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OLG München – Unwirksame Löschung eines Beitrags auf einer Social-Media-Plattform

Das OLG München hat mit Beschluss
v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18
entschieden, dass Facebook bei der Löschung
von Nutzerbeiträgen die Grundrechte beachten muss. Dabei verweist das Gericht
auf die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten. Die Regelung in den
Facebook-Nutzungsbedingungen, wonach Inhalte gelöscht werden können, wenn Facebook
der Ansicht ist, dass diese gegen die Facebook-Regeln verstoßen, stellt nach
Ansicht des Gerichts eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer dar.
Leitsätze:
1. Eine Allgemeine Geschäftsbedingung des Betreibers einer
Social-Media-Plattform, wonach dieser sämtliche Inhalte, die ein Nutzer postet,
entfernen kann, wenn er (der Betreiber) der Ansicht ist, dass diese gegen die
Richtlinien der Plattform verstoßen, ist unwirksam, weil sie den Nutzer als
Vertragspartner des Betreibers entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessen benachteiligt. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Den Grundrechten kommt insoweit eine mittelbare
Drittwirkung zu, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich
Elemente objektiver Ordnung errichtet hat, die als verfassungsrechtliche
Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das
Privatrecht beeinflussen. § 241 Abs. 2 BGB bildet eine konkretisierungsbedürftige
Generalklausel, bei deren Auslegung dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
Rechnung zu tragen ist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden
Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre es
unvereinbar, wenn der Betreiber einer Social-Media-Plattform gestützt auf ein
„virtuelles Hausrecht“ auf der von ihm bereitgestellten Plattform den Beitrag
eines Nutzers, in dem er einen Verstoß gegen seine Richtlinien erblickt, auch
dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung
nicht überschreitet. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Interpretation einer Äußerung setzt die Ermittlung
ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen
Publikums voraus. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete
Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers
und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden,
in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext
herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. (Rn. 31)
(redaktioneller Leitsatz)
Vorinstanz:
LG München II, Beschluss vom 14.08.2018 – 11 O 3129/18

Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der
Beschluss des Landgerichts München II vom 14.08.2018, Az.: 11 O 3129/18,
abgeändert und folgende einstweilige Verfügung erlassen:
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes
von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder
einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten untersagt,
1. einen von der Antragstellerin auf der F.-Seite von
„Spiegel-Online“ zu dem Artikel mit der Überschrift „Österreich kündigt
Grenzkontrollen an“ eingestellten Kommentar mit folgendem Wortlaut:
„… Gar sehr verzwickt ist diese Welt, mich wundert’s
daß sie wem gefällt. Wilhelm Busch (1832 – 1908)
Wusste bereits Wilhelm Busch 1832 zu sagen:-D Ich kann mich
argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das
wäre nicht besonders fair von mir.“
zu löschen,
2. die Antragstellerin wegen der erneuten Einstellung dieses
Kommentars auf der Plattform www.f…com zu sperren.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des einstweiligen
Verfügungsverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf
10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen
Verfügung, durch welche der Antragsgegnerin untersagt werden soll, den im Tenor
unter Ziffer I 1 wiedergegebenen Textbeitrag auf www.f…com zu löschen und sie
wegen des Einstellens des vorgenannten Textbeitrages auf www.f….com zu
sperren.
Das Landgericht München II hat mit Beschluss vom 14.08.2018
den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Es
ist der Ansicht, dass weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund
bestehe. Hinsichtlich der näheren Begründung wird auf die Ausführungen in den
Gründen des vorgenannten Beschlusses (Bl. 31/33 d.A.) Bezug genommen.
Gegen den ihr am 17.08.2018 formlos bekannt gegebenen
Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.08.2018, beim
Landgericht München II eingegangen am selben Tage, sofortige Beschwerde
eingelegt. Hinsichtlich der Begründung des Rechtsmittels wird auf den
vorgenannten Schriftsatz (Bl. 35/38 d.A. mit den zugehörigen Anlagen)
verwiesen.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 20.08.2018 (Bl. 39/40
d.A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, der sofortigen Beschwerde nicht
abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung
vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 567
Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landgericht hat
den mit der sofortigen Beschwerde angreifbaren Beschluss entgegen der
Vorschrift des § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht förmlich zugestellt; die
zweiwöchige Notfrist des § 569 ZPO ist aber offensichtlich gewahrt.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag vom 10.08.2018 auf Erlass der begehrten
einstweiligen Verfügung ist zulässig.
a) Die vom Landgericht stillschweigend unterstellte – auch
im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfende (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
28.11.2002 – III ZR 102/02, NJW 2003, 426) – internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte ist zu bejahen.
Maßgeblich ist die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), weil die Antragsgegnerin ihren Sitz in
Irland und damit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat. Im Rahmen
der Zuständigkeitsprüfung kann letztlich dahinstehen, ob es sich bei dem
geltend gemachten Verfügungsanspruch um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch
oder um einen Anspruch aus unerlaubter Handlung handelt. In beiden Fällen wäre
das Landgericht München II örtlich und damit auch international zuständig.
Eine Vertragspflicht der Antragsgegnerin im Sinne von Art. 7
Nr. 1 lit. a EuGVVO auf Bereitstellung von „F.k-Diensten“ wäre mangels einer
abweichenden Vereinbarung der Vertragsparteien kraft Natur der Sache am
Wohnsitz der Antragstellerin zu erfüllen. Falls die Sperrung der
Antragstellerin bzw. die Löschung eines von ihr geposteten Beitrages ein
„schädigendes Ereignis“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO darstellen sollte,
träte dieses primär an ihrem Wohnsitz ein. Denn dort käme es zur Kollision der
widerstreitenden Interessen der Antragstellerin auf Meinungsfreiheit (Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG) und der Antragsgegnerin auf Wahrung ihrer
Gemeinschaftsstandards (vgl. zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts für die
internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte im Falle einer Klage wegen
einer Persönlichkeitsverletzung durch eine im Internet abrufbare
Veröffentlichung BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, Rn. 20 ff., BGHZ
184, 313).
b) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der Antrag auch
insoweit hinreichend bestimmt, als die Antragstellerin der Antragsgegnerin
untersagen möchte, sie wegen des im Tenor dieses Beschlusses unter Ziffer I 1
wiedergegebenen Kommentars (im Folgenden: streitgegenständliche Äußerung) auf
der Plattform www.f…com zu sperren. Die gebotene Auslegung ergibt eindeutig,
dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin sowohl die Löschung des Kommentars
als auch eine hierauf gestützte Sperrung ihrer Person verbieten lassen will.
Die etwas missverständliche Formulierung „und/oder“ soll zum Ausdruck bringen,
dass sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag nicht nur gegen die Kombination
von Löschung und Sperrung wendet.
2. Der Antrag ist auch begründet. Das Landgericht hat sowohl
das Bestehen eines Verfügungsanspruchs als auch das Vorliegen eines
Verfügungsgrundes zu Unrecht verneint.
a) Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche
auf Unterlassung der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung sowie der
hierauf gestützten Sperrung der Antragsgegnerin auf der Social-Media-Plattform
www.f…com ist jeweils der zwischen den Parteien bestehenden Vertrag, durch
den sich die Antragsgegnerin verpflichtet hat, der Antragstellerin die Nutzung
der von ihr angebotenen „F.-Dienste“ zu ermöglichen, in Verbindung mit § 241
Abs. 2 BGB.
aa) Die Antragstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht,
dass sie sich im sozialen Netzwerk „F.“ als Nutzerin angemeldet hatte.
Sie hat an Eides Statt versichert, dass sie auf der F.-Seite
von „Spiegel-Online“ den dort am 07.08.2018 veröffentlichten Artikel mit der
Überschrift „Österreich kündigt Grenzkontrollen an“ kommentiert hatte und im
Rahmen der sich entwickelnden Diskussion mit der streitgegenständlichen
Äußerung auf einen kritischen Kommentar der weiteren F.-Nutzerin geantwortet
hatte (Anlage JS 7). Die Tatsache, dass die Antragstellerin bei der
Antragsgegnerin als Nutzerin registriert ist, wird zudem durch die in die
Antragsschrift vom 10.08.2018 auf Seite 10 eingescannte Mitteilung bestätigt,
dass die Antragstellerin wegen eines Verstoßes gegen die
„Gemeinschaftsstandards“ der Antragsgegnerin für 30 Tage gesperrt sei.
bb) Mit der Anmeldung ist zwischen der Antragstellerin und
der Antragsgegnerin ein Vertragsverhältnis zustande gekommen.
Wie dem Beschwerdegericht aus dem eine vergleichbare
Fallkonstellation betreffenden Beschwerdeverfahren mit dem Aktenzeichen 18 W
858/18 bekannt ist, bietet die Antragsgegnerin ihren Nutzern unter der
Bezeichnung „F.-Dienste“ Funktionen und Dienstleistungen an, die sie über ihre
Webseite www.f…k.com bereitstellt. Unter anderem eröffnet sie ihren Nutzern
die Möglichkeit, innerhalb des eigenen Profils Beiträge zu posten und die
Beiträge anderer Nutzer zu kommentieren, soweit diese eine Kommentierung zulassen,
oder mit verschiedenen Symbolen zu bewerten.
Für die von ihr angebotenen Dienste beansprucht die
Antragsgegnerin kein Entgelt, weshalb der Nutzungsvertrag rechtlich nicht als
Dienstvertrag im Sinne von § 611 BGB eingeordnet werden kann; es dürfte sich um
einen Vertrag sui generis handeln. Eine abschließende Klärung der Rechtsnatur
des Vertrages ist im vorliegenden Verfahren indes nicht geboten. Das
ausführliche Regelwerk der Antragsgegnerin – vor allem die in den
Sonderbedingungen für Nutzer mit Wohnsitz in Deutschland (vorgelegt als Anlage
JS 4) enthaltenen Klauseln zur Rechtswahl (Nr. 5), zum Kündigungsrecht der
Antragsgegnerin aus wichtigem Grund (Nr. 4) und zur Haftungsbegrenzung (Nr. 6)
– lässt jedenfalls erkennen, dass die Antragsgegnerin ihre Dienste mit
Rechtsbindungswillen anbietet.
b) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die
Antragsgegnerin die streitgegenständliche Äußerung gelöscht hat. Dies ergibt
sich eindeutig aus der in die eidesstattliche Versicherung (Anlage JS 7)
eingescannten Mitteilung der Antragsgegnerin, dass die dort wörtlich
wiedergegebene Äußerung nur für die Antragstellerin sichtbar sei, weil sie
gegen die Gemeinschaftsstandards (seil.: der Antragsgegnerin) verstoße.
Mit der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung hat die
Antragsgegnerin ihre Vertragspflicht verletzt, auf die Rechte der
Antragstellerin, insbesondere deren Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG), Rücksicht zu nehmen.
aa) Ausweislich der von ihr angegebenen Begründung für die
Löschung der Äußerung hat die Antragsgegnerin von einer Befugnis Gebrauch
machen wollen, welche in ihrer – von der Antragstellerin nicht vorgelegten, dem
Beschwerdegericht aber aus dem Beschwerdeverfahren mit dem Aktenzeichen 18 W
858/18 bekannten – „Erklärung der Rechte und Pflichten“ unter Nr. 5.2 geregelt
ist. Bei diesem Regelwerk handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen
der Antragsgegnerin im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die maßgebliche
Klausel Nr. 5 lautet auszugsweise wie folgt:
„5. Schutz der Rechte anderer Personen Wir respektieren die
Rechte anderer und erwarten von dir, dass du dies ebenfalls tust.“
1. Du wirst keine Inhalte auf F.k posten oder Handlungen auf
F. durchführen, welche die Rechte einer anderen Person verletzen oder auf
sonstige Art gegen das Gesetz verstoßen.
2. Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du
auf F. postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen die
Erklärung oder unsere Richtlinien verstoßen. (…).“
Die Klausel Nr. 5.2 ist allerdings unwirksam, weil sie die
Nutzer als Vertragspartner der Verwenderin entgegen den Geboten von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Nach dem Wortlaut der Klausel – dem zugleich die bei der
gebotenen Auslegung zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB) zugrunde zu
legende kundenunfreundlichste Auslegung entspricht – kommt es für die
Beurteilung der Frage, ob ein geposteter Beitrag gegen die Richtlinien der
Antragsgegnerin verstößt und deshalb gelöscht werden darf, allein auf das
Urteil der Antragsgegnerin an. Dieses einseitige Bestimmungsrecht der
Antragsgegnerin steht im Widerspruch dazu, dass der Vertrag zwischen Nutzer und
Plattformbetreiber gemäß § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien
zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils
verpflichtet (ebenso LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O
182/18, S. 4).
Für den Inhalt und die Reichweite der Pflicht zur
gegenseitigen Rücksichtnahme ist im vorliegenden Fall von entscheidender
Bedeutung, dass die von der Antragsgegnerin bereitgestellte
Social-Media-Plattform www.f…com dem Zweck dient, den Nutzern einen
„öffentlichen Marktplatz“ für Informationen und Meinungsaustausch zu verschaffen
(vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 10.08.2017 – 16 U 255/16, Rn. 28, zit. nach
juris). Im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte,
insbesondere des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1
GG), muss deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung
nicht von der Plattform entfernt werden darf (ebenso LG Frankfurt am Main,
Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, S. 4 f. m.w.N.).
Den Grundrechten kommt nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts insoweit eine mittelbare Drittwirkung zu, als das
Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente objektiver Ordnung
aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle
Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen
(BVerfG, Beschluss vom 23.04.1986 – 2 BvR 487/80, Rn. 25, BVerfGE 73, 261;
Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51, Rn. 26, BVerfGE 7, 198; Jarass in
Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 13. Aufl., Art. 1 Rn. 54 m.w.N.). In dieser Funktion
zielen die Grundrechte nicht auf eine möglichst konsequente Minimierung von
freiheitsbeschränkenden Eingriffen, sondern sind im Ausgleich
gleichberechtigter Freiheit zu entfalten. Hierbei sind kollidierende
Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem
Grundsatz der praktischen Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen, dass sie für
alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, Rn. 32 m.w.N., NJW 2018, 1667).
Der Rechtsgehalt der Grundrechte als objektive Normen
entfaltet sich im Privatrecht durch das Medium der dieses Rechtsgebiet
unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere der Generalklauseln und
sonstigen auslegungsfähigen und -bedürftigen Begriffe, die im Sinne dieses
Rechtsgehalts ausgelegt werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 23.04.1986 – 2 BvR
487/80, Rn. 25, BVerfGE 73, 261). Im vorliegenden Fall bildet die Vorschrift
des § 241 Abs. 2 BGB die konkretisierungsbedürftige Generalklausel, bei deren Auslegung
dem von der Antragstellerin geltend gemachten Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) Rechnung zu tragen ist. Mit dem
gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz
der praktischen Konkordanz wäre es unvereinbar, wenn die Antragsgegnerin
gestützt auf ein „virtuelles Hausrecht“ (vgl. LG Bonn, Urteil vom 16.11.1999 –
10 O 457/99, NJW 2000, 961) auf der von ihr bereitgestellten
Social-Media-Plattform den Beitrag eines Nutzers, in dem sie einen Verstoß
gegen ihre Richtlinien erblickt, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die
Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.
bb) Die in den (ebenfalls nicht vorgelegten, dem
Beschwerdegericht aber aus dem Beschwerdeverfahren 18 W … bekannten)
Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin geregelte Befugnis zur Entfernung
sogenannter „Hassbotschaften“ -definiert als Inhalte, die Personen aufgrund
ihrer Rasse, Ethnizität, nationalen Herkunft, religiösen Zugehörigkeit,
sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder aufgrund von
Behinderungen oder Krankheiten direkt angreifen – wird von der Nichtigkeit der
Klausel Nr. 5.2 der „Erklärung der Rechte und Pflichten“ nicht unmittelbar
berührt. Denn diese Befugnis stellt hinsichtlich der Einordnung eines Inhalts
als „Hassbotschaft“ nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Antragsgegnerin
bzw. der für diese handelnden Personen, sondern auf objektivierbare Kriterien
ab.
Auf eine Verletzung ihrer Gemeinschaftsstandards kann die
Antragsgegnerin die Löschung der streitgegenständlichen Äußerung aber nicht
stützen, weil diese evident keine „Hassbotschaft“ nach der Definition der
Antragsgegnerin darstellt. Es bedarf daher im vorliegenden Fall auch keiner
Prüfung, ob die Gemeinschaftsstandards als solche einer Inhaltskontrolle nach §
307 BGB standhalten würden.
 (1) Die
Interpretation einer Äußerung setzt die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus
der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums voraus. Bei der
Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem
Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen
Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen
ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer
rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI
ZR 505/14, Rn. 11 m.w.N., MDR 2016, 648 f.). Fern liegende Deutungen sind
auszuscheiden. Ist der Sinn einer Äußerung unter Zugrundelegung des vorstehend
erörterten Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen.
Zeigt sich dagegen, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die
Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt, oder verstehen erhebliche Teile des
Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist von einem mehrdeutigen Inhalt
auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, Rn. 31, BVerfGE
114, 339 – 356).
 (2) Unter
Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die streitgegenständliche Äußerung der
Antragsgegnerin wie folgt zu interpretieren:
Aufgrund des zu Beginn genannten Namens „.. “ erkennt der
verständige und unvoreingenommene Leser im Kontext der F.-Seite von
„Spiegel-Online“ mit den dort veröffentlichten Kommentaren zu dem Artikel
„Österreich kündigt Grenzkontrollen an“, dass die Antragstellerin sich mit der
streitgegenständlichen Äußerung direkt an… wendet, die sich an der auf der
Webseite geführten Diskussion beteiligt hatte. Deren Diskussionsbeitrag wird
von der Antragstellerin allerdings weder wörtlich noch sinngemäß wiedergegeben.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts macht dieser Umstand
im vorliegenden Fall ausnahmsweise die vollständige Erfassung des Sinngehalts
der streitgegenständlichen Äußerung nicht unmöglich. Denn die Antragstellerin
hat glaubhaft gemacht, dass … sich zuvor kritisch zu dem von der Antragstellerin
selbst geposteten, in ihrer eidesstattlichen Versicherung (Anlage JS 7)
wiedergegebenen Kommentar geäußert hatte. Die Mitteilung dieses Kontextes
ermöglicht dem Beschwerdegericht die Interpretation der streitgegenständlichen
Äußerung, ohne dass hierfür die Kenntnis des vorausgegangenen Beitrags von … –
mit dem sich die streitgegenständliche Äußerung gar nicht inhaltlich
auseinandersetzt – erforderlich wäre.
Die Antwort der Antragstellerin an … wird mit der Wiedergabe
eines kurzen – als solches kenntlich gemachten – Zitats von Wilhelm Busch in
Versform eingeleitet, in dem dieser seine Verwunderung darüber zum Ausdruck
bringt, dass diese „gar sehr verzwickt(e)“ Welt jemandem gefallen könne. Dem
Zitat liegt offensichtlich ein pessimistisches Weltbild zugrunde. Der
maßgebliche Leser erkennt, dass Wilhelm Busch mit der geäußerten Verwunderung
darüber, dass es Menschen gibt, denen die Welt trotz ihrer „Verzwicktheit“
gefällt, den Vertretern einer positiveren Weltsicht letztlich ein ausreichendes
Urteilsvermögen abspricht, weil diese nicht in der Lage seien, die Komplexität
und Unvollkommenheit der tatsächlich existierenden Welt zu erkennen.
Aufgrund dieser Interpretation des Zitats erschließt sich
dem verständigen und unvoreingenommenen Leser auch, dass die Antragstellerin
mit der Verwendung des Zitats ihrer Kritikerin … mangelndes Urteilsvermögen
vorwirft. In dieser Interpretation sieht er sich durch den weiteren Inhalt der
streitgegenständlichen Äußerung bestätigt: Die Aussage „Wusste bereits Wilhelm
Busch 1832 zu sagen“ und die anschließende Zeichenkombination „:-D“, welche,
nach den Gepflogenheiten der Internet-Kommunikation ein laut – aber nicht
unbedingt freundlich – lachendes Gesicht symbolisiert, erkennt der Leser als
Übertragung der allgemeinen Aussage des Zitats auf die Person der Kritikerin.
Letzte Zweifel werden durch den abschließenden Satz der
streitgegenständlichen Äußerung „ich kann mich argumentativ leider nicht mehr
mit ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.“
ausgeräumt. Damit bringt die Antragstellerin aus Sicht des maßgeblichen Lesers
zum Ausdruck, dass sie auf die Eröffnung einer inhaltlichen Auseinandersetzung
mit … verzichtet, weil sie ihre Kritikerin nicht für „intellektuell
satisfaktionsfähig“ hält. Diese sei „unbewaffnet“, was der Leser im Kontext
dahin versteht, dass die Kritikerin ihre gegenteilige Auffassung nicht auf
tragfähige Argumente stützen könne. Die abschließende Bemerkung, dass die
Fortsetzung der Diskussion „nicht besonders fair“ wäre, erkennt der Leser als
Betonung ihrer eigenen intellektuellen Überlegenheit durch die Antragstellerin.
 (3) Mit diesem durch
Interpretation ermittelten Aussagegehalt kann die streitgegenständliche
Äußerung evident nicht als „direkter Angriff auf Personen wegen ihrer Rasse,
Ethnizität, nationalen Herkunft, religiösen Zugehörigkeit, sexuellen
Orientierung, geschlechtlichen Identität oder aufgrund von Behinderungen oder
Krankheiten“ und damit als „Hassbotschaft“ im Sinne der Definition der
Antragsgegnerin gewertet werden. Die Antragstellerin führt vielmehr eine
persönliche Auseinandersetzung mit einer individuellen Kritikerin.
cc) Eine andere Rechtsgrundlage, auf welche die
Antragsgegnerin die Löschung der streitgegenständlichen Äußerung stützen
könnte, ist nicht ersichtlich.
 (1) Insbesondere
stellt die Äußerung keinen rechtswidrigen Inhalt im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG
dar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der in dieser Vorschrift genannten
Strafnormen sind ganz offensichtlich nicht erfüllt.
 (2) Dahinstehen kann,
ob die streitgegenständliche Äußerung das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art.
2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) der F.-Nutzerin verletzt.
Denn zur Geltendmachung einer etwaigen Verletzung dieses
allein ihrer Nutzerin zustehenden Rechts wäre die Antragsgegnerin nicht
aktivlegitimiert.
c) Da die Löschung der streitgegenständlichen Äußerung
rechtswidrig war, stellt auch die mit der Einstellung dieser Äußerung auf
www.f…com begründete Sperrung der Antragstellerin eine Vertragspflichtverletzung
seitens der Antragsgegnerin dar. Durch Einscannen der Mitteilung der
Antragsgegnerin auf Seite 10 der Antragsschrift vom 10.08.2018 und ihre
eidesstattliche Versicherung vom 09.08.2018 (Anlage JS 7) hat die
Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin sie wegen der
streitgegenständlichen Äußerung für 30 Tage „für das Posten gesperrt“ hat.
d) Die rechtswidrige Löschung der streitgegenständlichen
Äußerung und die rechtswidrige Sperrung der Antragsgegnerin auf der Plattform
www.f…com begründet jeweils die für einen Unterlassungsanspruch konstitutive
Wiederholungsgefahr.
Bei einem auf die direkte oder analoge Anwendung von § 1004
Abs. 1 Satz 2 BGB gestützten Unterlassungsanspruch bildet die Besorgnis
weiterer Beeinträchtigungen ein Tatbestandsmerkmal und damit eine materielle
Anspruchsvoraussetzung (BGH, Urteil vom 19.10.2004 – VI ZR 292/03, NJW 2005,
594, 595). Für einen Unterlassungsanspruch, der aus einem vertraglichen
Erfüllungsanspruch abgeleitet wird, kann nach dem Rechtsgedanken des § 259 ZPO
im Ergebnis nichts anderes gelten. Nach dieser Vorschrift setzt eine Klage auf
künftige Leistung voraus, dass den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt
ist, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Fehlt
die Wiederholungsgefahr, wäre zumindest das Rechtsschutzbedürfnis für eine
gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs zu verneinen.
e) Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes hat das Landgericht
ebenfalls mit einer nicht vertretbaren Begründung verneint.
aa) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend erkannt,
dass das Begehren der Antragstellerin auf den Erlass einer sogenannten
Leistungsverfügung gerichtet ist. Rechtsfehlerhaft hat es aber ein dringendes
Bedürfnis der Antragstellerin für den Erlass der begehrten Eilmaßnahme
verneint.
 (1) Wie oben unter
Ziffer 2 lit. a dargelegt, kommt als Verfügungsanspruch nur der
Erfüllungsanspruch der Antragstellerin aus dem mit der Antragsgegnerin
geschlossenen Nutzungsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB in Betracht.
Mit dem angestrebten Verbot einer Sperrung wegen der streitgegenständlichen
Äußerung bezweckt die Antragstellerin in der Sache, dass ihr die ungehinderte
Nutzung der Funktionen von www.f…com, insbesondere das Posten von Beiträgen,
das Kommentieren fremder Beiträge sowie die Nutzung des Nachrichtensystems,
ermöglicht wird. Der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung würde
hinsichtlich der bestehenden vertraglichen Erfüllungsansprüche gegen die
Antragsgegnerin zu einer vollständigen Befriedigung der Antragsstellerin und
damit zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen.
Die auf Erfüllung gerichtete Leistungsverfügung setzt neben
dem Bestehen des geltend gemachten Anspruchs ein dringendes Bedürfnis für die
begehrte Eilmaßnahme voraus. Der Gläubiger muss auf die sofortige Erfüllung
seines Anspruchs dringend angewiesen sein, was darzulegen und glaubhaft zu
machen ist. Entwickelt wurde die Leistungsverfügung zur Gewährung effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bei Bestehen einer dringenden Not- bzw.
Zwangslage sowie im Falle einer Existenzgefährdung des Gläubigers. Sie ist auch
zulässig, wenn die vom Schuldner zu erbringende Handlung so kurzfristig zu
erbringen ist, dass die Erwirkung eines Vollstreckungstitels im ordentlichen
Verfahren nicht möglich ist, die Verweisung des Gläubigers auf die Erhebung der
Hauptsacheklage praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme (vgl. zum
Vorstehenden Zöller-Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 940 Rn. 6). In vergleichbaren
Fällen hat die Rechtsprechung den Erlass einer Leistungsverfügung grundsätzlich
für möglich erachtet (vgl. LG Kiel, Beschluss vom 14.03.2012 – 1 T 21/12,
NJW-RR 2012, 1211: Sperrung eines Mobilfunkanschlusses; OLG Frankfurt,
Beschluss vom 11.08.2009 – 3 W 45/09, NJW-RR 2010, 936: Erschwerung des
Internetzugangs).
 (2) Die
Antragstellerin hat durch eidesstattliche Versicherung vom 09.08.2018 (Anlage
JS 7) glaubhaft gemacht, dass sie von ihrer Sperrung am 09.08.2018 Kenntnis
erlangt hat und dass die Sperrung noch andauert. Bei dieser Sachlage muss sich
die Antragstellerin nicht auf die Erhebung der Hauptsacheklage gegen die
Sperrung verweisen lassen. Unter Berücksichtigung des gewöhnlichen
Verfahrensgangs kann nahezu ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin bis
zum Ablauf der auf 30 Tage befristeten Sperrung ein obsiegendes Urteil in der
Hauptsache erstreiten könnte. Ihre Verweisung auf die Erhebung der
Hauptsacheklage käme deshalb im Ergebnis einer Rechtsverweigerung gleich.
Verfehlt ist in diesem Zusammenhang die Erwägung des
Landgerichts, dass der Antragstellerin eine „soziale Kommunikation“ – über
andere Kommunikationsmittel -grundsätzlich möglich sei. Diese Argumentation
blendet den entscheidenden Gesichtspunkt aus, dass der Antragstellerin gegen
die Antragsgegnerin ein vertraglicher Erfüllungsanspruch auf die Bereitstellung
der von dieser angebotenen „F.-Dienste“ zusteht.
Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht des Landgerichts,
dass in der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung keine so weitgehende
Einschränkung der Meinungsfreiheit der Antragstellerin liege, dass diese nicht
im Rahmen einer Hauptsacheklage geltend gemacht werden könnte, weil die
Äußerung in keinem Zusammenhang mit einem aktuellen Ereignis stehe. Das
Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkt sich nicht auf das Recht, zu
aktuellen Ereignissen Stellung zu nehmen. Das Argument des Landgerichts ist
zudem sachlich falsch. Mit der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung hat
die Antragsgegnerin der Antragstellerin rechtswidrig verwehrt, sich an einer
aktuell auf der F.-Seite von „Spiegel-Online“ geführten Debatte zu Grenzkontrollen
zu beteiligen.
bb) Unverständlich sind die Ausführungen des Landgerichts,
dass „hinsichtlich der Eilbedürftigkeit“ zu berücksichtigen sei, dass bei
Eingang der Antragsschrift am 14.08.2018 bereits vier der 30 Tage der Sperrung
der Antragstellerin verstrichen gewesen seien.
Es ist zwar allgemein anerkannt, dass ein Verfügungsgrund
fehlt, wenn der Antragsteller trotz eines bestehenden Sicherungs- oder
Regelungsbedürfnisses zu lange zugewartet hat, bevor er den Erlass einer
einstweiligen Verfügung beantragt (vgl. KG, Urteil vom 09.02.2001 – 5 U
9667/00, Rn. 14, zit. nach juris, NJW-RR 2001, 1201; Zöller-Vollkommer, ZPO,
32. Aufl., § 940 Rn. 4 m.w.N.). Mit dem Verstreichenlassen eines Zeitraums von
nur vier Tagen (!) kann aber keinesfalls eine Selbstwiderlegung der von der
Antragstellerin behaupteten Dringlichkeit durch eigenes Verhalten begründet
werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die
zugrundeliegende Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG in Verbindung
mit § 3 ZPO.
Eine ausdrückliche Anordnung der vorläufigen
Vollstreckbarkeit ist entbehrlich. Einstweilige Verfügungen sind
Vollstreckungstitel, die mit Erlass des Beschlusses sofort vollstreckbar sind,
ohne dass es einer Entscheidung hierüber bedarf (Zöller-Vollkommer, ZPO, 32.
Aufl., § 929 Rn. 1 m.w.N.).

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BVerfG: Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

Beschluss vom 29. Juni
2016
Wegen seines die
Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von
Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der
Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die
Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders
als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit
stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt
darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung
im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf. Dies hat die 3.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute
veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde
gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen
Beleidigung stattgegeben.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer
ist Rechtsanwalt und vertrat als Strafverteidiger den Beschuldigten in einem
Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Spendengeldern. Nachdem gegen den
Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden war,
kam es bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung
zwischen der mit dem Verfahren betrauten Staatsanwältin und dem
Beschwerdeführer, der der Ansicht war, dass sein Mandant zu Unrecht verfolgt
wurde. Am Abend desselben Tages meldete sich ein Journalist, der eine Reportage
über den Beschuldigten plante, telefonisch beim Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer
wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen
hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der
Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete
im Laufe des Telefonats die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter
anderem als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte
Staatsanwältin“.
Das Landgericht
verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70
Tagessätzen zu je 120 €. Die Revision des Beschwerdeführers war erfolglos. Mit
seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich die
Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).
Wesentliche Erwägungen
der Kammer:
Die angegriffenen
Entscheidungen verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf
Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs.
1 Satz 1 GG
.
1. Das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr
darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall
bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung
darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der
Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die
Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die
Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des
Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.
Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine
Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie
dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen,
die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen
sind.
2. Das Landgericht geht
bei seiner Verurteilung ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen einer
Schmähkritik aus. Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf
und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen
legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer
Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von
vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden
Verwendungskontextes stand. Es hätte insoweit näherer Darlegungen bedurft, dass
sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der
Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde,
um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen
nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind,
hätte das Landgericht den Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen,
ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem
Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. An dieser fehlt es hier.
Auch das Kammergericht hat diese nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich
auf eine „noch hinreichende“ Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht
stattgefunden hat.
3. Die angegriffenen
Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler. Die Gerichte haben folglich erneut
über die strafrechtliche Beurteilung der Äußerung nunmehr im Rahmen einer
Abwägung zu entscheiden. Dabei ist freilich festzuhalten, dass ein Anwalt
grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch
angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade
gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im
Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der
Betroffenen durchsetzen. Die insoweit gebotene Abwägung die sich
gegebenenfalls auch auf die Strafzumessung auswirkt obliegt
jedoch den Fachgerichten.
Vorinstanzen
LG Berlin, Urt. v.
26.01.2015 – (569) 83 Js 445/10 Ns (126/13)
KG, Beschl. v.
21.09.2015 – (3) 121 Ss 71/15 (96/15)

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BVerfG: Meinungsfreiheit schützt auch emotionalisierte Äußerungen

Die
Meinungsfreiheit umfasst auch die Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar
emotionalisiert darzustellen, insbesondere als Erwiderung auf einen unmittelbar
vorangegangenen Angriff auf die Ehre, der gleichfalls in emotionalisierender
Weise erfolgt ist. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss
entschieden. Damit gab sie der Verfassungsbeschwerde einer Beschwerdeführerin
statt, die sich gegen eine zivilgerichtliche Unterlassungsverurteilung gewandt
hatte.
Sachverhalt:
Der Kläger des
Ausgangsverfahrens war mit der Beschwerdeführerin liiert, bis sie ihn Anfang
des Jahres 2010 wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung
anzeigte. Im darauf folgenden Strafprozess vor dem Landgericht wurde der Kläger
freigesprochen, da ihm eine Straftat nicht nachgewiesen werden konnte. Am Tag
des Freispruchs sowie am Tag darauf äußerten sich die Anwälte des Klägers in
Fernsehsendungen über die Beschwerdeführerin. Etwa eine Woche nach der
Verkündung des freisprechenden Urteils erschien zudem ein Interview mit dem
Kläger, in dem er über die Beschwerdeführerin sprach. Daraufhin gab auch die
Beschwerdeführerin ein Interview, das eine Woche nach der Veröffentlichung des
Interviews mit dem Kläger erschien.
In der Folgezeit
begehrte der Kläger von der Beschwerdeführerin die Unterlassung mehrerer
Äußerungen, die sie im Rahmen dieses Interviews getätigt hatte. Das Landgericht
verurteilte die Beschwerdeführerin antragsgemäß. Die Berufung zum
Oberlandesgericht und die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof
blieben ohne Erfolg.
Mit der
Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen alle drei
Entscheidungen und rügt im Wesentlichen die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit
(Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).
Wesentliche Erwägungen
der Kammer:
Die angegriffenen
Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungsfreiheit aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. Die Urteile
des Landgerichts und des Oberlandesgerichts berühren den Schutzbereich der
Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin. Die Einordnung der Äußerungen als
Werturteile und Tatsachenbehauptungen ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Die Tatsachenbehauptungen sind nicht erwiesen unwahr. Im
Strafverfahren konnte nicht geklärt werden, ob die Angaben der Beschwerdeführerin
oder die des Klägers der Wahrheit entsprechen. Nach dem Freispruch des Klägers
stellen sich deshalb die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen
eines nicht aufklärbaren Geschehens dar, die nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern
als Meinungen zu behandeln sind.
2. Die
angegriffenen Entscheidungen verletzen die Meinungsfreiheit der
Beschwerdeführerin. Die Untersagung der streitgegenständlichen Äußerungen
bewegt sich nicht mehr im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.
a) Das Grundrecht
auf freie Meinungsäußerung ist als subjektive Freiheit des unmittelbaren
Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht. Sie
umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von
Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen. Dabei
kann insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf
die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung
gerechtfertigt sein. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden
Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn
sie das persönliche Ansehen mindert.
b) Die
angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben
nicht. Zwar haben die Gerichte zutreffend einerseits das große
Informationsinteresse der Öffentlichkeit und andererseits den Freispruch
berücksichtigt, der dazu führt, dass die schweren Vorwürfe, die Gegenstand des
Strafverfahrens waren, nicht unbegrenzt wiederholt werden dürfen. Auch haben
sie berücksichtigt, wieweit die Äußerungen sich auf öffentliche Angelegenheiten
bezogen.

Indem die
Gerichte davon ausgingen, dass sich die Beschwerdeführerin auf eine sachliche
Wiedergabe der wesentlichen Fakten zu beschränken habe, und hierfür auf das
öffentliche Informationsinteresse abstellen, verkennen sie die durch Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG auch unabhängig von einem solchen Interesse geschützte
Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten.
Zugleich übersieht diese Sichtweise das öffentliche Interesse an einer
Diskussion der Konsequenzen und Härten, die ein rechtsstaatliches
Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann. Zu Gunsten der
Beschwerdeführerin war in die Abwägung zudem einzustellen, dass sie sich in
unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem (noch nicht rechtskräftigen) Freispruch
äußerte und lediglich wiederholte, was der Öffentlichkeit aufgrund der
umfänglichen Berichterstattung zu dem Strafverfahren bereits bekannt war. Die
Gerichte haben überdies das vorangegangene Verhalten des Klägers nicht in der
gebotenen Weise berücksichtigt. Der Beschwerdeführerin steht ein „Recht auf
Gegenschlag“ zu und dabei ist sie nicht auf eine sachliche, am Interview des
Klägers orientierte Erwiderung beschränkt, weil auch der Kläger und seine
Anwälte sich nicht sachlich, sondern gleichfalls in emotionalisierender Weise
äußerten. Der Kläger, der auf diese Weise an die Öffentlichkeit trat, muss eine
entsprechende Reaktion der Beschwerdeführerin hinnehmen.
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Ein Neuzugang für das Presserecht