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BGH: Vorlage an den Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit des Tonträger-Samplings

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute dem Gerichtshof der Europäischen
Union Fragen zu einer Verletzung der Rechte des Tonträgerherstellers durch
Sampling vorgelegt.
Sachverhalt:
Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe
„Kraftwerk“. Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf
dem sich das Musikstück „Metall auf Metall“ befindet. Die Beklagten
zu 2 und 3 sind die Komponisten des Titels „Nur mir“, den die
Beklagte zu 1 mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen
Tonträgern eingespielt hat. Dabei haben die Beklagten zwei Sekunden einer
Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ elektronisch
kopiert („gesampelt“) und dem Titel „Nur mir“ in
fortlaufender Wiederholung unterlegt.
Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als
Tonträgerhersteller verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung,
Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht, Auskunftserteilung und Herausgabe der
Tonträger zum Zweck der Vernichtung in Anspruch genommen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung
der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Revision der Beklagten hat der
Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (vgl. Pressemitteilung
vom 20. November 2008). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten
wiederum zurückgewiesen. Die erneute Revision der Beklagten hat der
Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Er hat angenommen, die Beklagten hätten durch
das Sampling in das Recht der Kläger als Tonträgerhersteller eingegriffen. Sie
könnten sich nicht auf das Recht zur freien Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG*)
berufen, weil es ihnen möglich gewesen sei, die aus dem Musikstück „Metall
auf Metall“ entnommene Sequenz selbst einzuspielen. Aus der durch Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Kunstfreiheit lasse sich kein Recht ableiten, die
Tonaufnahme ohne Einwilligung des Tonträgerherstellers zu nutzen (vgl. Pressemitteilung
vom 13. Dezember 2012).
Das Bundesverfassungsgericht hat das Revisionsurteil und
das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof
zurückverwiesen. Es hat angenommen, die Entscheidungen verletzten die Beklagten
in ihrer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Freiheit der künstlerischen
Betätigung. Die Annahme, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle
einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar,
soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trage der in
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung.
Vorlage des Bundesgerichtshofs an den Europäischen
Gerichtshof:
Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihren
Klageabweisungsantrag weiter. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren nunmehr
ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der
Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai
2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und der Richtlinie 2006/115/EG zum
Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten
Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums vorgelegt. 
Nach Ansicht des BGH stellt sich zunächst die Frage, ob
ein Eingriff in das ausschließliche Recht des Tonträgerherstellers zur
Vervielfältigung seines Tonträgers aus Art. 2 Buchst. c Richtlinie 2001/29/EG**
vorliegt, wenn seinem Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen und auf einen
anderen Tonträger übertragen werden, und ob es sich bei einem Tonträger, der
von einem anderen Tonträger übertragene kleinste Tonfetzen enthält, im Sinne
von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2006/115/EG*** um eine Kopie des anderen
Tonträgers handelt.
Für den Fall, dass diese Frage zu bejahen ist, stellt
sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten eine Bestimmung vorsehen können, die –
wie die Vorschrift des § 24 Abs. 1 UrhG – klarstellt, dass der Schutzbereich
des ausschließlichen Rechts des Tonträgerherstellers zur Vervielfältigung (Art.
2 Buchst. c Richtlinie 2001/29/EG) und Verbreitung (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b
Richtlinie 2006/115/EG) seines Tonträgers in der Weise immanent beschränkt ist,
dass ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung seines Tonträgers
geschaffen worden ist, ohne seine Zustimmung verwertet werden darf. Nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Beklagten mit dem Musikstück
„Nur mir“ ein selbständiges Werk im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG geschaffen. 
Sollten die Beklagten in das Tonträgerherstellerrecht der
Kläger eingegriffen haben und sich nicht auf das Recht zur freien Benutzung
berufen können, stellt sich die Frage, ob ein Werk oder ein sonstiger
Schutzgegenstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie
2001/29/EG**** für Zitatzwecke genutzt wird, wenn nicht erkennbar ist, dass ein
fremdes Werk oder ein fremder sonstiger Schutzgegenstand genutzt wird. Die
Beklagten haben sich zur Rechtfertigung des Sampling auch auf das Zitatrecht
berufen. Es gibt allerdings keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Hörer annehmen
könnten, die dem Musikstück „Nur mir“ unterlegte Rhythmussequenz sei
einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Vorschriften
des Unionsrechts zum Vervielfältigungsrecht und Verbreitungsrecht des
Tonträgerherstellers (Art. 2 Buchst. c Richtlinie 2001/29/EG und Art. 9 Abs. 1
Buchst. b Richtlinie 2006/115/EG) und den Ausnahmen oder Beschränkungen dieser
Rechte (Art. 5 Abs. 2 und 3 Richtlinie 2001/29/EG und Art. 10 Abs. 2 Satz 1
Richtlinie 2006/115/EG) Umsetzungsspielräume im nationalen Recht zulassen.
Diese Frage ist entscheidungserheblich, weil nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine
Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umsetzen, grundsätzlich
nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein am
Unionsrecht und damit auch den durch dieses gewährleisteten Grundrechten zu
messen sind, soweit die Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen
Umsetzungsspielraum überlässt, sondern zwingende Vorgaben macht.
Schließlich hat der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, in
welcher Weise bei der Bestimmung des Schutzumfangs des ausschließlichen Rechts
des Tonträgerherstellers zur Vervielfältigung (Art. 2 Buchst. c Richtlinie
2001/29/EG) und Verbreitung (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2006/115/EG)
seines Tonträgers und der Reichweite der Ausnahmen oder Beschränkungen dieser
Rechte (Art. 5 Abs. 2 und 3 Richtlinie 2001/29/EG und Art. 10 Abs. 2 Satz 1
Richtlinie 2006/115/EG) die Grundrechte der EU-Grundrechtecharta zu
berücksichtigen sind. Im Streitfall stehen das gemäß Art. 17 Abs. 2
EU-Grundrechtecharta geschützte geistige Eigentum der Kläger als Tonträgerhersteller
und die in Art. 13 Satz 1 EU-Grundrechtecharta gewährleistete Kunstfreiheit der
Beklagten als Nutzer des Tonträgers einander gegenüber.
Vorinstanzen:
Karlsruhe, den 1. Juni 2017
Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des
Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers
des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
**Art. 2 Buchst. c Richtlinie 2001/29/EG: 
Die Mitgliedstaaten sehen für die Tonträgerhersteller in
Bezug auf ihre Tonträger das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder
mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und
Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten. 
***Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2006/115/EG: 
Die Mitgliedstaaten sehen für Tonträgerhersteller in Bezug
auf ihre Tonträger das ausschließliche Recht vor, die Tonträger und Kopien
davon der Öffentlichkeit im Wege der Veräußerung oder auf sonstige Weise zur
Verfügung zu stellen.
****Art. 5 Abs. 3 Buchst. d Richtlinie 2001/29/EG: 
Die Mitgliedstaaten können für Zitate wie Kritik oder
Rezensionen in Bezug auf das in Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene
Vervielfältigungsrecht Ausnahmen und Beschränkungen vorsehen, sofern sie ein
Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand betreffen, das bzw. der der
Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, sofern – außer in
Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist – die Quelle, einschließlich
des Namens des Urhebers angegeben wird und sofern die Nutzung den anständigen
Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck
gerechtfertigt ist. 

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013

Telefax (0721) 159-5501
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BVerfG: Die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen

Urteil vom 31.
Mai 2016 – 1 BvR 1585/13
Steht der
künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht
gegenüber, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, können
die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers zugunsten der Freiheit der
künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben. Dies hat der Erste
Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden.
Er hat damit einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die
fachgerichtliche Feststellung wendete, dass die Übernahme einer zweisekündigen
Rhythmussequenz aus der Tonspur des Musikstücks „Metall auf Metall“ der Band
„Kraftwerk“ in den Titel „Nur mir“ im Wege des sogenannten Sampling einen
Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht darstelle, der nicht durch das Recht
auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) gerechtfertigt sei. Das vom
Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in
das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden
gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet,
einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten
künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der
Tonträgerproduzenten herzustellen.
Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerde
betrifft die Frage, inwieweit sich Musikschaffende bei der Übernahme von
Ausschnitten aus fremden Tonträgern im Wege des sogenannten Sampling gegenüber
leistungsschutzrechtlichen Ansprüchen der Tonträgerhersteller auf die
Kunstfreiheit berufen können.
Auf die Pressemitteilung
Nr. 77/2015 vom 28. Oktober 2015
wird ergänzend verwiesen.
Wesentliche
Erwägungen des Senats:
Die angegriffenen
Entscheidungen verletzen drei der insgesamt zwölf Beschwerdeführer in ihrer
Freiheit der künstlerischen Betätigung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG).
1. Die den
angegriffenen Urteilen zugrunde gelegten gesetzlichen Vorschriften über das
Tonträgerherstellerrecht (§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG) und das Recht auf freie
Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) sind mit der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz
1 GG und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Sie geben den mit
ihrer Auslegung und Anwendung betrauten Gerichten hinreichende Spielräume, um
zu einer der Verfassung entsprechenden Zuordnung der künstlerischen Betätigungsfreiheit
einerseits und des eigentumsrechtlichen Schutzes des Tonträgerherstellers
andererseits zu gelangen. Die grundsätzliche Anerkennung eines
Leistungsschutzrechts zugunsten des Tonträgerherstellers, das den Schutz seiner
wirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Leistung zum Gegenstand
hat, ist auch mit Blick auf die Beschränkung der künstlerischen
Betätigungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich. Umgekehrt führt allein
die Möglichkeit von Künstlerinnen und Künstlern, sich unter näher bestimmten
Umständen auf ein Recht auf freie Benutzung von Tonträgern zu berufen, nicht
schon grundsätzlich zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des durch Art. 14
Abs. 1 GG geschützten Kerns des Tonträgerherstellerrechts.
Mit den
Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist auch, dass § 24 Abs. 1 UrhG
durch den Verzicht auf eine entsprechende Vergütungsregelung auch das
Verwertungsrecht der Urheber oder Tonträgerhersteller beschränkt. Die
Entscheidung des Gesetzgebers, die enge Ausnahmeregelung nicht durch eine
Vergütungspflicht zu ergänzen, die den Urheber oder Tonträgerhersteller an den
Einnahmen teilhaben ließe, die im Rahmen der freien Benutzung seines Werks oder
Tonträgers erst in Verbindung mit der schöpferischen Leistung eines anderen
entstehen könnten, hält sich in den Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden
Gestaltungsspielraums. Dem Gesetzgeber wäre es allerdings zur Stärkung der
Verwertungsinteressen nicht von vornherein verwehrt, das Recht auf freie
Benutzung mit einer Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung zu
verknüpfen. Hierbei könnte er der Kunstfreiheit beispielsweise durch
nachlaufende, an den kommerziellen Erfolg eines neuen Werks anknüpfende
Vergütungspflichten Rechnung tragen.
2. Dagegen
verletzen die angegriffenen Entscheidungen die beiden Komponisten und die
Musikproduktionsgesellschaft des Titels „Nur mir“ in ihrer durch Art. 5 Abs. 3
Satz 1 GG garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung.
a) Die
Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die im
Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung zwischen dem Eigentumsschutz
der Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden Grundrechtspositionen
nachzuvollziehen und dabei unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu
vermeiden. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das
Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die
Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auch in ihrer
materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.
b) Bei der
rechtlichen Bewertung der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken steht
dem Interesse der Urheberrechtsinhaber, die Ausbeutung ihrer Werke zu fremden
kommerziellen Zwecken ohne Genehmigung zu verhindern, das durch die
Kunstfreiheit geschützte Interesse anderer Künstler gegenüber, ohne finanzielle
Risiken oder inhaltliche Beschränkungen in einen Schaffensprozess im
künstlerischen Dialog mit vorhandenen Werken treten zu können. Steht der
künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in die Urheberrechte gegenüber,
der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, so können die
Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber zugunsten der Freiheit der
künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben. Diese Grund­sätze
gelten auch für die Nutzung von nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG geschützten
Tonträgern zu künstlerischen Zwecken.
c) Die Annahme
des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle
einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar,
soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trägt der
Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Wenn der Musikschaffende, der unter
Einsatz von Samples ein neues Werk schaffen will, nicht völlig auf die
Einbeziehung des Sample in das neue Musikstück verzichten will, stellt ihn die
enge Auslegung der freien Benutzung durch den Bundesgerichtshof vor die
Alternative, sich entweder um eine Samplelizenzierung durch den
Tonträgerhersteller zu bemühen oder das Sample selbst nachzuspielen. In beiden
Fällen würden jedoch die künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die
kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt.
Der Verweis auf
die Lizenzierungsmöglichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der
künstlerischen Betätigungsfreiheit: Auf die Einräumung einer Lizenz zur
Übernahme des Sample besteht kein Anspruch; sie kann von dem
Tonträgerhersteller aufgrund seines Verfügungsrechts ohne Angabe von Gründen
und ungeachtet der Bereitschaft zur Zahlung eines Entgelts für die Lizenzierung
verweigert werden. Für die Übernahme kann der Tonträgerhersteller die Zahlung
einer Lizenzgebühr verlangen, deren Höhe er frei festsetzen kann. Besonders
schwierig gestaltet sich der Prozess der Rechteeinräumung bei Werken, die viele
verschiedene Samples benutzen und diese collagenartig zusammenstellen. Die
Existenz von Sampledatenbanken sowie von Dienstleistern, die Musikschaffende
beim Sampleclearing unterstützen, beseitigen diese Schwierigkeiten nur
teilweise und unzureichend.
Das eigene
Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der
Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die
erforderliche kunstspezifische Betrachtung verlangt, diese genrespezifischen
Aspekte nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinzu kommt, dass sich das eigene
Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten kann und die Beurteilung
der gleichwertigen Nachspielbarkeit für die Kunstschaffenden zu erheblicher
Unsicherheit führt.
d) Diesen
Beschränkungen der künstlerischen Betätigungsfreiheit steht hier bei einer
erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das
Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile
gegenüber. Eine Gefahr von Absatzrückgängen für die Kläger des
Ausgangsverfahrens durch die Übernahme der Sequenz in die beiden
streitgegenständlichen Versionen des Titels „Nur mir“ ist nicht ersichtlich.
Eine solche Gefahr könnte im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu
geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz
aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit
dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der
künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der
entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber
des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen. Allein der Umstand,
dass § 24 Abs. 1 UrhG dem Tonträgerhersteller die Möglichkeit einer
Lizenzeinnahme nimmt, bewirkt ebenfalls nicht ohne weiteres – und insbesondere
nicht im vorliegenden Fall – einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil des
Tonträgerherstellers. Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein
Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes
weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs
wegen nicht geboten.
e) Insoweit haben
die Verwertungsinteressen der Tonträgerhersteller in der Abwägung mit den Nutzungsinteressen
für eine künstlerische Betätigung zurückzutreten. Das vom Bundesgerichtshof für
die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das
Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden
gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet,
einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten
künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der
Tonträgerproduzenten herzustellen.
3. Der
Bundesgerichtshof kann bei der erneuten Entscheidung die hinreichende
Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen einer entsprechenden Anwendung von
§ 24 Abs. 1 UrhG sicherstellen. Hierauf ist er aber nicht beschränkt. Eine
verfassungskonforme Rechtsanwendung, die hier und in vergleichbaren
Konstellationen eine Nutzung von Tonaufnahmen zu Zwecken des Sampling ohne
vorherige Lizenzierung erlaubt, könnte beispielsweise auch durch eine
einschränkende Auslegung von § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG erreicht werden. Soweit
Nutzungshandlungen ab dem 22. Dezember 2002, auf welche die
Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union anwendbar ist, betroffen sind,
hat der Bundesgerichtshof als zuständiges Fachgericht zunächst zu prüfen,
inwieweit durch vorrangiges Unionsrecht noch Spielraum für die Anwendung des
deutschen Rechts bleibt. Erweist sich das europäische Richtlinienrecht als
abschließend, ist der Bundesgerichtshof verpflichtet, effektiven
Grundrechtsschutz zu gewährleisten, indem er die Richtlinienbestimmungen mit
den europäischen Grundrechten konform auslegt und bei Zweifeln über die
Auslegung oder Gültigkeit der Urheberrechtsrichtlinie das Verfahren dem
Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV vorlegt. Das
Bundesverfassungsgericht überprüft, ob das Fachgericht drohende Grundrechtsverletzungen
auf diese Weise abgewehrt hat und ob der unabdingbare grundrechtliche
Mindeststandard des Grundgesetzes gewahrt ist.