränkenden Vorschriften geschützten Rechtsgutes. Eine solche
Zuordnung hat der Gesetzgeber vorgenommen, indem er einerseits die allgemeine
Zeugnispflicht von Medienangehörigen in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO und
korrespondierend hierzu Beschlagnahmen bei Journalisten und in Redaktionsräumen
in § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO eingeschränkt hat, andererseits aber ein
Beschlagnahmeverbot in § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO bei
strafrechtlicher Verstrickung des Zeugen oder der Sache ausgeschlossen hat. Auf
diese Weise hat der Gesetzgeber jedenfalls im Grundsatz einen tragfähigen
Ausgleich zwischen dem Schutz der Institution einer freien Presse auf der einen
Seite und dem legitimen Strafverfolgungsinteresse auf der anderen Seite
geschaffen, wobei offen bleiben kann, ob er den Schutz der Presse und des
Rundfunks weiter hätte ziehen oder stärker hätte beschränken dürfen.
Diese Normen sind nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts allerdings keine abschließenden Regelungen. Auch wenn
§ 97 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht anwendbar ist, weil ein Journalist selbst (Mit-)
Beschuldigter ist, bleibt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für die Auslegung und
Anwendung der strafprozessualen Normen über Durchsuchungen und Beschlagnahmen
in Redaktionen oder bei Journalisten von Bedeutung.
Im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber geregelt, dass
Beihilfehandlungen zum Geheimnisverrat nach Maßgabe des § 353b Abs. 3a StGB
nicht mehr als rechtswidrig anzusehen sind. Strafbar bleiben demgegenüber die
Anstiftung zum Geheimnisverrat sowie Beihilfehandlungen, die der Vollendung der
Haupttat vorausgehen oder über das Entgegennehmen und Veröffentlichen der
Information hinausgehen. Hierzu soll insbesondere die Zahlung von Honorar für
dienstlich erlangte Informationen zu rechnen sein. Unter Berücksichtigung von
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG kann dies jedoch dann nicht gelten, wenn die
Durchsuchung und Beschlagnahme nicht auf einen konkreten Verdacht gerade
gegenüber den betroffenen Presseangehörigen gestützt ist, sondern dem
vorrangigen oder ausschließlichen Zweck dient, Verdachtsgründe gegen den
Informanten zu finden. Vielmehr erfordert eine Durchsuchung zureichende
tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz des §
97 Abs. 5 Satz 1 StPO entfallen lässt. Ein bloß allgemeiner Verdacht, dass
dienstliche Informationen an die Presse weitergegeben wurden, genügt den
verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
b) Im vorliegenden Fall ging es den
Strafverfolgungsbehörden, wie auch in dem angefochtenen landgerichtlichen
Beschluss deutlich wird, zumindest vorwiegend um die Ermittlung belastender
Tatsachen gegen einen Informanten aus Polizeikreisen. Diesem sollen Geldbeträge
für Informationen zu bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen gezahlt worden sein.
Bezogen auf dessen Kontakt zu den Beschwerdeführern handelt es sich jedoch um
bloße Mutmaßungen. Zum einen berichtete nicht der beschwerdeführende
Zeitungsverlag über die bevorstehende Razzia, sondern ein mit diesem nicht
zusammenhängendes Online-Portal. Weder dem Durchsuchungsbeschluss noch der
Beschwerdeentscheidung ist zum anderen zu entnehmen, für welche Informationen
Geld gezahlt worden sein soll. Der Tatbestand der Bestechung verlangt jedoch
schon einfachrechtlich die Vornahme einer hinreichend konkreten Diensthandlung.
In Bezug auf die Beschwerdeführer mangelt es daher an zureichenden tatsächlichen
Anhaltspunkten für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz entfallen lässt.
Ferner lässt sich aus dem bloßen Umstand, dass der
mitbeschuldigte Polizeibeamte ein auf eine fingierte Person angemeldetes
„Journalisten-Handy“ nutzte, nicht auf einen Tatverdacht der Bestechung gerade
gegen die Beschwerdeführer schließen. Auf dem Handy waren die Namen des
Beschwerdeführers und eines Journalisten des Online-Portals gespeichert. Dies
mag dafür sprechen, dass der Informant dienstliche Geheimnisse an Journalisten
weitergegeben hat. Wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten
Informantenschutzes rechtfertigt das bloße Interesse der
Strafverfolgungsbehörden, dies zu erfahren, jedoch keine Durchsuchung in den
Redaktionsräumen von Presseorganen, sofern nicht erkennbar ist, dass auch gegen
diese selbst strafrechtlich relevante Vorwürfe zu erheben sind. Was für eine
Weitergabe der Informationen über eine Razzia gerade an den Beschwerdeführer
sprechen soll, obwohl ein anderes Online-Magazin, für das der andere
eingespeicherte Journalist tätig war, über diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen
vorab berichtete, bleibt unklar.

Auch aus dem Vermerk auf der Rechnung lässt sich nicht mit
der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine Bestechung schließen. Die
Rechnung bezog sich auf die Reise nach Amsterdam, für deren Ermöglichung sich
der Beamte dienstunfähig gemeldet hatte. Es erscheint daher nicht fernliegend,
dass der Beamte disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen der falschen
Krankmeldung und mangelnden Nebentätigkeitsgenehmigung befürchtete. Ein
Verdacht gegenüber den Beschwerdeführern folgt hieraus jedoch nicht.